Ein jeder, wie er's sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.Nachdem Archie mir beim Ernten der Mirabellen geholfen hat, schlage ich vor, dass wir die beiden Eimer und den einen, der noch von meiner letzten Pflückrunde gefüllt im kühlen Inneren der Kirche steht, direkt zu Mrs. Graham bringen.
Erst glaube ich, dass er ablehnen wird, da er bei seinem letzten Besuch in der Kirche den Eindruck machte, als wollte er auf keinen Fall mit mir gesehen werden. Doch der große Mann mit den tätowierten Armen verblüfft mich wieder einmal, indem er ohne zu zögern zustimmt und mir mit den beiden Eimern in den Händen folgt, als wären sie nicht bis zum Rand gefüllt mit Mirabellen.
Bis zu Mrs. Grahams Haus ist es nur etwa eine Viertelstunde Fußweg und Archie weigert sich vehement, mir einen der Eimer abzugeben. Um ehrlich zu sein, wirkt es bei seinen breiten Armen auch so, als würden die Eimer gar nichts wiegen.
Also gehe ich mit leeren Händen neben ihm her und frage mich noch immer, warum er eigentlich hier ist.
»Verrätst du mir jetzt, warum du hier bist?« Ich stelle die Frage erneut, obwohl ich das Gefühl habe, dass Archie sie gern meiden würde.
Allerdings wäre keinem von uns beiden damit geholfen. Ich würde weiterhin über den Grund seines erneuten Auftauchens grübeln und er würde sein Vorhaben? Seinen Plan? Seinen Auftrag? schlecht in die Tat umsetzen können, wenn er nicht mit der Sprache rausrückt.
Archie scheint sich nicht in den besten Kreisen aufzuhalten und wäre sein Kumpel Hugo an seiner Stelle hier aufgetaucht, wäre ich bei Weitem beunruhigter. Aber bei dem großen, tätowierten Mann mit dem rot-braunen Bart, der ganz selbstverständlich ein paar mit Mirabellen gefüllte Eimer neben mir trägt, habe ich keine Befürchtung, dass er irgendwelche bösartigen Absichten hat.
»Hm«, brummt er neben mir und scheint nach den richtigen Worten zu suchen. »Ich hab von der Sache mitbekommen.«
Fragend hebe ich die Augenbrauen. »Welcher Sache?«
»Die Sache mit deinem Einkaufswagen und Hugo und Gino.« Er zuckt mit den breiten Schultern. Die Bewegung sieht so einfach aus, dass man glatt vergessen könnte, dass an seinen Händen schwer gefüllte Eimer hängen.
Ich lächle mild und deute mit der Hand zu Mrs. Grahams Haus, welches nun unmittelbar vor uns liegt. »Lass uns erst einmal die Mirabellen abgeben und dann erklärst du mir das genauer.« Beherzt drücke ich mehrmals auf den Klingelknopf und klopfe zusätzlich an die Tür.
Mrs. Grahams Gehör ist zuweilen nicht mehr das Beste und oft glaubt sie, sich das Geräusch der Klingel nur eingebildet oder im Fernsehen gehört zu haben.
Es dauert nicht lange und die Tür wird aufgerissen.
Wie immer, wenn ich ihr einen Besuch abstatte, trägt die ältere Dame eine weiße Schürze mit dicken, roten Punkten darauf.
»Matteo!«, ruft die zierliche Frau mit den schlohweißen Haaren begeistert und zieht mich sogleich in eine herzliche Umarmung. »Hast du schon wieder geerntet? Da komme ich ja kaum hinterher.«
»Hallo Mrs. Graham«, grüße ich sie höflich und zeige auf die Eimer in Archies Händen, als sie mich wieder losgelassen hat. »Heute hatte ich tatkräftige Unterstützung.«
Sie betrachtet den riesigen Archie mit großen Augen, ihr Blick bleibt einen Hauch zu lang an seinen tätowierten Armen hängen.
»Das ist Archie, ein Freund und ein hervorragender Mirabellenpflücker«, stelle ich den Riesen neben mir vor.
Seine Lippen formen sich zu einem hilflosen Lächeln zwischen seinen Barthaaren und er hält Mrs. Graham die Eimer entgegen. »Ich hab nur ein paar genascht«, sagt er ehrlich. Überrascht reißt er die Augen auf, als die dünne Frau mit den weißen Haaren ihn vollkommen unvermittelt umarmt, die Eimer an seinen Händen baumeln hinter ihrem Rücken.
»Du darfst gleich noch mehr naschen, mein Junge. Ich habe eben einen Schokoladenkuchen aus dem Ofen geholt und der schmeckt noch viel besser, wenn man ein bisschen Mirabellengelee dazu tut«, erzählt sie lachend und wedelt auffordernd mit den Händen. »Kommt rein, kommt rein. Aber zieht eure Schuhe aus, ja?«
Archie blickt mich so hilflos an, dass ich unweigerlich schmunzeln muss.
»Keine Sorge«, murmle ich ihm zu. »Sie ist harmlos. Und ihr Schokokuchen ist legendär.« Um es ihm zu erleichtern, trete ich vor und folge Mrs. Graham in ihr Haus.
Während sie bereits zurück in ihren Küche huscht, öffne ich im schmalen Flur die Schnürsenkel meiner schwarzen Sneakers und stelle die Schuhe auf dem dort platzierten, kleinen Regal ab.
Archie neben mir schlüpft aus seinen schweren Lederboots, indem er mit der Spitze des einen den Hacken des anderen hält und den Fuß herauszieht. Polternd fällt der Schuh auf den Teppichboden und er blickt mich ertappt an.
»Ist was umgefallen?«, ruft Mrs. Graham aus der Küche. Das Klappern von Geschirr lässt ahnen, dass sie bereits beginnt, den Tisch zu decken.
Ich zwinkere Archie zu und nehme ihm die beiden Eimer, die er noch immer in den Händen hält, ab. »Nein, alles okay. Archie ist nur sein Schuh runtergefallen«, rufe ich zurück.
Der große Mann stellt seinen anderen Stiefel ganz besonders vorsichtig auf dem Regal ab, seine Zunge schaut dabei konzentriert zwischen seinen Lippen hervor.
Ich gehe schon einmal in die Küche, wo Mrs. Graham schon den duftenden Schokoladenkuchen in gleich große Stücke schneidet. »Wollt ihr zwei auch noch Sahne?«
Mit fragend gehobenen Augenbrauen drehe ich mich zur Tür, durch die Archie nun auf schwarzen Socken geschlichen kommt. Am großen Zeh seines linken Fußes schimmert ein kleines Stück helle Haut hindurch. Er nickt wortlos mit dem Kopf.
»Archie nimmt Sahne, mir reicht das Gelee, Mrs. Graham«, lasse ich unsere Gastgeberin wissen. »Wo kann ich die Mirabellen hinstellen?«
»Ach, einfach dort drüben auf die Fensterbank«, antwortet sie und winkt Archie heran. »Du kannst schon mal die Teller nehmen und auf den Tisch stellen, mein Junge.«
Das Bild von dem großen Mann, der mit seinen muskulösen, tätowierten Armen auf seinen schwarzen Socken durch die Küche tapst, um Mrs. Graham die dünnen Teller abzunehmen, lässt mich unweigerlich schmunzeln. Sein sonst so furchteinflößendes Äußeres hat hier so gar keine Wirkung, vielmehr scheint er der Hilflosteste im Raum zu sein.
Seine grünen Augen blicken hilfesuchend zu mir und ich deute lächelnd zum Esszimmer, das durch einen schmalen Durchgang erreichbar ist.
Kurze Zeit später sitzen wir zu dritt an Mrs. Grahams Esstisch, natürlich mit einer weißen Tischdecke, die zarte Blumenstickereien aufweist. Archie und ich sitzen nebeneinander, die alte Dame uns gegenüber.
»Möchtest du noch ein Stück, Archie?« Sie hebt bereits ein weiteres, duftendes Kuchenstück mit dem Tortenheber an, dabei ist Archie noch nicht mal mit seinem ersten Stück fertig.
Kauend schüttelt er den Kopf. »Später vielleicht«, nuschelt er. An den rotbraunen Barthaaren um seine Lippen haben sich einige der dunkelbraunen Krümel verfangen und im rechten Mundwinkel schimmert weiß ein Rest Sahne.
Ich reiche ihm eine der mit Blumen bedruckten Papierservietten, die in einem silbernen Ständer auf dem Tisch stehen, und deute auf meinen eigenen Mund. »Du ... Du hast da noch Krümel«, erkläre ich lächelnd.
Eilig wischt er sich mit der Serviette über den Mund.
»Der Kuchen ist wirklich fantastisch, Mrs. Graham«, richte ich mein Wort an unsere Gastgeberin. »Noch besser als letztes Mal. Haben Sie etwas an dem Rezept geändert?«
»Oh ja«, erwidert sie nickend. »Ich habe mir deinen Tipp mit dem Zimt zu Herzen genommen. Du hattest vollkommen recht. Warum sollte man Zimt nur im Winter nehmen?« Sie schaut auf Archies Teller, der soeben vom letzten Bissen des Kuchenstücks befreit wurde und noch bevor er widersprechen kann, hat sie ihm ein weiteres, duftendes Stück aufgetan.
Mit großen Augen glotzt er erst sie und dann mich an, ehe er ein leises »Danke« brummt.
»So, und nun sagt doch mal«, setzt Mrs. Graham schmunzelnd an. »Wie lange seid ihr denn schon zusammen?«
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Holy Shit | ✓
Romantizm𝐒𝐜𝐡𝐰𝐚𝐫𝐳𝐞𝐬 𝐒𝐜𝐡𝐚𝐟 𝐭𝐫𝐢𝐟𝐟𝐭 𝐇𝐢𝐫𝐭𝐞 - 𝐅𝐚𝐦𝐢𝐥𝐢𝐞 𝐤𝐚𝐧𝐧 𝐦𝐚𝐧 𝐬𝐢𝐜𝐡 𝐧𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐚𝐮𝐬𝐬𝐮𝐜𝐡𝐞𝐧 Archibald »Archie« Canmore war schon immer das schwarze Schaf seiner Familie. Lernen war nie sein Ding, stattdessen hat er...