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Der eisige Wind peitschte gegen die Kutsche und blies uns den Schnee ins Gesicht, während sie sich mühsam durch den dichten Sturm vorwärts bewegte. William und ich saßen eng nebeneinander, eingehüllt in dicke Decken, die uns kaum vor der Kälte schützten. Das monotone Klappern der Pferdehufe mischte sich mit dem Heulen des Windes und die Sicht war so schlecht, dass wir kaum die Hand vor unseren Augen sehen konnten.

"Elizabeth, seit wann weißt du von Henrys wahrer Existenz?" Williams klapprige Stimme durchdrang die Stille.

Ich drehte mich zu ihm um, meine Augen müde von der Anstrengung. "Ich habe es erfahren, als ich mit Victoria ins Gefängnis ging, um für ihn einzustehen", antwortete ich. "Aber als wir dort ankamen, war er bereits bei dem Herzog."

William runzelte die Stirn, seine Augen suchten meine nach Antworten. "Und woher wusstet ihr das?"

Ich ließ meinen Blick kurz zu Boden sinken, bevor ich antwortete. "Wir suchten überall nach ihm und beschlossen dann, uns in einem nahegelegenen Wirtshaus auszuruhen. Dort trafen wir seine Mutter Constance."

"Constance!" William wiederholte den Namen, als ob er nach einer Erklärung suchte.

Ich nickte langsam und begann, die traurige Geschichte von Constance und dem Herzog zu erzählen. Wie er sie verlassen hatte und wie ihr gebrochenes Herz sie dazu trieb, die Stadt zu verlassen und Henry allein aufzuziehen. "Er wusste nicht, dass sie schwanger war", fügte ich hinzu. "Und er sollte es eigentlich nie erfahren."

Williams Miene war nachdenklich, als er meine Worte verarbeitete. "Das erklärt einiges", sagte er schließlich leise.

"Seitdem ist Henry in Cambridge und bereitet sich auf die bevorstehende Aufgabe vor, die ihm als Herzog bevorsteht. Dass er so schnell diese Rolle übernehmen muss, hat vermutlich niemand geahnt."

Meine Gedanken waren für einen Augenblick bei Henry und ich fragte mich, ob er sich trotz der traurigen Umstände freuen würde, mich zu sehen. Doch plötzlich durchbrach ein lautes Quietschen die Stille, gefolgt von einem heftigen Ruckeln der Kutsche.

Die Straßen waren rutschig und mein Herz schlug wild vor Angst, als unser Gefährt ins Schleudern geriet. Während ich mich an dem Sitz festklammerte, hoffte ich, dass die Pferde die Kontrolle behalten würden. William hatte sofort seinen Arm fest um mich gelegt, um mich zu schützen. "Bleib ruhig, Elizabeth", flüsterte er beruhigend, doch ich konnte die Anspannung in seiner Stimme hören.

Ich klammerte mich an ihn, dankbar für seine Nähe und seinen Schutz in dieser beängstigenden Situation. "Was ist passiert, William?", fragte ich, meine Stimme zitternd vor Angst.

Er legte seine freie Hand beruhigend auf meine und versuchte, mir Mut zuzusprechen. "Die Kutsche ist vom Weg abgekommen, aber keine Sorge, ich bin sicher, der Kutscher hat alles im Griff. Wir werden das gemeinsam durchstehen."

Die eisige Nacht hatte uns fest im Griff und die Kutsche kämpfte sich mühsam durch den Schnee, der in dichten Flocken vom Himmel fiel. Der Wind pfiff um die Ecken, und die Kälte drang bis auf die Knochen. Ich konnte die Erschöpfung des Kutschers spüren, der tapfer versuchte, uns sicher durch die winterlichen Straßen zu bringen. Doch trotz seiner Bemühungen war die Fahrt zu riskant.

Ich wandte mich besorgt an meinen Bruder William, der neben mir saß und sichtlich angespannt war. "William, diese Fahrt ist zu gefährlich", sagte ich leise, so dass nur er mich hören konnte. "Und der Kutscher scheint längst am Ende seiner Kräfte zu sein. In wenigen Tagen ist Weihnachten. Es wäre das beste, wenn wir irgendwo Halt machen würden."

William nickte zustimmend, seine Miene ernst. "Du hast recht, Elizabeth. Wir müssen einen sicheren Ort finden, um die Nacht zu verbringen, bevor es noch schlimmer wird." Entschlossenheit blitzte in seinen Augen auf, als er nach Möglichkeiten suchte, uns vor der eisigen Kälte zu schützen. Schließlich entdeckten wir in der Ferne die Lichter eines Gasthauses und beschlossen, dort Unterschlupf zu suchen.

Das Gasthaus wirkte einladend, als wir die Tür öffneten und den warmen Schein der Lampen sahen, der durch die Fenster drang. Ein freundlicher Geruch von Essen und Glühwein erfüllte die Luft und ich fühlte mich sofort erleichtert, als wir die Schwelle überschritten.

Der Gastwirt begrüßte uns mit einem freundlichen Lächeln und führte uns zu einem gemütlichen Tisch am Kamin. Wir zogen unsere nassen Mäntel aus und ließen uns dankbar in die Stühle fallen, während wir uns wärmten und ausruhten.

Es war bereits mitten in der Nacht, als wir endlich unser Zimmer betraten. Die Wände waren mit alten Gemälden geschmückt, und der Duft von frischen Blumen stieg mir in die Nase. Das Bett sah einladend aus, mit weichen Decken und Kissen, die uns versprachen, eine erholsame Nacht zu bieten.

Ich ließ mich auf das Bett sinken, meine Augen schwer vor Müdigkeit. Es war eine unerwartete Rast, aber ich war dankbar für die Sicherheit und Wärme, die uns das Gasthaus bot. Und während ich langsam in einen friedlichen Schlaf glitt, wusste ich, dass wir morgen wieder gestärkt und bereit sein würden, unsere Reise fortzusetzen.

♕♕♕

Ein neuer Tag brach an, nachdem wir uns von der unerwarteten Rast im Gasthaus erholt hatten. Obwohl der Weg bis zu unserem Ziel nicht mehr weit war, waren wir alle erleichtert, dass wir die Nacht unversehrt überstanden hatten. Die Macht des Winters hatte uns zwar herausgefordert, aber wir hatten sie gemeistert.

Der Kutscher, ausgeruht und motiviert nach der Pause, lenkte das Gefährt nun mit neuer Energie durch den dichten Schnee. Das Tageslicht machte die Reise wesentlich einfacher als die Dunkelheit der vergangenen Nacht, und ich konnte spüren, wie sich die Anspannung in der Kutsche langsam löste.

Die Entscheidung, im Gasthaus Rast zu machen, war zweifellos die richtige gewesen. Doch nun, da wir wieder unterwegs waren, hoffte ich nur noch darauf, bald bei Henry zu sein. Es waren Monate vergangen, seit ich seine Nähe zuletzt gespürt hatte, und obwohl ich ursprünglich geplant hatte, ihm Zeit zu geben, auf mich zuzukommen, war die Situation jetzt eine andere.

Der Duke of Cambridge, Henrys Vater, lag im Sterben, und ich fühlte mich verpflichtet, an seiner Seite zu sein, wenn es soweit war. Unsere Freundschaft hatte sich in den letzten Monaten entwickelt und obwohl wir nie darüber geredet hatten, was zwischen uns war, wusste ich, dass meine Unterstützung und mein Trost in dieser schweren Zeit für ihn von Bedeutung sein würden.

"Elizabeth, wie geht es nun weiter?" fragte mein Bruder leise, seine Augen auf mich gerichtet.

Ich seufzte und wandte meinen Blick zum Fenster, während ich über seine Frage nachdachte.

"Henry ist jetzt offiziell ein potenzieller Gatte für dich", fuhr William fort, seine Stimme ruhig, aber nachdrücklich. "Wie stehen deine Gefühle dazu?"

Ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete, als ich seine Worte hörte. "Ich würde Henry zu nichts drängen", antwortete ich schließlich, meine Stimme war fest. "Und ich möchte auch nicht den Eindruck erwecken, dass ich nur Interesse zeige, jetzt wo er ein adliger von hohem Stand ist. Eine Heirat sollte keine Lösung für unsere Probleme sein", erklärte ich entschieden. "Sie sollte aus Liebe geschehen, aus echten Gefühlen und einem tiefen Verbundenheitsgefühl."

William sah mich nachdenklich an, seine Stirn leicht gerunzelt. "Und was, wenn sich diese Liebe zwischen dir und dem zukünftigen Herzog entwickelt? Wenn euch wirklich nichts mehr im Wege steht?"

Ich zuckte mit den Schultern, denn die Antwort lag jenseits meiner Vorstellungskraft. "Das steht in den Sternen", antwortete ich leise. "Aber bis dahin werde ich meine Entscheidung nicht überstürzen. Ich werde meinem Herzen folgen und das tun, was richtig ist, egal welche Konsequenzen es mit sich bringt."

Während die Kutsche weiter über den verschneiten Pfad rollte, wusste ich, dass ich bereit war, meine Zukunft in die Hände des Schicksals zu legen und zu sehen, wohin es mich führen würde.

Royal Escape (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt