Früh schlich Luis sich aus der Wohnung. Der Tag seiner Abreise war endlich eingetroffen. Gleich als erstes besuchte er seine Instruktorin. Ein letztes Mal gingen sie alle Regeln durch.
Identifiziere den Schelm.
Hänge dich an ihn ran.
Erfahre Neues und zeichne es auf.Am aller wichtigsten jedoch: Es ist alles nur ein Spiel. Binde dich nicht. Komme niemanden zu nah. Halte deine Gefühle raus und vergiss nie ihre wahre Natur. Ein Monster muss nicht wie eines aussehen. Oft trägt es ein charmantes Lächeln und verbirgt sich hinter rosa Wangen.
"Und Luis," mahnte sie mit ihrer Hand auf seinem Knie, "benimm dich."
Als hätte er etwas anderes vor. Er hatte einen Job zu erledigen. Valerie hatte sich nicht ohne Grund an seine Schwester rangemacht. Eine Halbgöttin gab sich nicht mit Sterblichen ab. Nicht seit Olivias Tod. Er wollte seine Rache? An welchem Ort würde er die Mittel finden, wenn nicht an der Universität der Halbgötter? Gegründet von den Mächtigsten für die Schwächsten. So voller Wissen, Kreaturen und Artefakte, dass er gewiss fündig werden würde.
Die kindliche singsang Stimme in seinem Hinterkopf - I'm going to learn magic! I'm going to learn magic! - steuerte gewiss nicht zu seiner Vorfreude bei. Die ganzen Freaks sollten ihre Hände bloß bei sich behalten. Wer wusste schon, was sie vorhin angefasst hatten. Ob ellbogentief in jemandes Körper oder Finger in Kuhaugen gedrückt - Luis verlangte einen Sicherheitsabstand von drei Metern.
Bevor er sich von ihr verabschiedete, drückte Mrs. Nolan ihm noch einen USB-Stick in die Hand.
"Ein Tipp des Schelms", meinte sie. "Das Kellerabteil in dem du ihm triffst? Anscheinend gibt es dort einen Laptop mit Informationen für uns. Steck ihn rein und wir haben sie. Lass ihn dreißig Sekunden stecken und wir haben noch einen weiteren Vorteil."
Das war es dann auch schon. Er bekam nicht einmal eine Umarmung. Nicht das er eine gewollt hätte, aber dennoch - unhöflich.
Ein kleiner Arztbesuch, ne nette Dosis Narkotikum und eine einstündige Fahrt später fand er sich schließlich in der nächstgelegenen Stadt. Natürlich hatte ihn niemand verabschiedet. Nicht einmal Cleo und auch der Sprössling von einem Baum stand nicht mehr, um sein Gehen zu bemerken.
Wie ausgemacht landete der Hubschrauber vor ihm um Punkt elf in einem zufällig ausgewählten Park. Nicht ein Klang entrang den wirbelnden Propellern. Es war mucksmäuschenstill. Generell schien der Helikopter mehr zu schweben, als zu fliegen. Ansonsten wirkte er jedoch wie ein stinknormaler, wenn auch leicht schmuddeliger Hubschrauber. Ein kleines, blaues Ding, in das kaum fünf Leute passen würden. Zum Glück waren die Rücksitze noch alle frei. Komisch, doch Luis würde keinem geschenkten Gaul ins Maul blicken.
Die Tür sprang auf, da hatte Luis sich ihr kaum genähert. Er stieg ein, den Rucksack in seiner Hand und setzte sich gleich in den ersten Sitz. Er hätte die Stille bevorzugt, doch die Pilotin konnte wie erwartet ihre Klappe nicht halten.
"Yolanda", stellte sie sich vor, als wäre sie mehr als der Dreck unter den Füßen seiner Spezies. Luis machte sich daran, den Gurt auf die andere Seite des Sitzes zu ziehen, da winkte sie lachend ab. "Brauchst dich nicht angurten. Lass mich raten: Dein erstes Mal?" Luis nickte. "Wird dir gefallen. Ich bräuchte nur deinen Namen und dann kannst du auch schon zu den anderen."
"Bennett. Luis Bennett." Yolanda summte und rückte sich ihre Kappe zurecht. Dann beugte sie sich hinüber zu dem Sitz neben ihr, ließ ihre Augen über das Clipboard wandern und setzte dann einen Hacken neben seinen Namen.
"Jap, da haben wir dich schon. Weiß wie ne Braut - passiert heutzutage selten, dass sich jemand bewirbt, der komplett unerfahren ist. Ein kleiner Tipp von mir, bevor ich dich nach hinten schicke: Nimm dir eines der Silbertabletts, wenn du sie siehst. Die machen einen halbwegs guten Schild, falls mal wieder jemand die Cupcakes zum Explodieren bringt. Passiert öfter, als man glaubt. Ist beinahe schon zur Tradition geworden."
Luis musste sich davon abhalten, die Augen zu verdrehen. Explodierende Cupcakes? Für was genau sollte das jetzt eine Metapher sein? Orgien, Handabhacken, Fäkalienschlachten?
"Äh - ja, klingt...lustig", sagte er schließlich.
"Keine Sorge, der Beißer der Uni fliegt schon lange nicht mehr mit." Bevor Luis auch nur beginnen konnte, sich eine Antwort zu überlegen, drückte Yolanda auf einen der Knöpfe. Sein Stuhl drehte sich und im nächsten Moment blickte er nicht mehr aus dem Fenster des Cockpits, sondern mitten in einen Raum, gefüllt mit so vielen Leuten, das er fast meinte, sich bereits auf dem Campus zu befinden.
Es war laut. Jede Konversation beinahe ein Gebrüll, um sich über die anderen Gespräche verstehen zu können. Und es stank. Bittersüß, als würde er sich in einem viel zu bunten Schokoladen befinden.
Mit gerümpfter Nase stand Luis auf.
"Achtung!", schrie jemand zu seiner Linken und zack landete er wieder in dem Stuhl. Ein - war das ein Kolibri? - schnellte an ihm vorbei, gejagt von einen Jungen mit gelben Lippen und lila Haaren. Die beide verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren, irgendeinen Gang entlang, der weiß Kontrolle wo hinführte.
Papierflugzeuge sausten über ihm durch die Luft und zogen Ketten aus Bonbons hinter sich her. Keines von ihnen schien je zu landen. Magienutzer unterschiedlichen Alters trudelten durch den Raum, verdammt, Luis konnte sogar zwei Teenager sehen - beide gewiss kaum älter als fünfzehn.
Es war ein absolutes Chaos. Beinahe wie die Geburtstagsfeier dieser einen reichen Göre.
Erneut stand er auf.
"Gepäck?", fragte er die erste Person, die an ihm vorbeiging.
"Oh! Ähm - den Gang entlang sich - äh - sind - ein paar kleine Ab...teile. Würde aber vorher anklopfen. Unbedingt. Definitiv. Manche vergessen zuzusperren", sagte die Frau, ehe sie ihn schief anlächelte und mit leicht gesenktem Blick weiterlief.
Man waren die Leute hier schräg. Ein Mann mit flüchtigem Kolibri, eine Frau, die 'unwohl' förmlich auf die Stirn tätowiert hatte. Was als nächstes? Ein Schlangenbeschwörer? Eine Pyrotechnikerin? Luis wollte es nicht herausfinden, also machte er sich schnell auf den Weg zu den Abteilen.
Er öffnete das Erste, das er fand. Riss die Tür förmlich auf.
Doch wo er Sitze, eine Ablage, vielleicht auch ein festmontiertes Tischlein erwartet hatte, fand er einen Teich vor. Kein Scherz. Inmitten des Abteils war ein Teich, komplett mit Lotusblumen und Libellen. Ein gottverdammter Teich! Wie-? Warum-? Wer bitte war auf die Idee gekommen-?
Luis schlug die Tür eisern hinter sich zu und tat das, was jeder vernünftige Mensch in dieser Situation gemacht hätte.
Er schrie.
---
Hi! Ein etwas kürzeres Kapitel diesmal. Am liebsten hätte ich euch gleich alle Features des Transportmittels gezeigt und euch mit Kinderaugen durchgeführt - Luis' Perspektive lässt das jedoch nicht zu. Vorurteile eben. Für ihn sind diese Stunden ziemlich cut and dry, genauso muss ich sie also schreiben. Kurz und bündig.
Wie hätte euch die Fahrt auf dem Helikopter gefallen?
Was glaubt ihr befindet sich in den anderen Abteilen?
Wie immer freue ich mich auf alles was ihr zu sagen habt!
PS: Vergesst nicht etwas zu trinken. Mein letzter Schluck ist auch schon eine Weile her.
DU LIEST GERADE
Dreams of Greed
FantasíaUpdates jeden Freitag! Luis ist ein Arsch und das ist noch glimpflich ausgedrückt. Er spuckt Vorurteile mit jedem Wort. Für ihn ist Magie das größte Übel. Die einzige Ausnahme? Olivia, tote Halbgöttin und Kontrolle in Menschenform. Freude ist für ih...