15. Kapitel | Was darf so ein Pfarrer eigentlich? (Archie)

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Äh, bitte was?

Matteos Gesichtsausdruck wirkt so, wie ich mich gerade fühle. Seine Augen sind weit aufgerissen, seine Wangen ein wenig rot und er hustet, weil er sich anscheinend an einem Kuchenkrümel verschluckt hat.

Schrrrrrrrrrrt!

Die alte Frau, der wir doch eigentlich nur die Eimer voller Mirabellen bringen wollten, sprüht einen dicken Sahneberg neben das dunkelbraune Kuchenstück auf meinem Teller, während sie uns erwartungsvoll ansieht.

Matteo räuspert sich und tupft sich mit einem dieser blumigen Tücher den Mund ab. »Wir ... äh ... sind nicht zusammen, Mrs. Graham.«

Ich nicke eifrig und stecke die Zacken meiner Gabel in den weichen Kuchen, um mir direkt etwas von dem noch warmen Teig in den Mund zu stopfen.

Besser, wenn er redet. Ich bin nicht so gut darin.

Wie kommt sie überhaupt darauf, dass wir zusammen sind? Ich meine, er ist doch ein ...

Mist, wie war das Wort nochmal? Es klang ein bisschen wie eine Beleidigung.

Arschloch? Nein, das war es nicht.
Penner? Wichser?
Wichser! Das war es. Aber nicht ganz, sondern ... Vikar.

Genau! Er ist ein Vikar. Und fast ein Pfarrer oder sowas. Die sind doch immer alleine, oder? Und wenn, dürfen die doch gar nicht schwul sein.

Verstohlen sehe ich zu Matteo rüber.

Er redet ganz entspannt weiter, seine Hände mit den langen, dünnen Fingern ruhen dabei auf der blumigen Tischdecke neben dem Teller.

Das mit dem Reden hat er echt drauf.

Und er ist ein echt hübscher Kerl mit seinen dunklen Locken. Nicht so offensichtlich hübsch wie Gino, der sich immer ewig im Badezimmer die Haare gelt und sogar an seinen Augenbrauen rumzupft. Dafür zieht Hugo ihn auch gerne auf. Gino schleppt auch ständig irgendwelche Frauen ab. Meistens solche, die ganz viel Schminke tragen.

Matteo ist irgendwie anders hübsch, weil er sich darüber keine Gedanken zu machen scheint. Wahrscheinlich müssen Pfarrer nicht hübsch sein.
Aber er ist es trotzdem. Er ist zwar ganz schön klein und dünn, aber das passt auch voll gut zu ihm.

Ob er wohl eine Freundin oder eine Frau hat? Vielleicht frage ich ihn nachher mal, ob er das überhaupt darf. Und wenn nicht, darf er dann wenigstens wichsen?

Das wäre richtig schlimm für mich! Wenn mir einer das Wichsen verbieten würde.

Aber wer soll das auch schon kontrollieren, ob man wichst? Matteo hält sich wahrscheinlich an die Regeln, wenn er es nicht darf. Und wenn er es doch darf, woran denkt er dann wohl dabei? Er wird doch nicht an Gott denken, wenn er sich einen runterholt, oder?

» ... Archie?« Matteo und Mrs. Graham betrachten mich erwartungsvoll.

Shit! Ich hab den Faden verloren und überhaupt nicht zugehört, worüber die beiden geredet haben.

Matteo lächelt mich freundlich an, seine Zunge fährt über seine schmalen Lippen. »Mrs. Graham wollte wissen, ob du eine Freundin hast.« Schmunzelnd beugt er sich zu mir herüber, ehe er die ältere Frau anlacht. »Sie ist manchmal etwas neugieriger, als es unbedingt höflich ist. Du musst also nicht antworten, wenn du nicht willst.«

Die dürre Frau winkt lachend ab und macht sich daran, die inzwischen leeren Teller aufeinanderzustapeln. »Jetzt lass einer alten Frau doch ihren Spaß, Matteo. Es interessiert mich eben. Und wenn du mir schon nichts erzählen willst, bekomme ich von Archie vielleicht ein bisschen Unterhaltung.«

Hastig schüttle ich den Kopf und lege meine Hände auf meinen Oberschenkeln ab, damit Matteo den Teller nehmen kann. Mein Blick bleibt an dem kleinen Grübchen neben seinem Mundwinkel hängen. War das vorher auch schon da?

Will er Mrs. Graham nichts erzählen oder darf er nicht? Hat er denn etwas zu erzählen? Dürfte er wohl heimlich eine Freundin haben, wenn es nicht erlaubt ist? Das gibt bestimmt Ärger von seinem Gott. Und was ist, wenn ein Pfarrer – oder was auch immer Matteo wird – plötzlich merkt, dass er schwul ist oder bi? Muss er dann kündigen?

Matteo und die alte Frau bringen das Geschirr in die Küche und ich springe von meinem Platz auf.

Polternd fällt der Stuhl, auf dem ich saß, nach hinten.

»Ist alles in Ordnung, Archie?«, fragt Mrs. Graham, als ich den Stuhl bereits wieder aufrichte und an den Tisch zurückschiebe.

Shit, da sind auch braune Schokoflecken auf der Tischdecke; dort, wo ich gesessen habe.

»J-Ja.« Verlegen kratze ich mir den Hinterkopf und deute auf die Flecken. »Ich ... ich hab gekleckert.«

Lachend winkt sie ab und schüttelt den Kopf. »Das ist doch nicht schlimm. Was denkst du, wie der Tisch immer aussah, wenn mein Mann gegessen hatte? Er war der ordentlichste Mensch der Welt, aber sein Essen wollte nie auf dem Teller bleiben. Möchtest du dir noch etwas Kuchen mitnehmen?«

Ich schüttle den Kopf und trete von einem Fuß auf den anderen.

»Wir müssen dann auch wieder los, Mrs. Graham.« Matteo schüttelt der alten Frau die Hände. »Vielen Dank für den leckeren Kuchen.«

Ich husche in den Flur und stopfe meine Füße eilig in meine Boots.

»Ich danke für euren Besuch und die Mirabellen.« Sie schließt Matteo in eine Umarmung und kommt schließlich auf mich zu.

Oh, nochmal? Dabei kennt sie mich doch gar nicht.

Ihre dünnen Arme legen sich um mich, Mrs. Graham scheint gern Leute zu umarmen. »Kommt bald mal wieder vorbei. Und dann erzählt ihr mir vielleicht ein klitzekleines bisschen, ja?« Sie lacht und öffnet uns die Tür.

Schnell schlüpfe ich nach draußen und winke der Frau zum Abschied noch einmal zu. Erst als Matteo und ich die Straße entlang in Richtung Kirche zurückgehen, erlaube ich mir, durchzuatmen.

»Sie ist einfach total neugierig«, erzählt er lachend neben mir. »Das kommt bestimmt von den ganzen Telenovelas, die sie immer im Fernsehen schaut.«

»Darfst du denn überhaupt schwul sein?«, platze ich heraus.

Holy Shit | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt