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Freya

Es klingelte an der Türe. Mom machte die Türe auf. Der große, breite Kerl, den alle immer Jerry nannten, brachte meinen Bruder und mich in das Zimmer von Mom und Dad. Ich mochte ihn, weil er mich immer anlächelte und am Arm durch unsere Küche trug.

Er kam herein.

Ich wollte Mom anschreien, dass sie ihn nicht hereinlassen durfte. Sie sollte weglaufen, auch, wenn er wie ein harmloses Kind aussah. Jerry verließ das Zimmer. Ich begann zu schreien und hörte kaum, was im Wohnzimmer gesprochen wurde. Kurz darauf fiel etwas Schweres zu Boden. Mom schrie. Ich schrie.

Mom. Mom. Mom.

Ich konnte nicht sehen, was passierte, ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nur schreien. Ace weinte neben mir. Ich wusste nicht was vor sich ging, aber ich spürte es.

„Lass mich dir helfen." Die einzigen Worte, die ich über meine Schreie hinweg verstand. Ich wusste, was passierte, ich spürte, was passierte.

Die Türe wurde aufgeschoben. Blutgeruch, den ich noch nicht als solchen identifizieren konnte, stieg mir in die Nase.

Mom. Mom. Mom.

Es war nicht Mom. Es war der Junge mit den roten Haaren. Es war Cash. Er beugte sich über mich und Ace. Er weinte, warum weinte er, er hatte kein Recht zu weinen! Ich sah die blutbedeckte Klinge in seiner Hand. Ich schrie ihm in sein Gesicht. Schrie meinen Zorn, meinen Schmerz, meinen Hass in sein Gesicht. Seinen Tränen tropften auf meine Wangen. Sie vermischten sich mit meinen. Ich wischte sie nicht weg. Ich schlug fester und fester und fester und fester.

Sein Gesicht würde ich niemals vergessen. Diese traurigen Augen, die mich angesehen hatten, als würden sie um Verzeihung bitten. Als hätte er das Recht, darum zu bitten! Ich würde ihm nie verzeihen. Warum hatte er das getan, warum hatte er meine Mutter so kaltblütig ermordet? Warum durfte er leben, aber Mom nicht?

Tränen strömten über mein Gesicht, meine Fingerknöchel waren taub, ich spürte sie nicht, ich schaffte es nicht, durch den Schleier meiner Erinnerungen zurück in die Realität zu dringen.

Mit jedem Schlag schrie ich. Komm zurück, komm zurück, komm zurück!

„Es tut mir leid." Seine Stimme, sein Schluchzen. Es würde ihm noch leidtun!

Lass mich dir helfen.

Er hatte mir meine Mom genommen!

Es tut mir leid.

Er lief immer noch frei herum!

Ich wollte raus aus diesen Erinnerungen. Ich ertrug sie nicht mehr. Die Erinnerungen flackerten zu schnell hinter meinen Lidern. Jerry; Mom, die Schreie, das Blut, Cash. Den Schleier fast durchdrungen, sah ich Moms Gesicht, kurz bevor sie gestorben war. Ich spürte, wie Onkel Aidan mich in ihre Arme legte. Jemand musste etwas tun, jemand musste ihr helfen! Ich konnte nicht zu weinen aufhören.

Ich konnte spüren, wie ihr Herz zu schlagen aufhörte.

Mom, Mom, Mom!

Ich würde Cash umbringen.

~~ ~~

Krampfhaft starrte ich auf meine blutigen Fingerknöchel. Jetzt spürte ich den Schmerz, aber es war eine gute Art von Schmerz, denn er bewies mir, dass ich wieder in der Realität angekommen war.

Die Erinnerungen an das, was damals geschehen war, hatten mich mit sich gerissen, wie Wellen bei einem Unwetter auf hoher See. Ich hatte ihnen nicht entkommen können. Und sie hatte mir einmal mehr das Herz zerfetzt.

Cold Blood (Band 5)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt