Kapitel 19 - Die vierte Herde

12 2 0
                                    

Streuselband pochte das Herz bis zum Hals, als sie die kleine Pferdetruppe zwischen den dichten Sträuchern des verbotenen Waldes entlangführte. Sie hatte Flammenstrahl vor ihrer und Birkenbands Entdeckung des kleinen Hengstes erzählt, der sie bei ihrer Erkundungstour aus den Dornen befreit hatte. Der Anführer war glücklicherweise nicht sauer auf sie gewesen. Im Gegenteil. Er hatte zugestimmt, dass sie dort Unterschlupf suchen würde. Flimmermähne war derweil losgezogen, um den Rest der Herde zu suchen. Er hatte sich in Richtung des Strandes aufgemacht, wo sie eventuell zwischen den Klippen Schutz gefunden haben könnten.

Mit geblähten Nüstern und peitschendem Schweif blickte Flammenstrahl besorgt um sich. „Bist du dir sicher, dass hier Pferde leben?", fragte er an Streuselband gewandt. Seine orangeroten Ohren zuckten, als er versuchte, die sich überlagernden Geräusche des Waldes einzuordnen. Die junge Stute nickte nur und trabte verbissen weiter. Es machte ihr ebenso wie den übrigen Pferden der Ampferherde zu schaffen, dass sie kaum eine Pferdelänge weit sehen konnten. Auf den freien Feldern, wo sie sich sonst aufhielten, konnte man Meilenweit blicken und hatte die Umgebung stets im Blick. Doch hier zwischen all den Baumstämmen und Gewächsen taten sich die schlanken Pferde schwer, auch nur einen Huf vor den anderen zu setzen. Bei jedem Schritt knirschten Äste, es Raschelte im Unterholz und die Vögel tschilpten. Würde sich ein Raubtier nähern, könnten sie kaum schnell genug reagieren geschweige denn die Flucht ergreifen. Stattdessen fühlten sich die Tiere schutzlos der Natur ausgeliefert.

„Dort vorne haben wir den Hengst getroffen!" Scharf sog Streuselband die Luft ein, als sie den Bachlauf wiedererkannte, wo Birkenband sich in den Ranken verfangen hatte. Sogar einige zerfetzte Dornen waren noch vor dem plätschernden Wasserlauf zurückgeblieben. Ebenfalls einige Hufspuren hatten die feuchte Erde aufgewühlt.

Aufgeregt machten die restlichen Pferde hinter Streuselband halt. Prüfend reckte Flammenstrahl die Nüstern in den Wind. „Du hast Recht, hier ist ein fremdes Pferd gewesen. Der Geruch ist schwach und dennoch erkenne ich, dass es zu keiner der mir bekannten Herden gehört."

Streuselband war beeindruckt von der Fähigkeit ihres Anführers, den schalen Geruch so genau zu differenzieren. Sie selbst nah ihn kaum noch wahr.

„Das Pferd riecht, als hätte es ziemlich viel Fell", fügte Flügel nickend hinzu. Überrascht sah Streuselband zu ihrem Lehrer auf, ehe auch sie die Nüstern senkte und an einem zurückgebliebenen Fellbüschel in den Dornen schnupperte. Die Farbe verriet ihr, dass es Birkenbands Fell war. Etwas altes Blut klebte daran und überlagerte beinahe den Geruch des kleinen Hengstes, der ihnen geholfen hatte. Nur noch ganz schwach und verwaschen nahm nun auch die Schülerin einen eigenartig fremden Pferdeduft wahr.

„In welche Richtung ist das Pferd gegangen?", fragte Flügel sie, als wolle er sie prüfen. Nachdenklich starrte Streuselband in das Bachbett. Am anderen Ufer waren noch schwache Spuren zu erkennen und einige Äste waren abgeknickt. Sie machte eine vage Kopfbewegung in Richtung eines unscheinbaren Pfades, der sich zwischen den Sträuchern tiefer in den Wald schlängelte.

Ein unbehagliches Kribbeln erfüllte Streuselbands Körper, als sie tiefer und tiefer in den dichten Wald vordrang. Inzwischen hatte sich der Duft des fremden Pferdes stärker in ihren Nüstern festgesetzt als noch wenige Baumlängen zuvor. Fast war es ihr, als mischten sich weitere Gerüche darunter, die dem des kleinen Hengstes zwar ähnelten, jedoch zu weiteren Pferden zu gehören schienen.

Mit aufmerksam tickenden Ohren lief die junge, hell gesprenkelte Stute weiter an der Spitze der Gruppe einen schmalen Pfad entlang, auf dessen federndem Boden sich klar und deutlich winzige Hufspuren abzeichneten. Von Schritt zu Schritt stieg die Anspannung, die sich wie ein lästiger Ausschlag über ihren gesamten Pelz ausbreitete.

Ein Rascheln ließ sie innehalten. Alarmiert riss sie den Kopf in die Höhe. Mit geblähten Nüstern wechselte Streuselband Blicke mit ihrem Lehrer Flügel, der ebenfalls stehengeblieben war und mit wachsamen Augen das Dickicht fixierte, das sich vor ihnen auftat.

RivalenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt