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Nuria

Mein Gegenüber räusperte sich, während er verwirrt zu Boden blickte und jeden Blickkontakt mit mir zu vermeiden schien.

Was zur Hölle war hier gerade passiert? Fragend schaute ich zu Edward, der sich offensichtlich ein Schmunzeln verkneifen musste. Natürlich hatte er unsere Gedanken gelesen.

»Du musst Nuria sein.« Der Fremde schien seine Stimme wiedergefunden zu haben.

»Scheinbar«, antwortete ich, »und du bist wer?«

»Sorry«, nuschelte er, »ich bin Paul Lahote.«

Nahezu verunsichert hielt dieser Paul mir seine Hand entgegen. Argwöhnisch schüttelte ich seine Hand. Als er meine Hand nach fünf Sekunden des Händeschüttelns immer noch nicht losließ, räusperte ich mich auffordernd.

Schlagartig ließ er meine Hand los und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Was stimmte denn mit diesem Typen nicht? Und warum zur Hölle stank er so nach nassem Hund?

»Er ist ein Werwolf«, beantwortete Edward meine unausgesprochene Frage.

Daraufhin rümpfte ich nur die Nase. Diese ganze Begegnung war mir verdammt unangenehm, und warum hörte dieser Werwolf nicht auf, mich anzustarren?

Was ich in diesem Moment allerdings vergaß, war es, die Luft anzuhalten. Plötzlich wurden mir die ganzen Menschen im Raum wieder bewusst. Bereits nach wenigen Sekunden begann meine Kehle wieder zu brennen. In diesem Moment vergaß ich alles. Ich vergaß den komischen Werwolf, der immer noch vor uns stand. Ich vergaß sogar meine Geschwister, die neben mir standen.

Ich konnte nur noch an das Blut denken, das hier in nahezu jeder Halsschlagader pulsierte. Und daran, wie es wäre, den Menschen genau diese Ader jetzt herauszureißen, um das warme Blut in meiner Kehle spüren zu können.

Bevor ich auch nur einen Schritt vorwärts gemacht hatte, packte Edward mich grob am Arm und begann, mich aus dem Haus zu ziehen. Ich wollte keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen, wollte ich wirklich nicht, aber ich war nicht mehr Herr meiner Sinne. Ich wollte einfach nur Blut.

Also wehrte ich mich gegen Edwards starken Griff. Da ich noch als Neugeborener Vampir galt, konnte ich mich sofort befreien. Doch bevor ich mich auf den nächstbesten Menschen stürzen konnte, wurde ich von mehreren starken Armen gepackt. Egal, wie stark ich versuchte, mich zu befreien, ich hatte keine Chance.

Edward, Jasper und Carlisle packten mich und schleiften mich nach draußen. Ich begann zu knurren, aber sie schenkten dem keine Beachtung. Sie versuchten, mich so schnell wie nur möglich weg von dem Haus zu schaffen. Vermutlich, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen.

Nachdem wir bestimmt einen Kilometer vom Haus entfernt waren, ließen sie mich endlich los. Ich ging sofort in Kampfstellung und begann, sie wieder anzuknurren. Ich war wie verrückt geworden, aber dieser Durst machte mich auch einfach verrückt.

»Nuria, beruhige dich«, sagte Carlisle sanft.

»Mich beruhigen?« sagte ich aufgebracht. »Du hast mir all das hier überhaupt erst angetan!«

Carlisle sah mich durchdringend an.

»Warum hast du mich damals nicht einfach in dieser Gasse verbluten lassen?« fragte ich ihn verzweifelt. »Das wäre für uns alle das Beste gewesen.«

Zitternd ging ich zu Boden. Wie gesagt, ich war nicht mehr Herr meiner Sinne. Und gerade in diesen Zuständen wurde ich emotional. Ich wollte mich nicht nach dem Blut von Menschen sehnen, schließlich war ich doch vor kurzem selbst noch einer von ihnen.

Aber von nun an konnte ich nie wieder wie sie sein. Ich hätte mein ganzes Leben noch vor mir. Sollte nun mein letztes Jahr an der Highschool beenden, bald zu studieren beginnen und ständig auf irgendwelche Partys gehen. Ich sollte mein Leben leben können und sturzbesoffen über der Kloschüssel hängen. Nun war ich mein ganzes Leben dazu verdammt, hier festzustecken. Ich würde all diese Erfahrungen nie machen können.

Vorsichtig hockte Carlisle sich zu mir auf den Boden und strich mir sanft über den Kopf. »Es ist okay, Nuria. Es ist okay, dass du nicht okay bist.«

Zitternd ließ ich mich in seine Arme sinken. Das hatte ich noch nie getan. Aber meine richtigen Eltern glaubten, dass ich tot bin. Sie dachten, dass ich bei der Attacke gestorben war. Und sie dürften niemals wissen, dass ich noch am Leben war. So sah es das Vampirgesetz vor. Also waren Carlisle und Esme alles, was ich an Eltern noch hatte. Und sie gaben sich wirklich Mühe, aber ich machte es ihnen nicht leicht, und das wusste ich.

»Wird es jemals besser?«

»Du wirst dich dran gewöhnen«, antwortete Jasper, bevor Carlisle es tun konnte, »aber du bist nicht alleine, wir haben uns auch mal so gefühlt, wie du es jetzt tust.«

Zustimmend nickte Edward. »Irgendwann wird sich der Durst nicht mehr so unerträglich anfühlen.«

Nachdem ich noch ein paar Minuten brauchte, um mich halbwegs zu beruhigen, löste ich mich von Carlisle.

Nachdem mein Rausch zu Ende war, war mir mein Ausbruch wahnsinnig unangenehm.

Doch bevor ich mich entschuldigen konnte, winkte Edward ab.

»Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen.«

»Aber ich habe euch allen die Party verdorben.«

»Hast du nicht«, entgegnete Jasper. »Die Party war mehr für Alice als für uns. Dir geht es gut, das reicht uns.«

Dankbar lächelte ich Jasper an.

»Und nun lass uns jagen gehen«, sagte Carlisle freundlich. »Ich glaube, das hat hier jemand ganz dringend nötig.«

Lächelnd zwinkerte er mich an.

Also brachen wir auf. Die Zeit mit meiner Familie half mir, wieder klarzukommen. Beim Jagen bekam ich den Kopf frei und verschwendete keine Sekunden mehr, um an die Menschen in unserem Haus zu denken. Obwohl ich doch zugeben musste, dass dieser komische Werwolf noch ein paar Mal während der Jagd durch meinen Kopf huschte.

Edward, der wieder mal meine Gedanken zu lesen schien, quittierte dies mit einem Lächeln. Was wusste er darüber, was ich nicht wusste?

Maybe in another life ║ Paul LahoteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt