Kapitel 8 - Strandgeflüster

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Tief atmete Strandböhe den salzig frischen Geruch des Wassers ein und ließ den sanften Seewind ihre Mähne umspielen. Die helle, beigene Stute war gerade dabei, das neue Gebiet der Salzherde zu erkunden und hatte sich mal wieder am Strand dabei verloren, die schönen Muscheln zu bewundern. Sie könnte stundenlang die wunderbaren Muster mit den Augen verfolgen und beobachten, wie sie von der Brandung erst angeschwemmt und dann wieder hinein in die zarten Fluten gesogen wurden. Sie liebte das Meer. Es war, als läge es ihr im Blut, stundenlang an der Gischt entlang zu galoppieren, ohne müde zu werden. Generationen von Pferden hatten es vor ihr getan und nun war sie an der Reihe. Die Salzherde berief sich oft auf die Traditionen der Ahnen. Die Herde bestand aus zwei verschiedenen Blutlinien. Die der Krieger, die den optimalen Körperbau zum Schwimmen und Kämpfen besaßen und die schlanken und wendigen Läufer, zu denen auch Strandböhe gehörte.

Von einem eigenartigen Geruch abgelenkt, der sie entfernt an ihre Herdenmitglieder erinnerte, riss sich die Stute endlich von dem Anblick der wunderschönen Muscheln los und trabte weiter in die Richtung, aus der der Geruch an ihre Nüstern wehte. Mit wehender Mähne umspielte das kühle Wasser ihre Hufe und benetzte das helle Fell ihrer Beine. In nassen Fäden hing ihr aufgestellter Schweif hinab, doch sie störte sich kaum daran. Je näher die Stute der Quelle des Geruchs kam, desto deutlicher witterte sie, dass es sich zwar um Pferde handelte, allerdings keine aus ihrer eigenen Herde. Strandböhe verlangsamte ihren Lauf und duckte sich hinter einige Felsbrocken, die aus dem Sand hervorstachen wie kleine, spitze Inseln. Vorsichtig lugte sie dahinter hervor und spitzte die Ohren. Eine relativ große Pferdegruppe hatte sich unterhalb der Klippen am Strand versammelt. Sie alle umringten zwei besonderes prächtige Hengste, die zu ihnen zu sprechen schienen. Angestrengt versuchte Strandböhe, ihre Worte zu verstehen.

Der große Rappe reckte seinen Hals in die Höhe und wieherte: „Die nächsten Tage, bis es Zeit ist, zum Sonnenkristall zu reisen, werden wir Anführer jeden einzelnen von euch im Alltag beobachten, um eine Einschätzung zu treffen, wer mit den Heilern mitkommen wird."

Dank des windstillen Sommertags konnte Strandböhe seine Worte problemlos verstehen. Sie fragte sich, was dieser Sonnenkristall wohl war und wieso es so wichtig zu sein schien, dorthin zu reisen.

„Aber sollte es nicht einen ... offizielleren Wettkampf geben?", fragte ein junger Schecke mit angelegten Ohren.

„Wie sonst sollen eure Kompetenzen besser beurteil werden, als im alltäglichen Herdenleben?", fragte der Fuchs, bei dem es sich wahrscheinlich um den anderen Anführer handelte.

Unsicher, ob es sich bei dieser merkwürdigen Versammlung um zwei unterschiedliche Herden handelte, scharrte Strandböhe im Sand.

Dort vorne war inzwischen Tumult ausgebrochen. Jeder schien gewinnen zu wollen.

Nachdenklich ließ die Stute ihren Blick auf das weite Wasser hinaus schweifen. „Der Sonnenkristall", murmelte sie geistesabwesend. Sie musste ihrer Anführerin Seestern dringend von der Entdeckung der fremden Pferde berichten. Besorgt setzte sie zum Rückweg in das provisorische Lager der Salzherde an. War ja klar, dass sie so leicht kein unbewohntes Gebiet finden würden. Die alte Heimat der Herde wurde von den Zweibeinern zerstört, die mit ihren Maschinen dort sämtliche Landstriche dem Erdboden gleich gemacht hatten. Doch zum Glück war die Küste lang und sie hatten nach einiger Wanderung eine gute Stelle gefunden, um ein neues Lager zu errichten. Dennoch mussten sie sich unbedingt mit den anderen Herden in Verbindung setzen, um die Grenzen klar zu sichern und das weitere Überleben der Salzherde zu gewährleisten.

Mit bebenden Nüstern galoppierte Strandböhe einen der Pfade hinauf, die hoch auf die Klippen führten. Unterhalb des Lagers war der Krieger Wellensturm gerade dabei, mit seinem Angehenden Meereshuf ein Schwimmtraining abhielt. Die Stute grüßte die beiden kurz, ehe sie ihren Weg fortsetzte und das Lager erreichte, dessen Eingang sich unmittelbar am Ende des Steinpfades befand.

Voller Aufregung machte sich Strandböhe auf die Suche nach ihrer Anführerin Seestern. Vielleicht wusste sie, was es mit dem wohl sehr bedeutenden Sonnenkristall auf sich hatte.

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