17. Kapitel | Warum bin ich eigentlich so ein Arschloch? (Archie)

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Eben war ich noch total von den Vögeln abgelenkt, aber Matteo hat recht. Ich habe vollkommen vergessen, ihm zu sagen, wieso ich eigentlich hier bin.

Aber warum bin ich das überhaupt? Es stimmt, was er sagt. Ich war gestern nicht dabei, als Hugo und Gino ihre Scheiße mit ihm abgezogen haben.

»Ähm«, mache ich. »Hugo und Gino sind manchmal ganz schöne Arschlöcher.«

Er betrachtet mich aufmerksam mit diesen runden, braunen Augen und sagt nichts weiter. Wahrscheinlich wartet er, dass ich noch mehr sage.

Meine Finger fahren über das Holz der Bank, auf der wir sitzen. An einer Stelle ist etwas Farbe abgeplatzt, an der pule ich herum.

»Als sie davon erzählt haben, wie sie jemandem den Einkaufswagen geklaut haben, wusste ich gleich, dass sie von dir reden«, rede ich weiter, ohne ihn anzusehen. Mein Fingernagel fährt unter die Kante der Farbschicht und löst ein kleines Stückchen davon. »Irgendwie hat Hugo sich auf dich eingeschossen, keine Ahnung wieso. Er kann es nicht leiden, wenn ihm jemand widerspricht, der kleiner ist als er.«

Matteo seufzt und nickt verständnisvoll.

»Ich war richtig sauer deswegen, darum wollte ich dir sagen, dass sie manchmal Arschlöcher sind.« Jetzt ist ein ziemlich großes Stück der Farbe abgegangen und ich halte das Plättchen zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ich bin auch ein Arschloch, aber nicht zu dir, denn du hast das voll nicht verdient.«

Er lächelt. »Warum glaubst du, dass du ein Arschloch bist?«

Das Farbplättchen zerbröselt zwischen meinen Fingern und ich schaue ihn mit gerunzelter Stirn an.

Wieso fragt er sowas? Er kennt mich doch. Und er hat Arschloch gesagt! Dürfen Kirchenleute das?

»Darfst du überhaupt Arschloch sagen?«, platze ich sofort heraus.

Matteo lacht und dabei kommt wieder dieses kleine Grübchen neben seinem Mundwinkel zum Vorschein. »Erst einmal habe ich dich ja nicht so genannt, sondern nur das Wort wiederholt. Und außerdem dürfen Pastoren ganz schön viel.«

»Echt?« Meine Finger tasten wieder über die blätternde Farbe auf dem Holz. »Was denn so?«

Er zuckt mit den Schultern. »So ziemlich alles, was Nicht-Pastoren auch dürfen. Und auch nicht mehr als das. Also, ich dürfte auch nicht losgehen und Leuten Geld wegnehmen oder zwei Frauen heiraten.«

»Aber bist du verheiratet?«

Er schüttelt den Kopf und blickt zur Vogeltränke, das Grübchen ist wieder verschwunden.

»Wieso nicht?«

Statt des Grübchens erscheint eine kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen und seine Lippen pressen sich kurz zu einem schmalen Strich zusammen. »Hast du eine Freundin, Archie?«

Woah, wieso fragt er mich sowas?

Hektisch fummeln meine Finger über das Holz und lösen weitere Farbteile ab. »Äh ... nö.«

»Warum nicht?«

Wow, der spinnt wohl! Mich sowas zu fragen. Das geht ihn überhaupt nichts an!

Irgendwie will ich nur noch hier weg, aber ich will auch nicht einfach so abhauen.

Abrupt stehe ich auf und ziehe mein Handy aus der Hosentasche, um es mir ans Ohr zu halten. »Ja, Boss. Bin gleich da.«

Zwar ruft mich keiner an, aber das weiß er ja nicht.

Matteo sitzt weiterhin auf der Bank und betrachtet mich, seine Hände ruhen auf seinem Schoß, sein Blick wirkt irgendwie ... enttäuscht.

Schnell schiebe ich das Telefon zurück in die Tasche und kratze mir den Nacken. »Ich muss los«, lüge ich.

Er nickt und erhebt sich langsam, um mir voraus in die Kirche zu gehen.

Ich folge ihm und es kann mir gar nicht schnell genug gehen. Mir ist voll heiß und ich will nach Hause oder auf jeden Fall hier weg.

Matteo schließt die Eingangstür auf und öffnet sie mir.

Ich schlüpfe schnell nach draußen, ich kann ihn gar nicht ansehen.

»Weißt du, Archie, auch ich habe manchmal meine Schwierigkeiten mit den zehn Geboten, ob als Vikar oder als Mensch«, sagt Matteo hinter mir. »Eines davon lautet sinngemäß, dass man nicht lügen soll und das finde ich, gerade gegenüber Freunden, besonders wichtig. Ich finde es schade, dass das bei dir anders zu sein scheint.«

Mit einem unerwarteten Rumms! schließt sich die Tür hinter mir und das Geräusch hallt laut in meinem Kopf wider.

Holy Shit | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt