21. Kapitel

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~Mila~

Diese Information wabert in meinem Hirn, wie die wehrlosen Quallen, die Finn so gerne am Strand mit seinem kleinen Eimer sammelt. Ich habe Geschwister. Drei Brüder, an der Zahl. Eltern. Mama und Papa. Ich habe eine Familie. Einfach so. Ganz plötzlich, als wäre es nie anders gewesen. Als wäre ich nie allein gewesen. Meine Gehirn-Quallen nehmen mich so ein, dass ich nicht einmal bemerke, wie Tränen über meine Wangen laufen. Erst als ich Finns kleinen Kinderhände sanft auf meiner Haut spüre, verziehen sich die Gehirn-Quallen allmählich.

"Mama, nicht weinen" Finns dünne Stimme ist besorgt. "Ich weine nicht, mein Schatz. Das sind Freudentränen, weißt du?" Sanft streiche ich ihm über die Wange. "Warum?", fragt Finn neugierig. "Weil deine Mama ihre Familie gefunden hat", antworte ich. "Aber Onkel Chris ist doch schon unsere Familie" Finn sieht mich ehrlich verwirrt an. "Onkel Chris ist auch noch immer unsere Familie. Nur ist unsere Familie nun noch ein bisschen größer." Er guckt in die Runde. Begutachtet sie alle. Alle meine Geschwister. Es klingt so ungewohnt, so fremd, aber trotzdem so gut. Als Finn seine Begutachtung beendet hat und scheinbar alle den Test bestanden haben, zuckt er mit den Schultern und geht wieder zu seinem Turm, um damit weiter zu spielen. "Also wie ist jetzt der Plan?" Jannis guckt uns alle abwechselnd an. "Ich dachte wir fahren hier her, reden und danach wieder nach Hause", sagt Julian schulterzuckend. "Du meinst...zu Mama und Papa? Wissen die, dass ihr hier seid?" Noch immer fühlt es sich so seltsam an Mama und Papa zu sagen. Als wären das zwei Wörter, die ich erst neu lernen muss. "Ja sie wissen es und freuen sich schon mega auf dich. Und natürlich auch auf Finn", antwortet Julian lächelnd. Nun muss auch ich lächeln. Meine richtige Familie. Wie lange ich darauf gewartet habe. 24 Jahre. "Na dann. Auf auf. Finn, Jacke und Schuhe anziehen", sage ich zu meinem Sohn und klatsche in meine Hände. "Mama ich will Turm bauen", quengelt er stattdessen. "Finn!!", fordere ich ihn etwas strenger auf. "NEIN!!", entgegnet er trotzig und läuft aus dem Wohnzimmer durch die ganze Wohnung. "Also normalerweise ist er nicht so", murmele ich. Die müssen ja denken, ich habe meinen eigenen Sohn nicht unter Kontrolle. Julian legt mitfühlend einen Arm um meine Schulter. "Also falls du jetzt denkst, du bist eine schlechte Mutter. Das glaubt niemand. Und mal unter uns...." Er guckt Jascha grinsend an. "... Jascha war der schlimmste von uns Vieren. Er wollte partout nie hören" Jascha reißt entsetzt die Augen auf. "Ey das stimmt doch garnicht. Ich war immer lieb", protestiert er schmollend. "Jaja ist klar", antwortet Julian kopfschüttelnd. "Also, wenn du beweisen willst, dass du lieb bist, kannst du gerne babysitten. Das bedeutet ihn anziehen, im Auto anschnallen und du darfst sogar das Auto auch fahren. Dann kannst du dir gleich einen Orden für den besten Onkel verdienen", sage ich schmunzelnd. Julian und Jannis gucken mich ganz entrüstet an. Wahrscheinlich, weil sie um den Orden 'bester Onkel' fürchten. "Das ist doch Kinderkram. Das kriege ich mit links hin" Noch ist er zuversichtlich. Wenn er wüsste. Ich grinse. "Also dein Job beginnt jetzt"
In der Zeit, in der Jascha meinen Sohn fertig anzieht, packe ich eine kleine Tasche für Finn und mich. Als ich wieder in den Flur komme, blicke ich mich erstaunt um. Finn sitzt brav angezogen auf der Schuhbank unter der Garderobe. Zwar zieht er ein beleidigtes Gesicht, aber immerhin. "Teil eins ist erledigt", sagt Jascha triumphierend. Dafür klopfe ich ihm zur Belohnung auf die Schulter. "Hast du gut gemacht". Dann gehen wir mit unseren Sachen nach draußen zu den Autos. Ich schnalle Finn in seinem Autositz an und gebe Jascha meinen Autoschlüssel. "Bist du dir sicher Mila? Er alleine mit einem fremden Kind?", fragt Jannis erstaunt. "Vertraust du ihm nicht?", frage ich ihn. "Doch schon...aber...warum vertraust du ihm?", stirnrunzelnd sieht er mich an. "Ich hab ein gutes Gefühl, dass er das schaffen wird. Alles, was er braucht ist in der Tasche" Wir steigen alle in Julians Auto ein aber Jascha hält mich auf. "Du fährst nicht bei mir mit?" Ein bisschen erschrocken blickt er mich an. Ich lächel ihn aufmunternd an. "Jascha, ich kenne dich nicht besonders gut, aber du bist mein kleiner Bruder und ich weiß nicht wieso, aber ich vertraue dir" Ich drücke seine Schulter und winke Finn nochmal. "Danke", murmelt Jascha und wir umarmen uns.

Als wir in Bremen ankommen, steige ich nervös aus. Sehe mich um und erblicke ein Familienhaus neben dem anderen. Alles sieht so geordnet aus. Schöne Vorgärten und gepflegte Hecken. Hinter Julians Auto parkt Jascha gerade ein. Als er aussteigt, kommt er mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck auf mich zu. Sieht mir grimmig in die Augen und kneift mir in den Arm. "Naa eine gute Fahrt gehabt?" , frage ich grinsend. "Du kleine Hexe. Warum hast du mir nicht erzählt, dass er Autofahren nicht ausstehen kann" Fassungslos visiert Jascha mich an. "Ich hatte Vertrauen in dich. Wie es scheint, hast du es doch gut gemeistert", sage ich schulterzuckend. "Jajaja. Du hättest mich trotzdem mal vorwarnen können. Er hat erst ein bisschen geweint aber dann hab ich ihn gut ablenken können. Und nach der Hälfte der Fahrt ist er eingeschlafen", erzählt Jascha und blicke auf den noch immer schlafenden Finn im Auto. "Dann ist ja alles gut gegangen", erwidere ich und gebe ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Hinter mir höre ich plötzlich ein leises Schluchzen und drehe mich langsam um.

"Mama"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 24 ⏰

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