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Mikaela

*Flashback*

Der Mond schien hell in dieser Nacht. Es war die Nacht vor Vollmond und das Rudel hatte sich versammelt, um meinem Vater die letzte Ehre zu erweisen. Wir befanden uns auf dem Rudelfriedhof, im Osten unseres Territoriums. Wir alle saßen in unserer Wolfsgestalt, am Grab meiner Eltern. Trauriges heulen und winseln durchbrach ab und an die zerreißende Stille. Rhena und Rio hielten sich am Rande des Geschehens auf. Ich würde niemanden von ihren Verrat erzählen, solange ich eine Vernünftige Erklärung bekam, doch in dieser Nacht sollte es nichts anderes geben als Trauer. Kein Streit, keine Auseinandersetzung, das Rudel sollte als eine Familie trauern dürfen. Mein Vater war 20 Jahre lang der Alpha des Kayne-Rudels. Er hatte sie wie kein anderer geführt und geliebt. Er war mächtig und stark. Und nun war er weg.

Als langsam die ersten Sonnenstrahlen den Himmel durchbrachen, stellte ich mich auf alle vier Pfoten. Erhaben und stolz hob ich mein Haupt. Anders als mein menschlicher Körper, war mein Wolf überdurchschnittlich groß. Er ließ die Anderen automatisch kleiner werden.

*Ich danke euch, für eure Trauer. Danke, dass wir als Familie meinen Vater verabschieden konnten. Meine Familie, ihr seid alles was ich noch habe. Ich schwöre euch zu leiten, euch zu führen und euch zu lieben, wie mein Vater es tat. Ich schwöre euch, dass ich eure Luna und euer Alpha sein werde, sowie ihr ihn verdient.*

Meine Augen wanderten durch die Menge. Die Wölfe hatten deren Häupter gesenkt und riefen im Chor *Lang lebe Alpha Mika!*, kurz darauf fingen wir an zu heulen, so laut, dass es jedes Rudel im Umkreis hören konnte.

*Flashback Ende*

Als ich aufwachte roch es nach frischer Erde. Ich hörte die Vögel zwitschern und helles Licht drang in meine Augen, als ich sie öffnete. Ich befand mich in unseren Wald in der nähe des Anwesens. Es war gegen Mittag, da ich die ganze Nacht wach war und mein Heulanfall mich so erschöpft hatten, bin ich wohl hier eingeschlafen. Als ich mich genauer umsah, war es die Stelle, wo mein Vater mir damals das Kämpfen beigebracht hat. Ich fühlte mich wohl hier. Es war eine kleine Lichtung, mit hohem Gras. Der kühle Herbstwind, kündigte so langsam den Winter an.

Ich stand auf und stellte fest, dass mein ganzer Körper voller Schlamm war, mein sonst schneeweißes Haar, wurde von nasser Erde beschmutzt. Ich sah schlimm aus. Eilig lief ich in Richtung Anwesen.

Dort angekommen, starrten mich fassungslose Gesichter der Betafamilie an. Ach ja, ich war ja nackt. Aus den Augenwinkel sah ich wie Rio meine Körperproportionen genau musterte. „Mika wo warst du?!", schimpfte Eden mit mir. „Und wie du aussiehst! Du kannst doch nicht einfach so verschwinden, jetzt wo DU Alpha bist!", Ava schaute mich besorgt an. Die Mutter von den Zwillingen machte sich schon immer mehr Sorgen um mich als nötig.

„Ich gehe duschen.", antwortete ich knapp, warf ein Blick auf die Zwillinge und blieb kurz stehen. „Rio, Rhena? Ihr wartet auf mich im großen Saal.", meine Stimme ließ keinen Raum für Diskussionen.

Nachdem ich mich vom Schmutz befreit und Kleidung an hatte, lief ich runter zu den Zwillingen, die nervös auf mich warteten. Ich setzte mich zu ihnen an den Tisch, auf den Platz wo sonst mein Vater saß. Vom Kopf des Tisches schaute ich auf die sich stark ähnelnden Gesichter.

„Was sollte das neulich im Wald?", kam ich direkt zur Sache. Unsicher schauten die beiden sich an. *Rückt raus mit der Sprache*, unterbrach ich deren Konversation per Link, indem ich meine Stimme in deren Kopf hämmerte. 

„Caleb und Mia, wir hatten sie bereits vor dir gespürt, Mika.", setzte Rhena vorsichtig an. Unwissend schaute ich erst den Wolf und dann die Wölfin an und schüttelte den Kopf. „Was meinst du damit?"

„Wir haben sie gefunden Mika. Wir haben unsere Mates gefunden.", entschuldigend schauten sie mich an. Ich glaubte zu sehen, wie sie nach Verständnis baten. Ich ballte die Hände und meine Handknöchel wurden weiß. Ich konnte es nicht fassen.

Wieso tat die Mondgöttin mir sowas an? Erst meine Eltern und jetzt verlor ich meine beste Freunde an mein verfeindetes Rudel? „Ich verbiete es.", sagte ich mit fester Stimme.

„Aber Mika, mein Wolf sehnt sich nach ihm! Ich muss zu ihm, ich kann nicht!", rief Rhena mir zu. „Rhena, sie haben meine Mutter genommen, sie haben mir mein Vater genommen!", meine Stimme wurde lauter, „Sie können mir nicht auch noch dich nehmen! Wenn du gehst, komm nie mehr zurück.", meine Stimme war eiskalt. Erschrocken riss sie ihre Augen auf. „Mika, bitte beruhige dich.", Rio's sonst so weiche Stimme wirkte angespannt.
„Ich erwarte euch beide um 23 Uhr vor meinem Anwesen. Ihr werdet mich mit den Anderen begleiten, dass ihr nicht auf dumme Ideen kommt.", langsam stand ich auf und verließ den Saal. Ich gab Eden bescheid, dass er ein Auge auf seine Kinder werfen solle und dass diese uns heute Nacht begleiten würden.

Langsam wurde es dunkel und ich machte mich bereit für meine erste Rudelversammlung als Alpha. Ich musste gut aussehen, nicht billig. Ich musste Macht ausstrahlen, keine Schwäche. Meine Kleidung musste stimmen, meine Ausstrahlung, mein Verhalten. Ich entschied mich für einen schwarzen Blazer und Anzugshose.  Dazu ein weißes Hemd und schwarze Schuhe mit leichten Absätzen. Meine Haare band ich zu einem engen Dutt. Prüfend schaute ich mein Spiegelbild an. Ich wirkte älter und reifer. Ich zog bewusst kein Kleid an, da feminine Züge als schwach angesehen werden könnten. Mit ein bisschen Concealer deckte ich meine Augenringe ab und war fertig. Nervös spielte ich mit dem Anhänger meines Armbands. Es schenkte mir Ruhe, wie so oft in letzter Zeit.

Ich ging nach unten, wo bereits die stärksten meines Rudels auf mich warteten. Eden, Ken, Reign, Ava, Rio und.. wo war Rhena? „Wo ist deine Tochter?", fragte ich den Beta. „Sie ist fort Mika. Tut mir leid wir konnten sie nicht aufhalten.", entschuldigend schaute er mich an. Ein tiefes Knurren entfuhr meiner Kehle.

Erst jetzt erkannte ich die Trauer in Rios Augen. Er musste sicherlich mehr leiden als wir alle. Sein Zwilling ist weg, sie waren miteinander verbunden, enger als wir alle, nur war die Bindung eines Mates stärker.

Ohne etwas zu sagen stieg ich in den ersten der zwei Sportwägen ein. Rio übernahm das Steuer und wir fuhren los. Erneut machte sich der Hass in meiner Brust breit, ich musste mich beherrschen und mich auf die Versammlung konzentrieren.

Wir bogen links ab und erreichten die Mondlichtung. Passend zum Namen erstrahlte der Vollmond den Nachthimmel. Es waren bereis zahlreiche Werwölfe erschienen. Mein Körper verspannte sich, als ich Rhena zwischen den Pierce-Rudel sah. „Sie wagt es hier aufzukreuzen?", fragte ich den Zwilling mit bedrohlicher Stimme. Als er nicht antwortete schaute ich zu ihm auf. „Rio, ich muss dich das fragen. Folgst du mir, egal was kommt?", verwundert schaute er mich an. „Aber natürlich Mika.", eine ganze Weile hielt er meinem Blick stand. Ich atmete erleichtert aus. „Dann gehts jetzt los.", ich schnallte mich ab und stieg aus.

Hinter mir folgte mein Rudel. Die Luft schien vor Anspannung zu vibrieren. Ich lief strikt auf den Alpha des Lancaster-Rudels zu und begrüßte ihn. „Guten Abend Alpha Silvers."

Der 1,80m große Mann begrüßte mich ebenfalls. Er müsste im Alter meines Vaters sein, circa 48.  „Mein Beileid zu eurem Verlust, Alpha Mika.", stumm bedankte ich mich bei ihm. Ich bestand auf den Namen Mika, da Mikaela zu weiblich klang.

Bedrohliches Knurren unterbrach unser Gespräch. „Beruhigt euch!", befahl ich meinem Rudel. „Dies ist ein Heiliger Ort der Mondgöttin, für Streitereien ist hier kein Platz." Meinem Wort gehorchend verstummte das Knurren. „Wo ist euer Alpha? Es ist an der Zeit das Gespräch hinter uns zu bringen.", fragte ich die Pierce-Wölfe.

Auf einem mal spürte ich diese Präsenz, meine Haare auf der Haut stellten sich auf, als ich diese Stimme hörte. „Wozu die Eile Alpha Mikaela?"

mate
Mate
MATE!

Snow in meinem Kopf wurde immer lauter. Ich drehte mich um und sah den Verursacher meiner Gänsehaut an. Mein Herz fing an schneller zu schlagen und ich wollte nichts anderes als in seiner Nähe sein, alles an mir drängte mich, ihn zu berühren. Ist das die Macht der Mates? In seinen bernsteinfarbenen Augen erkannte ich das gleiche Verlangen, wie in meinem Körper. Das kann nicht sein!

„Alpha Mika, darf ich vorstellen, Alpha Jayden."

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1370 Wörter

AlphablutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt