Kapitel 18 - Rückkehr

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„Wo sind die anderen?" Voller Verwunderung ließ Strandböhe ihren Blick über das so gut wie leere Lager der Salzherde gleiten. Lediglich Lichtfleck mit ihrem Neugeborenen, die beiden Heiler und die Kämpfer Helle und Fisch trotteten lässig auf dem Platz umher.
„Seestern und Kiesel wollten losziehen, um das Lager der Ampferherde zu erobern", erwiderte Habichthuf gleichmütig. Der angehende Heiler war gerade dabei, ein paar Kräuterbüschel zum Trocknen am Lagerwall aufzuhängen.
Erschrocken riss Strandböhe die Augen auf. „Wisst ihr, ob es Ihnen gelungen ist?" Die Vorstellung, dass ihre neuen Bekannten von ihrer Reise zum Sonnenkristall zurückkehren und ihr Lager verwüstet durch einen unnützen Kampf auffinden würden, ließ ihre Adern zu Eis gefrieren.
„Ich weiß es nicht. Bisher sind sie noch nicht zurückgekehrt", gab Habichthuf zurück, ohne von seinen Kräutern aufzusehen. Da kam die rotbraune Stute Weide angetrabt. Sie musterte Strandböhe mit Besorgnis. „Was ist denn mit dir passiert, dein Fell ist ganz verkrustet und du siehst aus, als hättest du Tagelang nicht mehr geschlafen!", wieherte sie der hellen Läuferin zu.
„Ich ..." Erst jetzt bemerkte die Stute, wie entsetzlich erschöpft sie war. Suchend blickte sie sich nach Wolke um, um ihr die schlechte Nachricht von Dunkelfohlens Tod mitzuteilen. Doch auch seine Mutter schien den Kampftrupp zur Ampferherde begleitet zu haben.
„Du solltest dich wirklich mal hinlegen und dann erzählst du uns ganz in Ruhe, wo du gewesen bist." Mit einem fürsorglichen Stups schob Weide Strandböhe in Richtung der Schlaflager.
Protestierend stemmte die helle Stute die Hufe in den trockenen Boden. Das konnte warten. Sie musste unbedingt zu den anderen und herausfinden, was mit der Ampferherde geschehen war. Auch wenn es bereits Mittag war und sie seit ihrem Traum beim Sonnenkristall kein Auge mehr zugetan hatte, brannte es in ihrem Pelz danach, auf der Stelle loszurennen, um die Gruppe Pferde zu finden, die sich um sie und Dunkelfohlen gekümmert hatte.
„Was ist denn nur los mit dir?!" Voller Sorge kramte Weide in ihrem Kräutervorrat, wahrscheinlich, um ihr ein Beruhigungsmittel zu verabreichen. Abwehrend riss Strandböhe den Kopf hoch. Plötzlich rauschte ein roter Blitz an ihre Seite. „Strandböhe! Da bist du ja! Ich hab dich schon überall gesucht. Wann fangen wir mit dem Training an?" Übermütig buckelnd kam die junge Stute Morgenhuf neben ihr zum Stehen. Sie war kurz vor Strandböhes Aufbruch zur Angehenden ernannt worden.
Schuldbewusst senkte Strandböhe den Kopf. Sie wollte sich wirklich um die quirlige Stute kümmern, doch aktuell hatte sie einfach anderes im Kopf, als sich einen Plan auszudenken, wie sie Morgenhuf am besten auf ihr künftiges Leben als Läuferin der Salzherde vorbereiten konnte.
„Morgenhuf, ich ..." Nachdenklich musterte Strandböhe das Fohlen, das sie aus großen, erwartungsvoll blitzenden Augen ansah. Plötzlich kam ihr eine Idee. „Weißt du was?", wieherte sie feierlich. Fragend scharrte Morgenhuf am Boden. Strandböhe stupste sie mit den Nüstern gegen den Widerrist und verkündete: „Du kommst mit mir mit."
„Wohin gehen wir?" Voller Euphorie tänzelte Morgenhuf auf und ab.
„Zu Seestern und den anderen. Wir werden auskundschaften, was sie im Territorium der Ampferherde erreicht haben und schließlich die Nachricht an den verbliebenen Teil unserer Herde überbringen." Obwohl Strandböhe beim Gedanken daran flau im Magen wurde, was sie dort vorfinden würden, hielt sie es für eine gute Gelegenheit, Morgenhuf das Gebiet erkunden zu lassen. Als deren Mutter Sonne, die sich inzwischen auch zu ihnen gesellt hatte, ihnen besorgte Blicke zuwarf, schob Strandböhe rasch hinterher: „Es gehört zu den Hauptaufgaben einer Läuferin, Nachrichten zu überbringen. Außerdem ist die lange Strecke gut dafür geeignet, zu sehen, wie viel Ausdauer du bereits hast." Freundlich nickte sie der jungen Stute zu, die ihre Mutter kaum beachtete. Stattdessen hatte sie sich hinter Strandböhes Schweif geklemmt und schien bereit zum Aufbruch.
Seufzend wechselte Weide einen Blick mit Habichthuf, ehe sie den beiden je ein Büschel Grünzeug zuschob. „Fresst wenigstens diese Kräuter, bevor ihr loszieht. Die werden euch Energie geben."
Dankbar zerkaute Strandböhe die trockenen Halme und schmeckte die bitteren Säfte der Pflanzen auf ihrer Zunge.
„Igitt!", quietschte Morgenhuf und spuckte den Kräuterbrei vor sich auf den Boden. Vorwurfsvoll sah Sonne ihre Tochter an. Daraufhin rollte diese genervt die Augen und schluckte tapfer den Rest der Kräuter hinunter. Angewidert verzog sie das Gesicht, doch keinen Herzschlag später schien sie den Geschmack bereits wieder vergessen zu haben und reckte voller Tatendrang ihren schmalen Kopf in die Höhe. „Kann losgehen!" Freudig peitschte sie mit dem noch jugendlich kurzen Schweif. Die beiden verabschiedeten sich von den Heilern und Sonne, ehe sie in lockerem Trab das Lager verließen. Eine Weile bewegten sie sich ruhig nebeneinander her. Strandböhe wählte den Weg über den Strand. Auf diese Weise würde ihre Angehende gleich auch die Berge kennenlernen. Sie war positiv überrascht, dass Morgenhuf nicht gleich los geprescht war und ihre Kräfte einzuteilen schien. Als sie die unter ihren Hufen glitzernd aufspritzende Brandung erreichten, konnte sich die Fuchsstute mit der hellen Mähne jedoch ein paar wilde Bocksprünge nicht verkneifen. „Ich wünschte, Dunkelfohlen wäre auch hier!", rief sie aus. „Dann könnte er geschmeidig wie ein Fisch neben uns durch das Meer schwimmen."
Es war, als würde ein Felsbrocken so groß wie der Sonnenkristall Strandböhes Herz in die Tiefe reisen. Gedankenverloren nickte sie. „Das wäre schön ..."
Morgenhuf schien ihre Trauer zu spüren und blieb in den Wellen stehen, die spielerisch ihre glänzenden Hufe umspülten. „Meinst du ... er ist noch am Leben?" Getroffen von der Erinnerung von Dunkelfohlens Sturz ins Wasser, trat sie von einem Bein auf das andere.
„Ich ..." Schwer seufzte Strandböhe auf, bevor sie der kleinen Stute davon erzählte, dass sie aufgebrochen war, um ihren ehemaligen Lagergefährten zu suchen. Morgenhufs Augen wurden immer größer und glasiger, als sie der Geschichte ihrer Lehrerin lauschte. Nachdem sie geendet hatte, lies sie traurig die Ohren hängen. „Ich hoffe, es geht ihm jetzt besser." Jegliche Energie, die noch vor Minuten in ihrem Fell gebrannt hatte, schien erloschen.
Aufmunternd zwickte Strandböhe sie in die Wange. „Da bin ich mir sicher." Mit schwerem Herzen erinnerte sie sich an den Traum, in der eine ältere und prachtvollere Version Dunkelfohlens zu ihr gesprochen hatte. Habe Vertrauen in dich und die Herden, erinnerte sie sich an die Worte des Hengstes. Von neuer Entschlossenheit erfüllt richtete sie sich auf. „Lass uns weitergehen und die anderen finden."
Eine Weile lang trabten die beiden Stuten schweigend nebeneinander her. Jeder schwelgte in seinen eigenen Erinnerungen an Dunkelfohlen. Strandböhe war stolz auf ihre neue Angehende, dass sie noch immer nicht müde zu werden schien. Ganz im Gegensatz zu ihr selbst, der der lange Marsch durch den kräftezehrenden Schlick des Watts noch immer tief in den Knochen steckte. Sie konnte wirklich froh sein, dass sie mit den Pferden der Berg- und der Ampferherde rechtzeitig den Rückweg bewältigen konnte, ehe die Flut zurückkehrte. Wie auf Kommando strömte ihr plötzlich ein fremder Geruch in die Nüstern. Inzwischen befanden sie sich auf einem steinigen Pfad durch eine Schlucht, die sie nach Strandböhes Theorie unmittelbar in das Gebiet der Ampferherde bringen musste.
„Verstecken!", zischte sie Morgenhuf instinktiv zu und zerrte die junge Stute hinter einen Felsbrocken. Diese wollte protestieren, doch ihre Lehrerin gab ihr mit einem Knuff gegen die Schulter zu verstehen, dass sie jetzt still sein sollte. Gehorsam duckte sich Morgenhuf neben sie hinter den zerklüfteten Stein. Vorsichtig lugten sie über dessen kantig graue Ränder, als sie Hufschläge vernahmen, die immer näher zu kommen schienen. Bereits einige Herzschläge später tauchte ein weiß-brauner Pelz zwischen den Felsbrocken auf. Strandboehe stockte der Atem, als der entfernt vertraute Geruch des Hengstes Flimmermähne ihr in die Nüstern strömte. Morgenhuf schien ihre Anspannung zu spüren, denn die kleine Stute presste ihre Flanke ängstlich an Stransböhes Körper.
„Was hat der denn hier zu suchen?", murmelte die Ältere, während ihr Blick auf Flimmermähnes muskulösen Schultern ruhte.
„Du kennst ihn?", fragte Morgenhuf neugierig flüsternd.
„Das ist der zweite Anführer der Ampfer Herde", gab Strandböhe mit einem mulmigen Gefühl in der Brust zurück.
„Ist das hier nicht das Gebiet der Berg Herde?", harkte Morgenhuf verwundert nach.
Langsam nickte Strandböhe. Irgendetwas musste mit der Ampferherdw geschehen sein, dass Flimmermähne sich so ganz alleine auf fremdem Boden aufhielt.
Der Wind drehte und der Schecke blähte arlamiert die Nüsern. Sein edel geschwungener Schädel schnellte inrichtung des Verstecks der beiden Stuten. Er hatte sie entdeckt.

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