Bedrückendes Schweigen umhüllte meine Familie und mich, wie ein unsichtbarer Schleier. Alberts Andeutungen und dann dieser Rückzieher blieben weiterhin rätselhaft für meine Familie und sie konnten nicht begreifen, warum er uns in diesem emotionalen Gefühlschaos gefangen hielt.
Inmitten dieser Situation suchte mein Bruder William das Gespräch mit mir. Sein Blick war ernst, als er mich in unserem Wohngemach aufsuchte, wo ich gerade neue Stickmuster übte.
"Elizabeth, wir verstehen immer noch nicht, warum Albert so gehandelt hat. Gibt es etwas, das du uns nicht erzählt hast?", begann er behutsam.
Ich blickte zu Boden, die Tränen drohten meine Augen zu überfluten. "William, es gibt Dinge, die ich einfach nicht erklären kann."
Er setzte sich neben mich und nahm mir die Stickereien aus meinen Händen. "Sprich mit mir, Schwester. Wir müssen zusammenhalten, besonders in solch undurchsichtigen Zeiten. Du weißt, wie es um uns steht."
"Es tut mir leid, William. Ich fühle mich schuldig und ich kann es nicht ertragen, wie ihr alle wegen mir leidet." Die Worte kamen kaum über meine Lippen, als ich meine Hände über mein Gesicht legte und dabei in einem Meer aus Tränen versank.
"Es ist nicht deine Schuld, Elizabeth. Wir stehen als Familie zusammen, egal welche Herausforderungen auf uns zukommen. Aber ich habe das Gefühl, dass es etwas gibt, das du uns verschweigst. Vertraust du mir nicht?"
Ein Seufzen entwich meiner Kehle und ich versuchte meine zerrissenen Gefühle in Worte zu fassen. Er reichte mir ein Taschentuch, mit dem ich meine Tränen wegwischte.
"Es gibt jemanden, William. Jemanden, der in mein Leben getreten ist und alles durcheinandergebracht hat."Ich konnte ihm ansehen, dass er wusste, über wen ich sprach.
"Henry Jefferson", bemerkte er emotionslos."Ich versichere dir, ich tue alles, um Albert dazu zu bringen, mich zu heiraten", versprach ich, doch ich wusste, dass die Chancen nicht sehr hoch waren. Ich erzählte ihm von dem Abend im Pavillon und dass Albert daraufhin keinen Antrag mehr gemacht hatte.
Williams Stirn runzelte sich und er schüttelte den Kopf. "Eine Verbindung mit einem Bediensteten, Elizabeth? Das ist unangebracht. Aber noch wichtiger ist, dass du in unseren Kreisen keine Küsse verteilen solltest, solange du unverheiratet bist. Das könnte nicht nur deine Ehre gefährden, sondern auch den Ruf der Familie."
Die Worte trafen mich wie ein Schlag und ich konnte den wahren Ernst der Lage nicht leugnen. "Es gab keinen Kuss, William. Es war ein Beinahe-Moment, mehr nicht. Ich verspreche dir, ich werde alles tun, um diese Situation zu bereinigen und Albert zu überzeugen."
William nickte langsam, sein Blick nachdenklich. "Ich hoffe, du hältst dein Versprechen, Schwester. Unsere Familie hat genug durchgemacht. Die finanzielle Lage ist eine Sache. Dazu ein schlechter Ruf eine andere."
Mitten im Gespräch betrat plötzlich Emily, unsere Zofe, den Raum. Hinter ihr verbarg sich Albert Collingwood, was meinem Bruder und mir gleichzeitig ein Stirnrunzeln entlockte. Sein hellblondes Haar glänzte makellos und sein samtblauer Anzug schien perfekt auf ihn zugeschnitten zu sein, dunkel wie die Nacht selbst. Ein höfliches Lächeln zierte seine Lippen, als er William darum bat, mich zu einem Gespräch im Sonnengarten entführen zu dürfen.
William stimmte sofort lächelnd zu und so fanden Albert und ich uns mit meiner Amstandsdame kurz darauf zwischen den blühenden Blumen wieder, die sich sanft im Sommerwind wiegten. Es war eine idyllische Kulisse für ein Gespräch, welches sicherlich unangenehm werden würde.
Als wir ein wenig Abstand von unserer Residenz gewonnen hatten, wandte sich Lord Collingwood mir zu und bat um Verzeihung für die Peinlichkeit, die er am Abend des Abendessens verursacht hatte. Seine Stimme war voller Bedauern.
"Es tut mir aufrichtig leid, Miss Lancaster", begann er. "Ich wollte nicht, dass meine unbedachten Worte Ihre Familie kränken. Es war auch bei mir ein Moment der Schwäche, ganz wie bei Ihnen. Und ich bitte inständig um Vergebung."
Seine Worte überraschten mich und ich spürte, wie sich mein Herz ein wenig erleichterte. Wieso entschuldigte er sich bei mir? Ich war diejenige, die ihn an diesem Abend gekränkt und fast ihre Ehre dabei verloren hatte. Mein Vater und William hatten recht. Er war wirklich ein guter Mann, das sah ich spätestens jetzt auch ein.
Es war nicht oft, dass sich ein Mann wie Albert Collingwood so offen und ehrlich seine Fehler eingestand, besonders weil er nichts Verwerfliches getan hatte.
"Ich danke Ihnen, Lord Collingwood", antwortete ich mit einem smarten Lächeln. "Doch ich bin diejenige, die sich entschuldigen muss. Ich habe uns den Abend ruiniert und das tut mir leid."
Alberts Gesicht hellte ein wenig auf und ich spürte eine seltsame Verbundenheit zwischen uns, die ich nicht erklären konnte. Es war, als ob unsere früheren Differenzen in diesem Moment verschwanden und wir uns auf einer ganz neuen Ebene begegneten.
Wir setzten unseren Spaziergang fort und während wir durch den Garten schlenderten, begannen wir uns über verschiedenste Themen zu unterhalten. Von Literatur bis Politik, von unseren persönlichen Interessen bis hin zu unseren Träumen für die Zukunft - unsere Gespräche waren tiefgründig.
Als die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand und er sich von mir verabschiedete, hielt er meine Hände fest in den seinen. "Miss Lancaster ... Elizabeth!", korrigierte er sich selbst. "Darf ich Sie ein weiteres Mal mit Ihrer Familie zu einem Abendessen einladen? Ich verspreche hoch und heilig, dass Ihre Erwartungen erfüllt werden."
Mein Herz klopfte und ich konnte nicht deuten, ob vor Aufregung oder aufgrund des Drucks, der wieder einmal auf mir lastete. Doch ich hatte versprochen, alles erdenklich mögliche zu tun, damit es unserer Familie bald wieder besser ging. Auch wenn es bedeutete, dass sich mein Leben für immer verändern würde. Ich war bereit, mich diesem neuen Kapitel mit offenem Herzen zu stellen.
"Wir würden uns sehr freuen, Lord Collingwood", antwortete ich.
"Ich würde Sie und Ihre Familie gerne am Sonnabend empfangen."
Ich nickte und als er sich umdrehte, hielt ich ihn an seinen Arm fest. Mit neugierigem Blick sah er in meine Augen. "Darf ich fragen, ob Sie mit Ihrem Bediensteten Henry Jefferson über die Situation im Pavillon gesprochen haben?"
Ein trockenes Lachen entwich seiner Kehle. So intensiv, dass es mir eine Gänsehaut bescherte. "Natürlich kann ich ihn nicht weiter beschäftigen. Das verstehen Sie doch, oder?"
"Sie haben ihn entlassen?", hakte ich vorsichtig nach.
"Und ob", gestand Albert. "Er hat mir mehrere Gründe gegeben. Finden Sie nicht auch, Miss Lancaster?"
Er wartete auf keine Antwort meinerseits und stieg mit einem leisen Pfeifen in seine Kutsche. Mein Magen zog sich schmerzlich zusammen und ich hatte das Gefühl, den Boden unter meinen Füßen zu verlieren.
Henry hatte wegen mir seine Anstellung verloren? Weil ich so töricht war und meine Gefühle nicht im Griff hatte?
Noch größere Schuld nagte an mir und ich dachte über die Ungerechtigkeit des Lebens nach. Henry stand vor dem Nichts, während mir mit einer Hochzeit mit Albert alle Wege offen stehen würden. Doch zu welchem Preis? Der Gedanke an Henry, der seinen Job verlor, weil ich mich in einem schwachen Moment von meinen Gefühlen hinreißen ließ, schnürte mir die Kehle zu.
Doch ich konnte nicht einfach tatenlos zusehen, wie das Leben von Menschen, die mir wichtig waren, zerstört wurde. Ich musste handeln, auch wenn es bedeutete, mich meinen eigenen Ängsten und Konsequenzen zu stellen.
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Royal Escape (ONC 2024)
Historical Fiction•• Mein Beitrag zum ONC 2024 •• Inmitten der Ballsaison im Jahre 1825 bereitet sich die Londoner High Society auf Vermählungen und familiäre Allianzen vor. Elizabeth, von ihrem Vater für eine Verbindung mit den Collingwoods vorgesehen, entscheidet s...