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Ace

„Vergiss es, das mach ich nicht, sowas mach ich nicht!", wehrte ich mich zum bestimmt fünften Mal.

„Stell dich nicht so an." Trish zupfte eine Serviette aus der Metallhalterung am Tisch, schob sie mir hin und kramte einen Kugelschreiber aus ihrer Tasche. „Schreib deine Nummer da drauf, geh zu ihr, sag ihr, dass du findest, dass sie sympathisch aussieht und sie dich anschreiben soll, wenn sie sich mit dir treffen möchte."

Dee grinste mich von einem Ohr zum anderen an. Nicht, weil sie mich ermutigen wollte, sondern, weil sie unfassbar viel Schadenfreude empfand.

Ich hasste es, mit Trish in die Öffentlichkeit zu gehen. Sie war eine Person, die überall nur Pärchen sah und sie liebte es, mich zu verkuppeln. Meistens klappte es nicht, weil ich nicht mitspielte, aber nachdem ich heute ein paar Mal zu oft zu dem blonden Mädchen gesehen hatte, das auf dem großen Platz auf den Stufen des hohen Brunnens mit seiner Freundin saß und einen kleinen Eisbecher löffelte, hatte Trish ihre Chance gewittert.

„Da ist doch nichts dabei", fuhr sie fort.

„Ich weiß, aber-", frustriert zupfte ich mir das schwarze Bandana vom Kopf um mir durch die Haare zu fahren. „Dee, wie würdest du dich fühlen, wenn plötzlich ein fremder Kerl auftauchen und dir seine Nummer in die Hand drücken würde?"

„Die Tatsache miteinberechnet, dass ich eine Sirene bin und mir jeder Mensch auf der Welt seine Nummer geben wird, wenn ich das so möchte?", hakte sie unschuldig nach und rührte mit dem Strohhalm in ihrer Cola. Der Kellner hatte ihr Eiswürfel ins Getränk getan und eine Zitronenscheibe an den Rand des Glases gesteckt. Das Restaurant lag direkt an der Straße und weil das Wetter schön war, saßen wir draußen unter einem großen Schirm und ich konnte das Meer sehen.

„Ich krieg ständig Nummern von Mädchen, an denen ich nicht interessiert bin", erklärte ich und zog mir das Haarband wieder über den Kopf. „Ich weiß doch, wie unangenehm das ist."

Auf keinen Fall wollte ich jemanden in Verlegenheit bringen. In erster Linie wollte ich mich selbst nicht in Verlegenheit bringen.

Trish ergriff die Initiative und begann meine Nummer auf die Serviette zu schreiben.

„Du bringst niemanden in Verlegenheit, wenn du ihr einfach deine Nummer gibst und wieder gehst."

Ich verschränkte die Arme und ließ den Kopf in den Nacken fallen.

Es war eine Seltenheit, dass ich auf Mädchen traf, die mich nicht an meine Schwestern erinnerten und nicht den puren brüderlichen Beschützerinstinkt in mir weckten. Es war schwer, jemanden attraktiv zu finden, wenn man in ihm die eigenen Schwestern sah. So wie das Mädchen in der Bahn. Sie hatte nichts gesagt, als diese Typen sie geärgert hatten. Sie war einfach stumm sitzen geblieben und hatte alles über sich ergehen lassen. Sie war eine Dee gewesen. Ich hatte ihr helfen müssen. Aber als sie mir ihre Nummer gegeben hatte, war das Ganze in eine falsche Richtung gegangen.

Trish schob mir die Serviette mit der Nummer noch einmal hin, aber ich schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht machen, echt nicht."

„Entweder du gehst da hin, oder ich tu es."

„Machst du nicht."

„Wetten?" Sie zog amüsiert die Augenbrauen hoch. „Ace, ich flehe dich an, das ist das erste Mal, dass ich sehe, dass du ein Mädchen attraktiv findest und du willst ihr deine Nummer nicht geben, weil...?" Sie deutete wage auf mich, um den Satz zu vervollständigen.

Ich seufzte tief, griff nach der Serviette und stand auf. Im Grunde genommen hatte sie recht, aber es fiel mir nicht immer leicht, einfach so mit fremden Menschen zu sprechen. Im Kreise meiner Familie fühlte ich mich sicher. An der Seite meiner Schwester fühlte ich mich sicher, aber sie saß zu Hause und arbeitete an unserem Chemieprojekt. (Zumindest hatte sie das gesagt, wahrscheinlicher war jedoch, dass sie einfach keine Lust darauf gehabt hatte, mit uns Mittagessen zu gehen). Oft konnte ich meinen Charme und meine Selbstsicherheit vortäuschen, wenn ich mich durch die Welt schlagen musste, aber definitiv nicht, wenn ich kurz davor war, einer hübschen Blondine mit Hotpants und Spaghettiträgern meine Nummer auf einer Papierserviette zu geben. Das lag ganz und gar nicht im Bereich meiner Komfortzone.

Cold Blood (Band 5)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt