Der Weg zurück nach Hause in der klapprigen Kutsche erschien mir endlos lang. Das Pochen meines Herzens schien lauter als das Knarren der Räder, während meine Mutter versuchte, die unangenehme Stille zu durchbrechen.
"Warum denkst du, hat er sich zurückgezogen?" Ihre Augen suchten in meinem Gesicht nach Antworten, die ich ihr nicht geben konnte.
"Ich weiß es nicht, Mutter. Er schien den ganzen Abend über so aufmerksam und interessiert zu sein. Es tut mir leid, ich hatte wirklich gedacht, er würde heute um meine Hand anhalten," antwortete ich, meinen Blick stur aus dem Fenster gerichtet, um meine wahren Gefühle zu verbergen.
Mein Vater sah in die Dunkelheit, während er dem Kutschfahrer die Anweisung gab, zügiger zu fahren. Die Straßenlaternen zogen vorbei wie verschwommene Erinnerungen an einen Abend, der anders verlaufen war als erwartet. Als wir schließlich wieder zuhause ankamen und die Kutsche zum Stehen kam, spürte ich die Erleichterung, dass die beklemmende Stille endlich durchbrochen werden würde.
In unserem Wohnzimmer setzten wir uns nieder und mein Vater begann das Schweigen zu brechen. "Also, was ist passiert? Warum hat er nicht um deine Hand angehalten, Elizabeth?"
Ich zögerte einen Moment, bevor ich antwortete. "Es ist schwer zu sagen. Vielleicht hat er seine Meinung geändert. Manchmal passieren eben unerwartete Dinge."
Mein Vater runzelte die Stirn. "Aber er schien so sicher. Warum sollte er so plötzlich einen Rückzieher machen? Ob er von unserer finanziellen Lage weiß?"
Ich zuckte mit den Schultern, versuchte meine Reue zu verbergen. "Ich glaube nicht. Vielleicht war es einfach nicht das richtige für ihn. Menschen ändern sich. Eventuell hat er eingesehen, dass ich doch nicht die Frau an seiner Seite bin, die er sich vorgestellt hat."
Die Diskussion ging weiter, aber in meinem Inneren wusste ich, dass es mehr gab, als ich preisgeben wollte. Albert wusste von Henry und mir. Die Blicke und die Andeutungen von ihm während des Abends - all das hatte eine Wendung genommen, die ich nicht erwartet hatte. Doch es war nicht an der Zeit, um mein Herz zu entblößen und die Komplikationen zu enthüllen, die sich um eine Anziehung zu dem Bediensteten Henry Jefferson drehte. Meine Gedanken kreisten weiter um Albert, Henry und die ungesagten Worte zwischen uns. Mit aller Macht versuchte ich, die Wogen meines eigenen Herzens zu glätten und den Weg durch das Labyrinth meiner Gefühle zu finden.
♕♕♕
Das Treffen mit meiner Freundin Amalia fühlte sich an wie eine Befreiung aus meinen eigenen Gedanken. Wir setzten uns in ihrem gemütlichen Salon nieder und ich erzählte ihr von dem Abend bei Albert und dem fehlenden Antrag.
Während sie eine ihrer roten Locken um den Zeigefinger wickelte, sah sie mich mit besorgten Augen an. "Warum denkst du, hat er sich zurückgezogen? Es schien doch alles so vielversprechend."
Ich seufzte und zögerte einen Moment, bevor ich die Wahrheit preisgab. "Es ist schwer zu erklären, Amalia ... Ich habe jemanden getroffen, der mir die Augen geöffnet hat und das ist nicht Albert."
Meine Freundin runzelte die Stirn, neugierig und verwirrt zugleich. "Wer ist dieser Jemand? Und warum beeinflusst das deine Beziehung zu Albert?"
Ich biss mir auf die Lippe und flüsterte leise. "Sein Name ist Henry. Er ist ein Bediensteter bei den Collingwoods. Wir sind gute Freunde geworden, doch um ehrlich zu sein ... Ich empfinde mehr als nur Freundschaft für ihn."
Amalias Augen weiteten sich vor Überraschung. "Elizabeth, das kommt unerwartet. Warum hast du mir das nie erzählt?"
"Ich habe versucht, es zu verdrängen, aber es gelingt mir einfach nicht. Mein Verlangen nach Henry ist zu stark", gestand ich und senkte beschämt den Blick.
DU LIEST GERADE
Royal Escape (ONC 2024)
Historical Fiction•• Mein Beitrag zum ONC 2024 •• Inmitten der Ballsaison im Jahre 1825 bereitet sich die Londoner High Society auf Vermählungen und familiäre Allianzen vor. Elizabeth, von ihrem Vater für eine Verbindung mit den Collingwoods vorgesehen, entscheidet s...