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Ich war nie eines der coolen Kids gewesen. Und ich hatte schon früh gewusst, dass ich es niemals sein würde. Ich hatte kein besonderes Talent, sah nicht überdurchschnittlich gut aus und ich hatte mich nie in den Mittelpunkt irgendwelcher Situationen gedrängt, weil ich ein so guter Redner gewesen wäre.

Ich war eher das stille Kind in der Klasse, das sich widerstandslos von Papierkugeln abschießen ließ, aus dem Debattierclub geflogen war, ich verbrachte meine Freizeit gerne in alten Spielhallen und wenn ich nicht aufpasste, würde ich eines Tages als einsame Jungfrau sterben.

Es war ein gutes Leben. Einsame Jungfrauen verdienten viel Geld, zumindest hoffte ich das, denn das wäre nur fair.

Aber vielleicht sollte sich meine in Stein gemeißelt geglaubte Zukunft an diesem Nachmittag ändern. Lukas hatte mir gesagt, dass ich meine Badehose anziehen sollte und ich hatte meinen Dad gefragt, ob es hier Haie gab. Wohl kaum, hatte er gemeint, aber das hatte mich nicht unbedingt beruhigt. Mit Haien zu schwimmen, hatte nach einer Mutprobe geklungen, die zu dieser Stadt gepasst hätte.

Lukas hatte mir erzählt, dass diese Mutprobe eine Art Ritual war, das sich jedes Jahr wiederholte, am ersten Tag des Jahres, an dem es über zwanzig Grad warm war. Er holte mich gegen Mittag wieder ab, wir schwangen uns auf unsere Räder und ich versuchte abermals aus ihm herauszubekommen, worum es sich bei dieser mysteriösen Mutprobe handelte.

„Wirst du schon sehen", war seine Antwort.

Wir fuhren durch die ganze Stadt und kamen schließlich an einem Waldstück an, vor dem schon duzende Fahrräder an Bäume gelehnt dastanden oder in der Wiese lagen.

„Los, wir müssen da rauf", sagte Lukas und zeigte auf den unebenen, erdigen Weg, der zwischen den Bäumen den Hügel hinaufführte, legte sein Fahrrad ins Gras und ging voran.

Als er von der sich jährlich wiederholenden Mutprobe gesprochen hatte, hatte ich gedacht, er hatte sich und seine Freunde gemeint, aber als wir an der kleinen Lichtung an der Spitze des Hügels angekommen waren, sah ich, dass wir mit Abstand nicht die einzigen waren. Bestimmt an die fünfzig Jugendliche und Kinder tummelten sich in Badehosen zwischen Bäumen und Büschen, lachten, schrien und jagten einander umher. Manchen tropfte Wasser aus den Haaren und von den Badehosen.

Da begriff ich, wo wir waren. Wir standen auf einer Klippe.

„Was wird das hier?", fragte ich abermals, gerade als drei Jungen, die etwa in Lukas Alter gewesen sein mussten, einen jüngeren festhielten, der Klippe entgegentrieben und ihn hinunterschubsen wollten. Der Junge schrie, strampelte, wehrte sich. Ich glaubte sogar, ihn weinen zu hören, aber die Jungen lachten nur und schafften es schließlich, ihn die Klippen hinunterzuwerfen. Der Schrei des Jungen wurde immer leiser und verstummte irgendwann.

Lukas, der die Szene ebenfalls beobachtet hatte, lachte neben mir. Als er meinen schockierten Blick bemerkte, sagte er: „Sie sind seine Brüder. Sie wollen ihn nur ärgern."

„Ärgern?"

„Naja, ein bisschen Hilfeleistung ist auch dabei."

„Hilfeleistung?!"

„Du hast ja keine Vorstellung davon, wie sehr es einem für den Rest des Schuljahres nachhängt, wenn man nicht springt." Lukas zog sich das T-Shirt über den Kopf.

„Das ist doch völlig krank!" Wenn man von Klippen springen wollte, weil es einem einen Kick verpasste – von mir aus. Aber das sah mir mehr nach Gruppenzwang einer verdammt großen Gruppe aus. Ich sah mich um. „Warum sind keine Mädchen hier?"

Lukas ließ sein Shirt im Laub fallen und streifte sich die Sneaker ab. „Ist Jungssache. Die meisten Mädchen trauen sich das nicht. Und davon mal abgesehen würde sich kein Mädchen dieser Stadt freiwillig vor fünfzig pubertierenden Jungen ausziehen."

we were just kidsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt