14. Kapitel

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~Mila~


'Rumms'

Hinter mir höre ich eine Tür zu knallen. Laut und kalt schneidet der Lärm durch all die Stille und all die Wärme, die bis eben noch in diesem Raum herrschte. Gleichzeitig drehen sich Jannis' und mein Kopf erschrocken zur Tür. Ich schlucke. Ich blinzele. Ich kneife in meinen Arm. Nichts. Keine Veränderung. Noch immer steht die Gestalt dort. Eigentlich ist es nur ein Mensch. Ein Mensch, wie jeder andere auch. Doch gleichzeitig ist es eben doch nicht irgendein Mensch. Denn sonst würde mir kein eiskalter Schauer den Rücken hinab laufen. Es ist der blonde Typ von neulich. Der blonde Typ aus der Gruppe um Jannis. Der blonde Typ mit dem Lächeln aus meinem Traum. Genau der blonde Typ steht nun hier in Jannis Wohnung, eine Hundeleine in der Hand haltend und sieht uns an. Vielleicht erschrocken. Vielleicht überrascht. Es ist zweifelsfrei genau derselbe Typ, nur hat er diesmal sein Lächeln vergessen. Oder das Lächeln hängt noch immer in meinem Traum.


"Was wird das hier, wenn es fertig ist?", reißt mich die energische Stimme des Typen aus meinen Gedanken. "Julian. Was willst du denn hier???", pfeffert Jannis zurück. Der Klang seiner Stimme lässt mich zusammenzucken. Das Sanfte von vorhin ist plötzlich verschwunden. Wütend schaut Jannis den blonden Typ an. "Ich habe dir nur Nala gebracht, so wie ich es dir vorhin geschrieben habe. Der werte Herr hat es ja nicht für nötig gehalten auf sein Handy zu schauen.", erklärt er zischend. Ich verstehe nicht, was hier passiert. Völlig fehl am Platz fühle ich mich.
"Ja, ich war beschäftigt", gibt Jannis wütend zurück. Sein Körper glüht beinah vor Anspannung. Wie ein Löwe kurz bevor er eine Antilope angreift und ihr die Kehle zerkratzt."Sehe ich selbst", keift die Antilope zurück. Da merke ich, dass mein Vergleich hinkt. Eine Antilope würde nicht zurück keifen. Sie würde fliehen. Schnell und weit. Einfach um ihr Leben rennen. Denn sie hat außer ihrer Schnelligkeit nichts, was sie dem Löwen entgegensetzen kann. Der blonde Typ ist also keine Antilope. Er ist ebenfalls ein Löwe. Das hier ist ein Revierkampf. Löwe gegen Löwe. Die einzige Antilope in diesem Raum bin ich. Und da begreife ich, dass ich nur eines tun kann. Laufen. Schnell und weit.


Also räuspere ich mich und sage schnell: "Ähh... Ich möchte euch echt nicht stören, aber ich werde gehen. Ich merke ihr habt viel Redebedarf. War ein schöner Abend, Jannis. Ich hoffe den können wir mal wiederholen" Bevor der Löwe aufgetaucht ist, hätte ich das definitiv so gemeint. Ich hätte Jannis so unglaublich gerne wieder gesehen. Jetzt aber weiß ich nicht, ob dieser Satz nicht einfach nur eine Floskel ist. Ich warte gar nicht auf irgendeine Reaktion. In Windeseile packe ich meinen Kram zusammen, schnappe mir Jacke und Schuhe, ehe ich davon laufe. Zu viele Fragen schweben über all dem hier. Erdrücken mich förmlich. Selbst in meinem Auto angekommen, kann ich nicht aufhören darüber nachzudenken. Wer ist der Typ? Wahrscheinlich Jannis Bruder. Der Bruder, dem die Wohnung gehört. Die zwei sehen sich schon ziemlich ähnlich. Aber wieso taucht dieser Typ, als kleiner Junge in meinem Traum auf? War ich mit ihm als Kind vielleicht befreundet? Und warum...warum scheint er mich so zu hassen? Fragen über Fragen. Seitdem die Jungs bei mir auf der Arbeit waren, steht mein Leben Kopf. Es gibt nur noch Fragen und kaum Antworten.


Während der Autofahrt lasse ich den Abend nochmal Revue passieren. Der Abend war sehr schön. Zumindest bis der blonde Typ aufgekreuzt ist. Jannis ist sehr nett, süß und fürsorglich. Charmant nicht zu vergessen. Ich fühle mich zu ihm hingezogen, wie ich es schon lange nicht mehr gefühlt habe. Es fühlt sich ein bisschen so an, als würden wir einander schon ewig kennen. Und das ist ein schönes Gefühl.


Zuhause angekommen, sehe ich, dass kein Licht mehr brennt. Chris scheint schon im Bett zu liegen, Finn natürlich sowieso. Es ist auch schon sehr spät. Bevor ich selbst im Bett verschwinde, schaue ich bei meinem Sohn vorbei. Zusammengerollt liegt er mit seinem Plüsch-Pinguin in seinem Bettchen und atmet gleichmäßig.


Am nächsten Morgen werde ich von den Sonnenstrahlen in meinem Gesicht geweckt. Einen Moment liege ich einfach so da und genieße die Stille. Stille? Verwundert runzele ich die Stirn und stehe auf. Ziehe mir bequeme Klamotten an und begebe mich nach unten in die Küche. Dort finde ich meinen Sohn mit Chris am Frühstückstisch vor. "Mama!!!", ruft er mir freudig entgegen. "Guten Morgen, mein Schatz. Hast du gut geschlafen?", frage ich und drücke ihm ein Küsschen auf die Stirn. "Ja Mama. Hab mit Onkel Chris einen Turm gebaut. Er ist sooooo groß." Er zeigt mit dem Finger ins Wohnzimmer und möchte aufgeregt seinen Stuhl verlassen. "Finn, bleib bitte sitzen. Ich schaue mir deinen Turm gleich an. Mama muss erst auch was essen", sage ich und drücke ihn sanft zurück auf seinen Stuhl. Ich setze mich an den Tisch und Chris stellt mir direkt einen Teller mit belegten Brötchen vor die Nase. "Erzähl. Wie war es gestern Abend? Habt ihr euch geküsst?". fällt er gleich mit der Tür ins Haus. Ich seufze "Fast. Aber dann kam sein Bruder rein... Der sieht haargenau so aus, wie der Junge aus meinen Traum", sage ich leise, weil es mir noch immer ziemlich unheimlich ist und ich noch immer keine Ahnung habe, wie das sein kann. "Krass. Das ist ja mal ein Zufall", erwidert Chris zögerlich. "Er sah, aber nicht so begeistert aus von Jannis und mir. Obwohl ihm das ja völlig egal sein kann, wer auch immer er ist", sage ich niedergeschlagen. Chris nimmt mich in den Arm. "Das wird sich schon alles aufklären. Da bin ich mir sicher", flüstert er an mein Ohr. Ich schenke ihm ein leichtes Lächeln. Finn rutscht mittlerweile schon ganz hibbelig auf seinem Stuhl umher. "Komm, Schatz. Zeig mir mal deinen Turm", sage ich zu ihm. Er krabbelt von seinem Stuhl und zieht mich an der Hand ins angrenzende Wohnzimmer, wo er mir seinen selbstgebauten Turm zeigt. "Das hast du aber schön gemacht, mein Schatz" Er schaut mich ganz stolz an. "Mama, können wir heute in den Zoo?", fragt er dann. Einen Moment lang denke ich nach, ob für heute noch etwas anderes auf dem Plan steht. Als mir jedoch nichts in den Sinn kommt, antworte ich: "Klar, mein Schatz. Wollen wir dich dafür mal fertig machen? Zähne putzen und anziehen" Finn flitzt schnell nach oben. Während Chris die Küche aufräumt, ziehe ich Finn fertig an. Eine Stunde später sitzen wir alle im Auto. Als wir beim Zoo ankommen, kaufen wir die Tickets und gehen hinein. "Mama können wir die Pinguine angucken?", fragt er und zeigt aufgeregt in eine Richtung. "Ja, Schatz das können wir machen", antworte ich lächelnd. Wir besuchen die Pinguine, füttern die kleinen Ziegen und gucken uns die restlichen Tiere an. Am Nachmittag verlassen wir den Zoo. Finn ist schon längst auf Chris' Arm eingeschlafen. Ich konnte meine Gedanken tatsächlich für den ganzen Tag ausblenden. Als wir im Auto auf dem Weg nach Hause sitzen, bekomme ich eine Nachricht.


Von Jannis.


"Ich würde mich freuen wenn wir uns wiedersehen"

Hope Never DiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt