Kapitel 6 - Luis

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Luis seufzte, als er eine Ausgabe der Uniform und einen kleinen Sportsack am Eingang entgegennahm. Die Situation eben hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht. Er war noch nicht einmal zwei Stunden hier und schon hatte er Aufsehen erregt. Die kleine Szene würde ihm das Rumschleichen sicher nicht vereinfachen. Die Wachen würde bestimmt tratschen, Gossip gehörte bei Jobs wie diesen ja beinahe schon zur Grundausstattung.

Widerwillig begab er sich in eine der Umkleidekabinen. Hätte er gewusst, dass sie ihn gleich zum Umziehen zwingen würden, hätte er sich das ganze Hin und Her mit seinem Outfit erspart. Und dabei sah er doch so gut aus. Die richtige Menge an Durchschnitt, um nicht aufzufallen, aber nicht zu viel, um spießig zu wirken. Kurz gesagt: Ein roter Pullover und eine braune Highwaist-Stoffhose.

Und jetzt das. Luis stopfte seine Kleidung in seinen Rucksack, schnürte den Beutel um einen der Griffe und zog sich das weiße Shirt über den Kopf. Die weiße Jogginghose war auch rasch angezogen. Der Stoff war angenehm, doch nicht gerade ansehnlich. Ein wenig kalt auch.

Zuerst wurde er am Durchgang aufgehalten und jetzt bekam er auch noch eine Gänsehaut. Dennoch: Luis hatte vorhin wirklich Schneid gehabt. Wäre die Frau nicht aufgetaucht, wäre das Ganze bestimmt in einer Katastrophe geendet. Für eine Magienutzerin war sie gar nicht einmal so übel. Abgesehen von dem grotesk auffallendem Make-up - Wimpern, Brauen, Lippen und Liner, alles in demselben schrecklichen Emojifroschgrün - und der genauso ansehnlichen Flummipersönlichkeit. Auf dem Schlachtfeld würde er ihr die Kehle ausreißen, keine Frage, doch Anstand war etwas, das Luis respektieren konnte.

Ihr Begleiter jedoch hatte nichts Sittliches an sich gehabt. Vom ersten Moment an, als er gelangweilt über die Seiten seines Buches zu ihm geschielt hatte, hatte Luis seinen Missmut bemerkt. Es war ein Wunder, dass er die Frau nicht gleich an ihrem Ärmel weitergeschliffen hatte.

Wie lange die beiden wohl schon miteinander rummachten? Ein gutes Paar gaben sie zwar nicht gerade ab - zu viele Reibereien - doch jedem unterlief mal ein Fehler.

Aus einer Laune heraus öffnete er noch einmal den Rucksack und fischte seinen Gürtel heraus. Es dauerte einen Moment, aber schon bald hatte er die kleine blaue Pille aus der Schnalle befreit. Er hatte eigentlich noch einen Tag damit warten wollen, die letzte einzunehmen, doch jetzt ging es nun einmal nicht anders. Er musste dem Schelm logisch gegenübertreten. Zwei der Dinger am Tag waren zwar nicht gerade empfohlen, aber was solls? Luis schluckte sie in einem herab.

Die Wirkung setzte nicht gleich ein, natürlich nicht. Dennoch: Luis Schultern entspannten sich ein wenig. Allein das Schlucken brachte schon eine gewisse Erleichterung mit sich. Bald würde seine Haut noch tauber werden als ohnehin schon. Auch der kümmerliche Rest seiner Hormone würde in wenigen Minuten dem Wirkstoff erliegen. Nichts würde ihn dann aus der Ruhe bringen können. Genauso wie Olivia würde er den Launen seines Körpers nicht mehr zu Füßen liegen.

Die Schultern straff und mit erhobenem Kinn drängte Luis sich zielstrebig durch die weiß gekleidete Menschenmenge, bis er in der Mitte der Kuppel zum Stehen kam.

Die Kuppel war in fünf Arrangements geteilt worden, von denen jede die Farbe eines Ranges repräsentierte. Blau, Grün, Rot, Violett und Schwarz. Alle waren sie versammelt, alle außer das Arrangement der Weißen, die Farbe der Neuankömmlinge. Deren Stand befand sich außerhalb der Kuppel, wo sie das Nötigste an Frischlinge wie ihn verteilten.

Bis jetzt hatte Luis noch keine Gelegenheit gehabt, einen Blick in den Beutel zu werfen, den man ihm in die Hand gedrückt hatte, doch wenn er raten müsste, würde er sagen, dass dieser ein Bündel Kleider, ein oder zwei Bücher und vielleicht auch etwas zum Knabbern enthielt. Die Grundausstattung also.

So hedonistisch der ganze Aufzug auch war, Luis kam nicht darum hinweg dieses Gebäude zu verehren. Für eine Tyrannenfabrik, versteckt in einem kleinen Vorort in der Schweiz, der nur wenig von ihrer Präsenz profitierte, hatte es einen gewissen Charme. Die große Kuppel, die von außen hin mehr nach Dekor als einem Schutzschild wirkte, bildete den Eingang und verbarg die Kilometer, die sich hinter ihr verbargen. 

Dreams of GreedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt