„Zigarette?"
Ich drehte mich um. Sin schob die Balkontüre hinter sich zu und hielt mir eine Schachtel mit drei übrigen Zigaretten hin. Ich war hier herausgekommen, weil ich gewusst hatte, dass mich niemand vermissen würde und weil ich mir nicht länger ansehen konnte, wie Lukas seine Arme um sie geschlungen hatte. Vielleicht auch, weil ich gehofft hatte, dass mein benebelter Kopf wieder klarer werden, wenn ich etwas frische Luft schnappen würde.
„Ich rauche nicht", gab ich zu und obwohl ich wusste, wie schädlich es war und eigentlich wirklich nicht rauchen wollte, wünschte ich plötzlich, doch ab und an zu rauchen. Ich hatte Angst, dass Sin weniger von mir halten könnte, wenn ich nicht rauchte.
Sie zuckte mit den Schultern und steckte die Packung weg. „Was nicht ist, wird schon noch werden", zwinkerte sie, steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie mit einem schwarzen Feuerzeug an.
Raucher haben es so leicht, dachte ich. Meine Mom hatte einmal erzählt, dass sie nur auf der Arbeit rauchte, um extra Pausen machen zu dürfen. Ich fand auch, dass Leute, die draußen auf der Straße standen, in die Gegend starrten und rauchten, wesentlich normaler wirkten, als Leute, die einfach so auf der Straße standen und in die Gegend starrten. Gesprächsanfänge mit Fremden waren auch leichter.
„Hast du zufällig Feuer?" Das war eine völlig unverfängliche, entspannte Frage. Vielleicht waren Sin und Lukas deswegen so locker drauf.
Ich beneidete Raucher. Vielleicht war es wirklich Zeit, mit dem Rauchen anzufangen.
Sie lehnte sich ans Geländer neben mich und blies den weißen Qualm Richtung Meer hinaus. Unter uns plätscherte es, als die Wellen ans Ufer schwappten.
„Amüsierst du dich?", fragte sie und ich überlegte, welche Antwort sie erwartete. Eigentlich war mir sterbenslangweilig, aber das war meine eigene Schuld, weil ich mich nicht einfach so mit fremden Leuten unterhalten konnte, ohne dass meine Handflächen feucht wurden. Vielleicht lag es daran, dass alle, Davy und Pete mal ausgenommen, älter waren als ich. Mindestens ein Jahr, aber einige auch zwei oder drei. Ich hätte nicht mitkommen sollen, ich kannte hier niemanden und ich wollte mich auch nicht betrinken, das eine Bier hatte mir gereicht. Warum war ich hier?
Vermutlich nur wegen des hübschen Mädchens neben mir, das nur Augen für meinen Cousin hatte. Wie erbärmlich.
„Geht so."
Sie sah mich an. Vielleicht wollte sie fragen, warum ich nicht enthusiastischer war, aber sie tat es nicht. Stattdessen nahm sie meine Antwort nickend in Kauf und wandte sich wieder dem Rauschen des Ozeans zu.
Ich nahm eine ähnliche Körperhaltung wie sie ein und legte die Unterarme auf dem Geländer ab. „Kann ich dich was fragen?"
„Hm?"
„Warum bist du mit mir von der Klippe gesprungen?"
Sie schnippte etwas Asche von der Zigarette ins Meer. „Weil du neu hier bist. Neulinge haben es in dieser Stadt nicht leicht. Deswegen bin ich mit dir gesprungen."
„Aus Solidarität?"
„So ungefähr. Wenn ich dich akzeptiere", sie sah mich an und meine Beine drohten unter mir nachzugeben, „Akzeptieren dich alle. Ich hätte es für jeden getan."
Das war nicht gerade die Antwort, auf die ich gehofft hatte. Ich wollte, dass sie es getan hatte, weil ich ihr auf den ersten Blick sympathisch gewesen war, nicht weil sie Mitleid für mich empfunden und nicht gewollt hatte, dass ich es hier schwer hatte. Sie sollte keinesfalls denken, dass sie mich beschützen musste.
„Wohnst du hier? In dem Bootshaus?"
Sin schüttelte den Kopf. „Nein. Ich wohne fünf Häuser von der Kirche entfernt."
„Stimmt, Lukas hat erzählt, dass der Rev dich bei sich aufgenommen hat."
Ein Lächeln zupfte an ihren Lippen und Augenbrauen und sie drückte den Zigarettenstummel am Holz aus. Obwohl ich ihr anmerkte, dass sie beim Bierpong ein paar Becher geleert hatte, wirkte sie nicht einmal halb so betrunken, wie die grölenden Jungen im inneren des Hauses. Sie wirkte nicht einmal halb so betrunken, wie ich mich fühlte. Plötzlich drehte sie sich zu mir und sah mir in die Augen. Meine Körpertemperatur stieg binnen Sekunden. In ihrem Blick lag etwas, das ich nicht deuten konnte. Es war eine Mischung aus Entschlossenheit, Unternehmungslust und Alkohol- und Nikotineinfluss.
„Kokst du?", fragte sie und ich war mir sicher, dass sie sogar bei der spärlichen Beleuchtung hier draußen sah, wie ich die Augen aufriss.
„O-Ob ich..." Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ihre Frage hatte noch unverfänglicher geklungen als vorhin bei den Zigaretten. Zur Hölle, natürlich kokste ich nicht! Ich rauchte nicht, ich hatte erst bei dem Spieleabend mein erstes Bier gehabt und-
Sins Blick glitt an mir auf und ab, aber sie sagte nichts. Ich fragte mich, ob sie mich für weich hielt. Für eine unschuldige, kleine Bohnenstange, die ihrer Zeit nicht würdig war. Was auch immer sie dachte, ihr Gesicht gab es nicht Preis. Der Wind hob ihr die Haare von den Schultern.
„Ich gehe jetzt hinauf ins Bad. Erste Türe rechts. Du kannst mitkommen oder hier draußen bleiben. Deine Entscheidung." Sie zwinkerte und verschwand wieder im Bootshaus. Lukas war immer noch am Bierpongtisch und spielte mit den drei Mädchen. Drei gegen einen. Jetzt lachten die Mädchen, es war ein echtes Lachen, auch wenn ich ihnen ansah, dass sie alle drei in Lukas verschossen waren und die roten Wangen bestimmt nicht nur vom Alkohol kamen.
Ich konnte beobachten, wie Sin zu McKay ging, sich ganz nah zu ihm beugte und etwas ins Ohr raunte. Er warf ihr einen grimmigen Blick zu, weil er gerade mit seinen Freunden Billarde spielte, steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen, griff unauffällig in seine Hosentasche, zog etwas heraus und drückte es Sin in die Hand, die es sofort unter ihrem T-Shirt verschwinden ließ.
Als sie zu den Treppen ging, die in den ersten Stock führten, warf sie mir noch einen einladenden Blick zu, bevor sie verschwand. Holzsplitter gruben sich in meine Finger und Handflächen, so fest umklammerte ich die Balken.
Ich musste völlig den Verstand verloren haben...
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we were just kids
General FictionIch hatte sie am ersten Augusttag vor vier Jahren kennengelernt; und mit ihr eine Seite von mir, die ich zuvor nie gesehen hatte und niemals wieder erleben wollte. ☆ Die Sache mit Morgan Rubyn Sinclair war, dass sie tatsächlich nur ein einfaches Mäd...