5 | Unmöglich

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»Nein.« Der alte Mann stütze seinen Kopf in die Hände. »Nein. Unmöglich.«
Er lachte kurz auf, als er in mein verzweifeltes Gesicht blickte. In seinen Augenwinkeln hatten sich Tränen gesammelt, die er mit einer Handbewegung wegwischte. »Das ergibt keinen Sinn.«

Er war einer dieser Menschen, die alles hinterfragten. Wie war es möglich, hier oben zu stehen? Ein Haus zwischen den Wolken. Ein Ort, an dem sämtliche Regeln der Gravitation gebrochen wurden. Seelen, die tagein tagaus hereinspazierten, bevor sie das Licht betraten. Zunehmend viele Menschen waren schrecklich verwirrt. Einige fanden sich damit ab und lächelten bloß neugierig, wiederum andere wollten alles rausfinden, was dieser Ort zu bieten hatte. Ich konnte sie ja auch verstehen.

»Ist das in meinem Kopf?« Der Mann, der sich knapp als Jasiel vorgestellt hatte, hatte die Arme nun verschränkt. Seine blauen Augen leuchteten geradezu, als ihm der Einfall kam. »Also ist das alles...« Er strich langsam mit der Hand über das Holz vor ihm, »nicht echt?«

Ich seufzte schwer. »Selbst wenn es in deinem Kopf wäre«, fing ich an, »müsste das nicht bedeuten, dass es nicht echt ist.«
Obwohl ich Jasiel mit diesen Worten nicht hatte verängstigen wollen, stütze er seinen Kopf in die Arme. Als hätte er sein Leben lang eine konkrete Vorstellung vom Tod gehabt, die nun zerstört wurde. In seinen Augen schimmerte unendlich viel Wissen. Ich fragte mich, was er wohl von Beruf her gewesen war.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, nahm er die Arme wieder vom Kopf und legte sie vor sich hin, um seine Finger zu mustern. »Ich bin...« - Pause - »Ich war Philosoph. Nicht wirklich von Beruf her, dies ist heutzutage schwerer geworden... aber ich habe mein Leben lang sehr viel nachgedacht.«

Als er sah, dass meine Aufmerksamkeit nur ihm gewidmet war, fuhr er fort. »Besonders viel habe ich über Reinkarnation gegrübelt. Es interessiert mich, wie unser Leben auf dieser Welt irgendwann endet. Ich meine, wir Leben so kurz und sind so lange tot... da muss es ja wohl etwas danach geben, nicht?«

»Scheint so, als hättest du es jetzt herausgefunden. Dies hier ist das Dazwischen. Und danach kommt das Licht.« Ich musste meine Augen zusammenkneifen, als mein Blick auf die grellen Strahlen am Ende des Cafés fiel. Jasiel folgte meinem Blick mit Ehrfurcht in den Augen. »Gibt es nach dem Licht noch mehr?« Seine Stimme klang begierig nach Wissen.

»Ich schätze, dies darf ich dir nicht verraten. Lebende Menschen wissen nicht, was sie erwartet, nachdem sie gestorben sind. Aus demselben Grund kann ich dir nicht sagen, was nach dem Licht kommt und ob etwas danach kommt.«, entgegnete ich. »Aber keine Sorge. Du wirst nicht dazu verdammt, ewig im Licht zu sein, wenn dies nicht dein Wunsch ist.«

Jasiel erwiderte nichts weiter, aber ich konnte sehen, wie es in seinem Kopf ratterte. Er war nicht mehr jung, vermutlich an Altersschwäche gestorben. Ich nahm an, er hatte viel Zeit gehabt, über den Tod nachzudenken. Jetzt wandelte er nicht mehr bei den Lebenden, und er musste verarbeiten, dass er nach all den Jahren wirklich weg von der Erde war.

»Ich muss nicht ewig im Licht sein? Aber wo komme ich dann...« Der Mann trommelte mit seinen Fingern auf dem Tisch. »Leider darf ich dir dies nicht anvertrauen«, erläuterte ich. »Aber über das Dazwischen darfst du gerne Fragen stellen, wenn du dies möchtest.«

»So viele Gedanken...« Jasiel seufzte. »Ich muss sie irgendwie sortieren.«

Enya, die mit ein paar Metern Abstand zuhörte und dabei immer wieder von einem Fuß auf den anderen trat, räusperte sich nun. Überrascht fuhren wir beide zu ihr herum. »Vielleicht«, warf sie ein, »hilft da etwas Tee?«

Ich erkannte Unsicherheit in den Augen des Mannes. Wahrscheinlich überlegte er, wie es möglich war, hier oben etwas zu trinken. Doch dann nickte er. »Na gut.«
In seinen Augen flackerte erneut Neugierde auf. Ich sah, wie Enya in die kleine Küche rauschte, und nahm ihm Augenwinkel Jasiel wahr, der aus dem nächstgelegenen Fenster spähte. Heute war ein kalter Tag. Die Ränder der Fenster wurden von Frost geziert, welcher aussah, als wäre er mit dünnen Pinselstrichen gemalt worden. Ein wie Schneeflocken ineinander verschmolzenes Gemälde.

The Café between the starsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt