Niemand aber zündet ein Licht an und bedeckt es mit einem Gefäß oder setzt es unter eine Bank; sondern er setzt es auf einen Leuchter, auf dass, wer hineingeht, das Licht sehe.»Begegnungen mit der Dunkelheit haben wir alle schon einmal gemacht.« Ich stehe auf der Kanzel, meine vorbereitete Rede vor mir. Natürlich ist kein einziges Korrekturzeichen seitens des Pastors auf den Blättern zu finden.
Mein Vorgesetzter sitzt milde lächelnd neben seiner Frau in einer der Kirchenbänke links von mir, die übrigen Sitzreihen sind mit verhältnismäßig vielen Menschen besetzt.
»Wenn es so richtig dunkel ist, dann entfaltet sich die Fantasie in uns«, fahre ich mit meiner Predigt fort und blicke in aufmerksame Gesichter. »Aus bekannten Gegenständen im Zimmer werden Ungeheuer und wenn noch ein klitzekleines Licht draußen vorbeieilt, dann wandern Schatten an der Wand entlang. Das hat mir als Kind große Angst gemacht und ich habe viele schlaflose Nächte in meinem dunklen Zimmer verbracht.«
Das laute Knarren der Kirchentür lässt die Menschen in den Bänken die Köpfe drehen und ich räuspere mich kurz.
Ich mache eine gedankliche Notiz, mich später persönlich um das Knarren zu kümmern.
Es kann immer einmal vorkommen, dass jemand zu spät kommt, das Wichtigste ist jedoch, dass die Person überhaupt kommt. Eine laute Tür, die sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist da nicht besonders ermutigend.
Etwas auffälliger als sonst raschle ich mit meinen Zetteln, um die Blicke wieder auf mich zu lenken und dem Nachzügler die Möglichkeit zu geben, sich in aller Ruhe einen Platz in einer der Reihen zu suchen.
»Eine meiner Kindergärtnerinnen schenkte mir eines Tages eine dieser winzigen Taschenlampen, die man auch als Schlüsselanhänger verwenden kann. Vielleicht war es mein Geburtstag oder Weihnachten, vielleicht gab es auch gar keinen besonderen Anlass, das weiß ich nicht mehr. Was ich aber noch weiß, ist, dass ich jeden Abend mit der Taschenlampe in meiner Hand einschlafen konnte. Dieses kleine Licht reichte aus, um der Dunkelheit den Schrecken zu nehmen.« Ich hebe den Blick und schaue durch die hinteren Reihen.
Meine Augen weiten sich, als doch tatsächlich der bärtige Archie ganz hinten auf der letzten Bank sitzt, seine breiten Schultern ein krasser Kontrast zu den anderen, überwiegend älteren und geduckten Kirchenbesuchern.
Ich befeuchte meine Lippen und spreche mit fester Stimme weiter: »Dunkelheit und Finsternis verbreiten oft ein Gefühl der Angst und des Ausgeliefertseins. Doch haben Sie schon einmal die Tür eines dunklen Raums geöffnet? Das Licht von draußen, und sei es auch noch so winzig, wird immer in die Dunkelheit scheinen. Die Dunkelheit dringt niemals in das Licht.«
Einige Köpfe nicken zustimmend und auch der große Mann im hintersten Teil der Kirche scheint meinen Worten aufmerksam zu lauschen, während ich meine Predigt fortsetze und wie üblicherweise einen Vergleich zu Gott und der Schöpfung ziehe.
Bei den Gebeten, zu denen ich die Gemeinde bitte, sich zu erheben, entgeht mir nicht, dass der große, fremde Mann auf seiner Bank sitzen bleibt. Auch bei den Liedern, die wir alle gemeinsam singen, scheint er unbeholfen, doch zumindest bewegt er die Lippen mit.
† † †
»Die Predigt war wirklich gut. Pastor Fulson, Ihr Vikar hat ein besonderes Talent.« Die letzten Kirchenbesucher verabschieden sich von Pastor Fulson, seiner Frau und mir und schütteln uns dankbar die Hände.
Mrs. Fulson hält die Kollekte, in der mit jedem sich verabschiedenden Besucher das Kleingeld geklimpert hat, in der einen und die Finger ihres Mannes in der anderen Hand.
Überhaupt habe ich die beiden selten ohne Körperkontakt gesehen. Als würden sie sich auf diese Weise stets signalisieren, dass sie füreinander da sind.
»Sie können sich auch schon zurückziehen«, biete ich den beiden an und werfe einen Blick zurück in die Kirche.
Der große Archie hat inzwischen ebenfalls von der Kirchenbank erhoben, aber es ist offensichtlich, dass er sich nicht nach draußen traut, solange wir hier am Eingang stehen.
»Ich schließe später ab, aber vorher wollte ich schauen, ob ich der Tür noch etwas Schmieröl verabreichen kann.«
»Das Knarren ist wirklich auffällig laut in letzter Zeit.« Pastor Fulson nickt zustimmend und dreht seinen Kopf mit einem zweifelnden Blick in die Richtung des letzte Kirchenbesuchers und wieder zurück zu mir. »Und du kommst zurecht?«
Ich lächle selbstbewusst. »Auf jeden Fall.«
Er räuspert sich und stupst seine Frau auffordernd mit der Schulter an. »Dann können wir ja dieses eine Rezept ausprobieren, das du mir letztens gezeigt hast. Das mit den Kartoffeln.«
Die beiden haben es sich schon vor langer Zeit zur Tradition gemacht, nach den sonntäglichen Gottesdiensten gemeinsam zu kochen, was ich wirklich wundervoll finde.
Mit einem letzten prüfenden Blick zur hintersten Kirchenbank führt Pastor Fulson seine Frau zum Ausgang und kurze Zeit später bin ich allein mit dem unerwarteten Besucher in dem riesigen, leeren Gebäude.
Ich kenne diesen Archie zwar nicht, aber er scheint mir zu der Sorte Menschen zu gehören, die nicht besonders oft in die Kirche gehen. Überhaupt macht er nicht den Eindruck, als würde er sich hier besonders wohl fühlen.
Warum ist er also hier?
Der kräftige Mann hustet einmal kurz, ehe er sich mir schließlich mit zögerlichen Schritten nähert.
Ich betrachte ihn mit einem freundlichen Ausdruck auf meinem Gesicht, sage jedoch nichts. Wir beide wissen, dass wir uns gegenseitig erkannt haben und obwohl er so groß und augenscheinlich furchteinflößend ist, habe ich das Gefühl, dass Archie kurz davor ist, die Flucht zu ergreifen. Mein Gefühl sagt mir, dass es besser ist, ihn den ersten Schritt machen zu lassen und so sehe ich ihn einfach nur schweigend an.
Seine tätowierte Hand fährt über seinen kräftigen Nacken, als er einen weiteren Schritt auf mich zu macht. »Also ... hm ... kann man hier sowas wie beichten oder wie läuft das?«
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Holy Shit | ✓
Romance𝐒𝐜𝐡𝐰𝐚𝐫𝐳𝐞𝐬 𝐒𝐜𝐡𝐚𝐟 𝐭𝐫𝐢𝐟𝐟𝐭 𝐇𝐢𝐫𝐭𝐞 - 𝐅𝐚𝐦𝐢𝐥𝐢𝐞 𝐤𝐚𝐧𝐧 𝐦𝐚𝐧 𝐬𝐢𝐜𝐡 𝐧𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐚𝐮𝐬𝐬𝐮𝐜𝐡𝐞𝐧 Archibald »Archie« Canmore war schon immer das schwarze Schaf seiner Familie. Lernen war nie sein Ding, stattdessen hat er...