𝟒. - 𝐒𝐜𝐡𝐰𝐚̈𝐫𝐳𝐞

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Die schlaue Krähe hatte sich auch noch als gastfreundlich entpuppt, was man von dem schlecht gelaunten Tenebris leider nicht behaupten konnte. Sie gingen den breiten Flur entlang, da der Vogel darauf bestanden hatte, im Zimmer zu reden. Der Kater hatte sich hingegen geweigert und erst eine Weile später nachgegeben.

Der Parkettboden knarrte laut unter jedem Schritt, den der junge Mann zurücklegte. Riu verzog gequält das Gesicht  – er fühlte sich nun wie ein Bär, der durch das Unterholz kroch, während Tenebris wie ein Geist über dem Boden zu schweben schien; ganz zu schweigen von der Krähe ... Dabei war er ein Dieb. Ein unsichtbarer Schatten. Eine lautlose Gestalt, die nie und nirgends zu erwischen war.

Das große und einzige Zimmer im Haus war überfüllt mit seltsamen Gegenständen, Möbelstücken und irgendwelchem Zauberzeug. Trotzdem war alles ordentlich. Jedenfalls viel ordentlicher, als Riu es von einem Hexen-Wohnort erwartet hätte. Nicht so aufgeräumt wie im Anwesen des Lords, eher chaotisch-ansprechend. Riu konnte es nicht anders beschreiben.

Der Raum war in grünlichen Tönen gehalten, ab und an mit einer Prise Lila. Schränke reihten an der linken Wand aneinander; darin standen jedoch keine Bücher, sondern Gefäße mit schimmernden Flüssigkeiten, von denen Riu keine bekannt vorkam.

Ein prächtiger Holztisch, befleckt und überladen, erstreckte sich über die gesamte rechte Hälfte der Stube. Darauf standen ebenfalls Gläser in allen Farben und Formen. Sie wirkten verlassen; als ob jemand damit herumgespielt und sie dann einfach stehengelassen und vergessen hatte. In der Mitte der Räumlichkeit war ziemlich unpassend ein violettes Sofa positioniert worden, wo Riu sich niederließ.

„Ich mache mir ehrlicherweise viele Sorgen, was Dharas Verschwinden angeht. Tenebris bestimmt ebenso, auch wenn er es nie zugeben würde." Die Krähe setzte sich auf die Sofalehne und fuhr fort. „Ich weiß zwar nicht, warum du nach unserer Gefährtin suchst, aber gefährlich scheinst du jedenfalls nicht zu sein ... Wie wäre es damit, wenn du uns bei der Suche hilfst?"

Riu spannte seinen Kiefer an. Die Tatsache, dass er nicht nur ansatzweise gefährlich wirkte, kränkte ihn ein wenig. Aber es war ihm von Vorteil, dass die Tiere nicht weiter nachgehakt hatten; sicherlich würden sie auf die Frage nochmal zurückkommen, doch noch blieb ihm ein wenig Zeit. Außerdem war es gut, dass er nicht alleine gehen würde, zumal er nicht einmal wusste, wohin. Die Krähe hatte etwas von der Welt des Allwissenden gesagt. Aber wo war das und wie sollte er da hinkommen? Riu wollte sich einverstanden erklären, als der fette Kater ihn unterbrach.

„Du willst, dass dieses Menschenkind mitkommt? Du hast ja wohl nicht alle Mäuse im Fangeisen!" Tenebris schnaubte verächtlich. Er saß am Boden und putzte nebenbei sein glänzendes Fell. Die goldenen Augen stachen auf dem dunklen Pelz hervor, funkelten misstrauisch und bedenklich.

„Sage bitte nicht Menschenkind zu mir, ich bin erwachsen! Du kannst mich beim Namen nennen: Ich heiße Riu", entgegnete der Dieb bissig. Der Panther fing allmählich an, ihn zu nerven. Er benahm sich so, als wäre ihm jeder Untertan, obwohl Tenebris selbst - der Stimme nach - viel jünger als die beiden anderen sein musste.

„Den Namen kannst du außen vor lassen. Unser kleinwüchsiger Panther merkt sich die eh nie. Meinen hat er ja schließlich auch längst vergessen."

Riu ignorierte den Zank der beiden Vertrauten Dharas; mittlerweile sah er es als etwas ganz Gewöhnliches. Nur die Frage, was ein Panther war, interessierte ihn weiterhin brennend. Der Vogel schien nämlich ebenfalls zu wissen, was das Wort bedeutete. Also war es immerhin nicht von Tenebris erfunden worden.

Die Krähe flog auf, als sich der Kater auf sie stürzte: „Habe ich nicht!"

„Sicher? Wann hast du mich denn das letzte Mal Nox genannt? Immer beleidigst du nur rum wie ein unerzogenes Kätzchen!"

„Ich bin ein Panther, du Närrin!"

Riu verdrehte die Augen. Es würde nie aufhören. Wie sollte er nur die Anwesenheit dieser Tiere aushalten? Außerdem würde eher der Monat vergehen, als dass die beiden sich endlich vertragen würden. So viel Zeit durfte der Dieb keineswegs verlieren. Nicht wegen einem fetten Kater, der meinte, etwas besseres zu sein, und einer Krähe, welche nichts lieber tat, als diesen zur Weißglut zu treiben. Teufelskreis. 

„Lasst uns jetzt aufbrechen. Sonst verlieren wir Zeit. Ihr wollt doch nicht etwa, dass eurer Gesellin etwas geschieht?"

Es schien Argument genug, denn die Vertrauten verstummten und schauten Riu schweigend an. „Du magst recht haben, aber ich glaube keinem von euch Menschen! Solche wie du haben mich mit Steinen beworfen, als ich ein Junges war! Was ein Glück, dass Dhara mich gerettet hat; da ist es aber kein Wunder, dass die Panther nur noch auf der Kugel heimisch sind!", fauchte Tenebris schließlich.

Riu entgegnete nichts. Er sah uralten Hass, das Verlangen nach Rache in den Augen des Katers aufleuchten. Zu gern würde Riu ihn anfassen, nur kurz, um ihm diesen Schmerz immerhin teilweise nehmen zu können. „Was ist die Kugel?", fragte er stattdessen.

„Ach. Dhara hat uns da oft mitgenommen, viele wichtige Kräuter und so. Ist aber eine antimagische Welt", antwortete Nox gelangweilt, „Dort hat Tenebris auch einen Panther gesehen, ist komplett benommen von dem geworden, obwohl er uns fast umgebracht hat. Übrigens ist es total witzig: Die Leute dort denken, ihre Welt sei eine Kugel, komisch, oder? Deshalb nennen wir ihre Welt auch so."

„Eine Kugel?" Riu lachte über diese Vorstellung, „Quatsch! Sonst würden die ja alle runterfallen!"

„Das habe ich mir auch gedacht!", sagte die Krähe. Tenebris saß in der Zeit beleidigt in der Ecke des Raumes und schwieg. Mitleid stieg in Riu auf. Nein, nur nicht jetzt, bitte nicht. Er verschloss die Augen. Es sollte aufhören. Seine Gabe sollte es. Er hatte keine Zeit, um zu versuchen, andere zu verstehen. Besonders nicht solche wie Tenebris.

„Ich schlage vor, wir brechen auf. Und ja, wenn gewisse fette kleine Panther nicht mitkommen wollen, dann sollen sie doch hier warten und die Mäuse vom Haus verscheuchen" Den letzten Satz sprach Nox betont laut aus. Dann drückte sie ein kleines Fläschchen in Rius Hand. „Öffne das und trinke ein bisschen davon. Es ist ein Teleporter, du gelangst sofort in die richtige Welt. Ich komme nach."

Neugierde packte Riu, als er das Gefäß entgegennahm. Eine silberne Flüssigkeit befand sich darin. Und bevor der Dieb Unsicherheit verspüren konnte, nahm er einen Schluck ... Es schmeckte scheußlich; bitter und ungewohnt, sodass Riu Mühe hatte, den Trank in sich zu behalten. Der junge Mann kippte um und Schwindel breitete sich in seinem Kopf aus. Er hustete, schnappte nach Luft. Er brauchte mehr Sauerstoff ... noch mehr. Er sah, hörte und atmete wie unter Wasser.

Dann schaltete jemand die Sonne aus. Schwärze legte sich wie ein Schleier über seine Augen. Er fiel.

𝐃𝐢𝐞 𝐍𝐚̈𝐜𝐡𝐭𝐞 𝐯𝐨𝐧 𝐒𝐨𝐦𝐧𝐢𝐚Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt