Kapitel 4

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POV Rezo

Gestern Abend, als ich mich von Ju verabschiedet hatte, hatte ich zwar wieder ein paar Wunden von meinem Vater einkassieren müssen, aber ich hatte mich dagegen entschieden, es selbst zu tun. Ich wollte nicht, dass Julien sich unnötig Sorgen um mich machte, immerhin humpelte ich schon.

Er hatte schon genug Probleme um die Ohren... Genau! Also halt dich von ihm fern, er braucht dich nicht! Geh raus aus meinem Kopf... lass mich dich einfach in Ruhe... wie wärs, wenn du die Welt in Ruhe lässt? Warum musst du mich immer so runtermachen, zischte ich leise.

Ich blinzelte. Ich wollte jetzt nicht einfach anfangen zu weinen. Plötzlich hörte ich die Schulklingel- ach ja, fast vergessen. Ich stand gerade vor unserem Klassenraum und wartete, dass der Unterricht begann.

Ich sah, wie Ju noch in letzter Sekunde zu unserer Klasse sprintete. Ich musste schmunzeln. Typisch.

Auf einmal rannte ein vielleicht 13- 14 jähriger Junge direkt in meinen Bauch „Ooh, sorry, Schwuchtel", lachte er nur noch und gesellte sich schnell zu seiner Klasse.

Er war direkt in die frischen, gerade verheilten Wunden gelaufen.

Aua.

Ich spürte, wie warmes Blut meinen Oberkörper herunterrann und sich mein weißer Hoodie mit ihm vollsog.

Ich knickte ein.
Ju hatte mich bemerkt und rannte sofort zu mir herüber. „Rezo! Was ist passiert? Wie- wer hat das getan?!" Aufregung lag in seiner Stimme, aber seine Augen blickten mich sorgenvoll an.

„Was ist denn hier los?" Unser Chemielehrer stand plötzlich hinter uns uns mit ihm die gesamte Klasse. Als er mich sah, nahm sein Gesicht einen noch blasseren Farbton und einen Ausdruck des Entsetzens an. „Sofort auf die Krankenstation! Ehm... Julien, du begleitest ihn!"

Ich sah nur wie Ju nickte und mich unter den Armen packte. Ich war leicht benommen und verlor ziemlich viel Blut, doch ich merkte auch, wie sich meine Augen langsam mit Tränen füllten. „Shh, alles gut Rezo, wir schaffen das", flüsterte Ju mit beruhigender Stimme.

Wie er das bloß schaffte, immer so ruhig zu bleiben...

Im Krankenflügel unserer Schule, falls man dies so nennen konnte, legte er mich behutsam auf eines der Bette und schaute zu, wie die Sanitäter mich versorgten. Mir wurde warm ums Herz, als er mich mit diesem Blick ansah.

Diesem ich-pass-auf-dich-auf-Blick.

Und wieder waren da diese Schmetterlinge im Bauch, wie schon seit dem ersten Tag. Immer wenn er lächelte, wenn er redete- ich brauchte diesen Ju einfach immer bei mir, da war ich mir inzwischen sicher. Meinen Ju.

POV Ju

Ich hatte bereits vermutet, dass es Rezo nicht so gut ging in seinem Privatleben, aber so schlimm? Er tat mir so leid. Ich wollte etwas für ihn tun, irgendetwas- Ich würde ihn noch rächen, das wusste ich.

Als die Sanitäter gegangen und wir ganz alleine waren, setzte ich mich etwas weiter nach vorne und nahm seine Hand.
Es entstand eine angenehme Stille.
Wir sahen uns einfach nur in die Augen.

In seine einladenden, unfassbar tiefgründigen Augen.

Und dann- erzählte er mir alles.

Von seiner Mom, von seinem gewalttätigen und drogenabhängigen Vater, seiner Schwester, die Stimme, die ihn verfolgte.

Am Ende hatte nicht mehr nur er Tränen in den Augen. Ich schniefte leicht,dann nahm ich auch seine andere Hand und sah ihm tief in die Augen. „Du- bist wunderschön wie du bist", sagte ich bestimmt. „Alles an dir ist wunderschön." Kurz zögerte ich, dann gab ich ihm einen schnellen, vorsichtigen Kuss auf die Stirn.

Juzo-Hilf mir!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt