16. Kapitel

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~Julian~

Kai hat Recht. Wer hätte gedacht, dass ich das mal sage. Aber ich muss etwas unternehmen. So kann es nicht weitergehen. Für mich nicht und auch nicht mit dem Wissen, dass Jannis auf dem besten Weg ist, sich in seine Schwester zu verlieben. Was passiert wenn sie sich noch näher kommen? Das muss ich verhindern. Mit allen Mitteln. Mit Jannis ein sinnvolles Gespräch darüber zu führen ist in etwa so wahrscheinlich, wie dass Ostern und Weihnachten auf denselben Tag fallen. Die einzige Lösung ist also mit Mila zu reden. Und zu hoffen, dass ich sie irgendwie davon überzeugen kann Abstand zu Jannis zu nehmen. Ich bin also auf dem Weg an den Ort, an dem alles begann.

Derselbe Ort.

Derselbe Wochentag.

Dieselbe Uhrzeit. 

Nur in anderer Begleitung. Statt den Jungs sitzt nun Luise neben mir im Auto. Malt kleine Kreise auf meinen Oberschenkel. Zur Beruhigung. Doch das funktioniert nur so halb. Die Selbstzweifel knabbern wieder an mir. "Ist das wirklich eine gute Idee?", frage ich in das Innere des Autos. Unsicher, ob ich Luise meine oder eigentlich nur mit mir selbst spreche. "Julian, So wie Kai schon gesagt hat, musst du mit ihr reden. Das ist gerade deine einzige Chance, sonst treffen sie sich weiter. Und naja, du weißt ja, worauf das hinauslaufen wird..." Zum Ende hin wird ihre Stimme gefährlich leise. Keiner von uns wagt es sich das vorzustellen. Ein kalter Schauer jagt über meine Schultern. 

"Ich weiß. Ihr habt ja recht", murmele ich nur. Konzentriere mich auf den Verkehr. Auf dem Parkplatz angekommen, verlassen wir das Auto und setzen uns auf einen Platz im hinteren Bereich, sodass uns keiner so schnell erkennt und wir ein bisschen ungestört sind. Die Bedienung kommt und möchte unsere Bestellung aufnehmen. Sie trägt kurze blonde Haare und ist ein er. Definitiv nicht Mila. 
"Hi. Was kann ich euch bringen?", fragt er freundlich. "Wir nehmen zweimal das Sandwichtoast und zwei Cappuccino, bitte", antworte ich.  "Kommt sofort." Der Kellner  notiert sich alles auf seinem Bestellblock und will bereits umkehren, als ich ihn zurückhalte. "Ich hätte noch eine Frage. Arbeitet Mila heute?" Er schaut mich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an. "Ja, ähm, warum, wenn ich fragen darf?", fragt er zögerlich.

"Ich würde gerne mit ihr sprechen. Ist etwas Privates..." Meine Stimme wird leise und unsicher. Der Kellner nickt und geht zurück hinter die Theke. "Was willst du ihr nun sagen?", flüstert Luise leise. Unschlüssig zucke ich mit den Schultern. So richtig, weiß ich es noch immer nicht. Nervosität kriecht durch meinen Körper, unruhig wippe ich mit dem Fuß. Um mich selbst zu beruhigen, greife ich nach ihrer Hand. Male stumm mit dem Daumen ihre schlanken Finger nach. Ich versuche mich nur darauf zu konzentrieren. 
Scheinbar gelingt es mir, denn ich bemerke nicht, wie jemand mit unserer Bestellung an den Tisch tritt. Erst als Luise meine Hand sanft drückt und mir die andere Hand auf die Schulter legt, hebe ich meinen Kopf. Ich hebe den Kopf und blicke direkt in ihre Augen. 
Milas Augen. 
Sie sieht nervös aus. Vorsichtig hebt sie unsere Getränke und das Essen vom Tablett und stellt es vor uns ab. Das leere Tablett zieht sie an sich, hält es vor ihrem Körper, als wäre es ein Schild. Als wäre es ihre Rüstung, mit der sie sich vor mir schützen muss. "Du wolltest mich sprechen?", fragt sie zögerlich. "Äh...ja... vielleicht kannst du dich setzen? Es könnte etwas dauern...", frage ich vorsichtig. Verwirrt sieht sie mich an, setzt sich dann zögerlich auf den freien Stuhl. Wartet ab. Stumm. Es ist nicht zu übersehen, dass ihr das hier unangenehm ist. Ich verübele es ihr nicht. 

"Es geht um Jannis und dich", murmele ich leise. Mila legt ihre Stirn in Falten. "Was ist mit uns?" Die Skepsis in ihrer Stimme ist kaum zu überhören. "Ich...äh... möchte mich eigentlich wirklich nicht einmischen. Ich weiß, dass ist sicher schwer zu glauben, weil ich es ja tue. Schon wieder. Ich mach das wirklich nicht gerne und das bedeutet auch nicht, dass ich dich nicht mag. Ich...bitte...halte dich von ihm fern..." Meine Stimme kriecht nur schwer über meine Lippen. Als würden die Worte nicht ausgesprochen werden wollen. Weder die Worte, noch ich wollen es. Niemand will es. Doch ich muss.

Mila klammert sich noch immer an dem Tablett fest, doch ihr Gesichtsausdruck hat sich verändert. Sie ist wütend. "Und warum, bitte?" Ihre Stimme zischt ein wenig, während sie mich wie ein Jagdhund mit ihrem Blick fixiert. Ich schlucke. Warum, warum, warum. Warum bin ich eigentlich derjenige in dieser beschissenen Position?! Ich will das doch nicht. "Das kann ich dir nicht sagen...", gebe ich leise zu. Mehr Ehrlichkeit kann ich ihr in diesem Moment nicht geben. "Und warum nicht?", bohrt Mila nach. Hartnäckig. Es scheint in der Familie zu liegen.

Ich schweige, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. "Mhm? Du kannst doch nicht einfach durch die Weltgeschichte laufen und Menschen den Kontakt verbieten wollen, ohne dafür wenigstens einen Grund zu nennen!" Diesmal zischt ihre Stimme wirklich. Traurig sehe ich sie an. "Glaub mir, wenn ich könnte, würde ich es dir sagen. Ich muss aber erst sicher sein. Ich muss das selbst erst herausfinden."Mila schweigt. Schaut auf ihre Füße. Scheint nachzudenken, wie sie mir am schmerzhaftesten das Tablett, um die Ohren schlagen kann. Doch dann sieht sie mich an. Diesmal direkt in meine Augen. Als sie spricht, ist die Wut aus ihrer Stimme verflogen. Nun klingt sie traurig, ernüchtert, vielleicht enttäuscht. "Okay, ich mach's. Ich halte mich von Jannis fern. Du scheinst es ja ziemlich ernst zu meinen...Ich vertraue jetzt darauf, dass du einen guten Grund hast."


Hunderte von Steinen fallen mir vom Herzen. Und dann springe ich einfach auf. Springe auf und umarme sie. Ich halte meine Schwester im Arm. Meine Schwester, die nicht weiß, dass ich ihr Bruder bin, sondern mich wahrscheinlich für einen grenzüberschreitenden Vollidioten hält. Schnell lasse ich meine Arme sinken, als ich begreife, wie sich das gerade für sie anfühlen muss. "Sorry", murmele ich und setze mich wieder. Mila steht unschlüssig noch immer an Ort und Stelle, bis sie sagt: "Ich muss jetzt mal weiter arbeiten...Lasst es euch schmecken." Dann verschwindet sie hinter dem Tresen. Ich sehe ihr nach und begreife, dass ich nicht mehr suchen muss. Es hat ein Ende. Ich habe sie gefunden, da bin ich mir sicher. Absolut sicher. Das sagt mir mein Bruderinstinkt. Falls es so etwas gibt. 
Erlöst, erleichtert, erfreut. So beenden wir unser Frühstück, bezahlen und machen uns auf den Weg nach Hause. Meine Freundin geht erstmal ins Büro, da sie noch einiges für die Uni erledigen muss. Währenddessen zücke ich mein Handy aus der Hosentasche und rufe Kai per Videoanruf an.


"Ey Bruder, was grinst du denn so doof? Hast eine schöne Nacht gehabt?", fragt Kai mit wackelnden Augenbrauen.  Ich verdrehe neuen Augen. "Ja... Nein... Nicht deswegen. Ich habe mit Mila geredet" "Ach hast du meinen Rat doch befolgt?" Kais Stimme nimmt einen selbstgefälligen Ton an. Mir ist das gerade völlig egal. Ich bin glücklich. Einfach glücklich. "Ja und er war ein voller Erfolg. Sie hält sich von Jannis fern", erzähle ich triumphierend. "Das nenne ich wirklich einen vollen Erfolg. Ich wusste es. King Kai hat immer Recht." Selbstgefällig. Ich sag's ja. "Aber ich glaube das wird Jannis nicht gefallen...", schiebt Kai hinterher und verzieht sein Gesicht. "Ich weiß, aber das ist mir jetzt im Moment egal. Muss mir egal sein. Kai, das sind Geschwister und wenn ich mir nur ausdenke, dass die zusammen in der Kiste landen könnten, dann..." Ich wedele aufgebracht mit meinen Armen. "Ja danke,  jetzt habe ich Kopfkino", jammert Kai und hält sich die Augen zu, als würde das Kopfkino vor seinen Augen sich abspielen und nicht dahinter. "Aber... Ich weiß zu 100%, dass sie meine Schwester ist. Ich habe es gefühlt, als ich sie umarmt habe.""Das freut mich doch für dich. Dann muss ich mir dein Gejammer ja wenigstens nicht mehr anhören", entgegnet Kai. Das hat man eben davon, wenn man sich jemandem anvertraut. Es wird einem als Gejammer ausgelegt. Ich schnaube frustriert. "So schlimm war ich auch wieder nicht", gebe ich patzig zurück. "Darauf antworte ich jetzt mal nicht", grinst Kai eiskalt. Fängt sich dann jedoch wieder und schlägt einen versöhnlicheren Ton an. "Aber jetzt sag mal. Wie läuft das Training?" Wir reden über alles mögliche. Training, Bundesligaspiele, Champions League, DFB-Pokal. Kai's Hochzeit. Die Zeit verfliegt wie im Flug. Es ist immer wieder schön mit seinem besten Freund zu quatschen. Auch wenn uns tausende Kilometer trennen.

Denn...

Das Duo wird ewig leben.

Hope Never DiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt