07

72 5 0
                                    

Paul

Vier Tage.

Vier verdammte Tage war es her, seitdem ich Nuria das letzte Mal gesehen hatte. Und Sam hatte nicht gelogen, als er sagte, dass ich krank werden würde, wenn ich Nuria über einen längeren Zeitraum nicht sehen würde.

Gestern hatte die Appetitlosigkeit eingesetzt, und heute bekam ich zudem noch die Übelkeit zu spüren. Außerdem war mir komischerweise noch wärmer als sonst, was nun schon wirklich unnatürlich war, weil wir mit unserer normalen Werwolfkörpertemperatur schon weit über dem Durchschnitt liegen.

Träge verwandelte ich mich zurück in einen Menschen. Ich hatte gerade zusammen mit Embry und Jacob Patrouille gemacht, was für mich körperlich sehr anstrengend war.

Nun schleppte ich mich zurück zu Sams und Emilys Haus, wo die beiden schon auf mich warteten.

»So kann es nicht weitergehen«, sagte Sam, als ich mich auf die Couch fallen ließ. Auch Emily sah mich besorgt an.

Meine Glieder fühlten sich schwer an, und ich würde am liebsten die Augen schließen. Die Erschöpfung steckte mir tief in den Knochen.

»Wir müssen endlich etwas tun, Sam«, sagte Emily, voll in ihrer Mutterrolle, »so geht er uns innerhalb der nächsten Woche vor die Hunde.«

Sam nickte nachdenklich. »Du hast Recht, ich werde mich darum kümmern.« Und schon verschwand er aus der Küche. Ich hatte keine Ahnung, wo er hinging, aber es war mir auch egal. Ich war zu erschöpft, um darüber nachzudenken.

Besorgt legte Emily mir ihre Hand auf die Stirn. »Oh Paul, deine Temperatur ist nun noch wärmer als sonst.«

»Tja«, sagte ich mit einem verschmitzten Grinsen, »ich bin nun mal heiß.«

»Immerhin hat er seinen Humor nicht verloren«, sagte Embry, welcher sich neben der Couch auf den Boden fallen ließ.

Emily verschwand wieder in der Küche und kam wenige Minuten später mit einem Tee und einem kalten Waschlappen zurück. Sie drückte mir den Tee in die Hand und hielt mir den kalten Waschlappen an die Stirn.

Durch meine erhöhte Temperatur blieb der Lappen nur kurz kalt, aber dieser kurze Moment tat gut. Emily strich mir liebevoll über die Wange.

Seitdem meine Eltern sich getrennt hatten, hörte ich nur noch ganz selten etwas von meiner Mutter, weswegen Emilys Fürsorge mir wahnsinnig nahe ging. Ich war ihr sehr dankbar.

Leider gehörte es nicht gerade zu meiner Natur, etwas anderes als Aggressivität zu zeigen, aber ich glaubte, dass Emily meine Dankbarkeit trotzdem spürte. Jedenfalls hoffte ich es.

Nach wenigen Minuten, in denen ich auf der Couch lag, dämmerte ich langsam weg.

Als ich wieder wach wurde, hatte sich das gesamte Rudel, abgesehen von Leah, am Esstisch versammelt, wo sie zu Abend aßen. Die Stimmung war anders als sonst, irgendwie bedrückter. Keiner machte Witze, und sie waren furchtbar schweigsam.

Schwerfällig hievte ich mich von der Couch. »Noch bin ich nicht tot, also hört auf, euch so zu verhalten.«

»Es tut mir leid, Paul, wir machen uns nur solche Sorgen«, sagte Emily, wobei ihr prompt Tränen in die Augen traten.

»Er wird es schon schaffen«, sagte Jared darauf zuversichtlich, »wenn es sein muss, schleife ich Nuria persönlich hierher.«

Dankbar nickte ich Jared zu, bevor ich mich auf einen Stuhl fallen ließ.

»Versuch, etwas zu essen«, bat Sam mich und hielt mir ein Stück Brot hin.

Ich nahm es entgegen und biss herzhaft davon ab. Aber sobald ich den ersten Bissen heruntergeschluckt hatte, wurde mir unfassbar schlecht. Schnell sprang ich auf, wobei ich meinen Stuhl umwarf, und rannte zur Toilette. Dort musste ich mich prompt übergeben.

Emily war mir gefolgt und kniete sich nun neben mich, während sie mir behutsam über den Rücken strich.

»Du musst dir das nicht ansehen.« Das war alles, was ich herausbekam, bevor ich meinen ganzen Mageninhalt ausbrach.

»Ich habe schon weitaus Schlimmeres gesehen.« Sie ließ sich nicht aus der Fassung bringen und streichelte mir weiterhin beruhigend den Rücken.

Als mein Magen irgendwann komplett leer war und ich mich nur noch erschöpft gegen die Wand im Badezimmer lehnte, brachte Emily mir ein Glas Wasser.

In großen Schlucken trank ich daraus. Aber es brachte nichts. Nichts, außer Nuria, würde etwas bringen, damit es mir besser geht. Es war verrückt, was die Prägung mit mir machte, denn eigentlich sollte sie etwas Schönes sein. Bei Sam und Emily sah das alles immer so leicht aus. Warum musste ich es so schwer haben?

Während ich meinen Gedanken nachhing, kam auch Sam mit ins Bad. Er lehnte sich an den Türrahmen, wo er mich erstmal eine Weile beobachtete. Sam war niemand, der gerne seine Gefühle zeigte. Wenn ich nicht Sams Gedanken lesen könnte, wäre er für mich ein komplett verschlossenes Buch. Das wäre er für jeden, außer für Emily.

»Ich habe Leah jetzt für deine Schicht eingesetzt«, erklärte er mir nach einigen Minuten des Schweigens, »dann kannst du dich etwas ausruhen.«

»Danke, Sam.«

Gerade als er das Badezimmer verlassen wollte, rief ich ihn nochmal zurück. »Sam?«

»Ja, Paul?«

»Werde ich jetzt sterben?«

Erschrocken sah Emily, die die ganze Zeit neben mir auf dem Boden gesessen hatte, zu mir. Aber Sam verstand meine Frage und nickte zähneknirschend.

»Wenn du sie nicht bald zu sehen bekommst, wirst du sterben.«

»Wie lange habe ich noch?«

»Nicht mehr als fünf Tage. Aber wir kriegen das hin, Paul. Bisher haben wir alles hingekriegt.«

Aber ich war nicht überzeugt. Fünf Tage waren alles, was mir noch blieb, wenn Nuria sich nicht bald hier blicken lassen würde. Ich wollte nicht sterben. Mein Leben hatte doch gerade erst angefangen. Und jetzt würde ein Blutsauger über mein Leben entscheiden.

Maybe in another life ║ Paul LahoteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt