Untauschbar

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Siobhan schöpfte eine Kelle Suppe aus dem Topf. Bevor sie die Suppe in einen Teller goss, roch sie daran. Würzig und frisch. Der warme Dunst stief auf und befeuchtete ihre Lippen. Sie hatte eine Kelle mit besonders viel Karotten erwischt. „Das wird Kri freuen."

Summend bereitete sie den Suppenteller vor, gab noch eine Brise Schnittlauch oben auf und stellte es auf das Tablett. Sie schlug die Glocke und drehte das Tablett. Ihre Küche war klein, gerade genug Platz für sie und wurde vom restlichen Gästeraum durch eine Wand mit Guckfenster abgegrenzt. Da es zu den vollsten Zeiten Beschwerden gegeben hatte, sie würde zu lange brauchen, wenn sie die Mahlzeiten allein kochte und einzeln servierte, holte sich nun alle ihr Essen selbst ab, sobald sie mit Kochen fertig war.

Jetzt waren zwar mit ihr nur vier Seelen da, dennoch behielt sie es bei. Roderick, ein Magenbrüterfrosch, mochte seine Routinen und sie wollte ihm seinen Aufenthalt so angenehm wie möglich machen. Allen ihren Gästen, aber er hatte, nachdem er und seine Art ausgestorben waren, eine besonders schwere Zeit.

Hinter ihr brodelte und spuckte es. Zischend klackerte es. Auf dem Herd kochte etwas über! Siobhan wandte sich um. Aus einem kleinen silbernen Topf trat Dampf unter dem klappernden Deckel hervor. Sie zog den Topf von der Platte und drehte sie zurück.

Als sie den Deckel hob, fragte eine Stimme: „Öst doos moin Öi?"

In den ersten Tag von Rodericks Aufenthalt hatte Siobhan kaum eines seiner Worte verstanden, weil sein Quakakzent so stark war, aber nun hatte sie kaum noch Probleme. Einen Lappen als Hitzeschutz griff sie den Topf und goss das heiße Wasser in den Abfluss neben dem Herd. Der Biomüll ergänzte die Gerüche der Küche mit seinem erdig säuerlichen Duft. Siobhan hätte gewürgt, wäre sie nicht schon dran gewöhnt.

Rodericks Leibspeise waren hart gekochte Eier mit ausgewählten Insektenabfällen und den gelegentlichen Spinnen oder Fischchen. Das hieß, das gab es jeden Tag, mittags und abends für ihn.

Die drei Eier legte sie in einen dreieckigen Kreis so auf den Teller, dass in der Mitte noch Platz blieb. Mit einem Löffel gab sie zwei Schöpfe Abfall mit Insektenbeinen hinein und stellte den Teller vor Roderick ab. Dieser stand auf einem Barhocker und streckte sich soweit, dass seine braunen Finger gerade so die Kante des Thekenfenster erreichten.

„Einmal Ei Natur", verkündete Siobhan. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Kri den Suppenteller mitnahm und sich an einen der Ecktische am weitesten von der Küche entfernt setzte.

Kri war eine kleine Frau mit muskulösen Armen und breitem Oberkörper. Ihr blondes Haar stand raspelkurz von ihrem Kopf ab. Die hellen Augenbrauen und Wimpern dazu verstärkten den Eindruck eines Geists. Dabei war sie in ihrem Leben eine Kriegerprinzessin gewesen, über die es sogar Sagen und ganze Abhandlungen gab. Doch jedes Leben, das einer Sage wert war, brachte auch viel mit, dass es zu verarbeiten galt. Siobhan lächelte sanft und ließ ihre beiden Gäste in Ruhe. Roderick bedankte sich noch und hüpfte von dannen. Die Eier klitschten beim Auf und Ab aneinander.

Siobhan seufzte und ließ sich auf einem Schemel beim Waschbecken nieder. Ihr Rücken schmerzte, ihre Fußknöchel pochten und die Finger ihrer linken Hand zitterten. Hätte sie damals in diesem Traum doch nur daran gedacht, Unsterblichkeit mit ewiger Jugend zu tauschen. Aber dafür hätte sie auch früher realisieren müssen, dass es kein Traum war. Jetzt war es zu spät und sie war siebenundsiebzig und würde es für immer bleiben. Es gab Schlimmeres. Zumindest würde niemand auf die Idee kommen, ihr Vorschriften zu machen, weil ein Blick auf ihre Falten und Runzeln genügte. Schon nahmen alle an, sie wäre alt genug, um Bescheid zu wissen.

Siobhan summte und wiegte ihren Kopf. Tapsende Füße und das Knarren der Schwingtüre kündigten Boris an. Der Geruch nach warmem Kleinkind und Muttermilch umgab ihn in einer dichten Duftwolke. Siobhan stockte, doch sie zwang sich weiter zu machen. Fröhlich zu bleiben, wie jedes Mal, wenn der sechsjährige Junge in zerbeulter Latzhose und dreckigem Shirt zu ihr kam.

„Ist Mami heute gekommen?", fragte er. Zwei seiner Vorderzähne fehlten und er lispelte. Siobhan winkte ihn zu sich. Während er zu ihr lief, hüpften die blonde Haare hinter seinen Ohren auf und ab. Er klammerte sich an ihr Knie. Die Hände feucht und warm über den Tod hinaus.

„Nein, ist sie nicht."

Die Enttäuschung zeichnete tiefe Furchen um seinen Mund und trübte seinen Blick. Siobhan legte einen Arm um seine Schultern und drückte sie ganz leicht.

Er war einer ihrer schwierigsten Gäste. Für sie. So jung und keine Chance mehr, sein Leben zu vollem Potenzial zu genießen. Sich zu entfalten. Aber nun war es nicht an der Zeit, in ihren Gefühlen zu versinken. Boris brauchte sie.

„Aber." Sie beugte sich vor und flüsterte ihm verschwörerisch zu: „Heißer Kakao wartet auf dich und Roderick meinte, er vermisst schon eure Abenteuer. Das letzte Mal habt ihr an so einer spannenden Stelle aufgehört."

Boris sprang zwar nicht vor Freude auf, aber der Funke kehrte in seine Augen zurück. „Wirklich?"

Siobhan nickte heftig. 

„Ich frage ihn gleich. Habe nämlich schon wieder sehr viele Ideen. Mit Pferden und ritterreitenden Drachen undundundund-" An der Stelle verhaspelte sich und hustete.

„Atme einmal durch und fahre etwas langsamer fort. Die Ideen sind auch noch da, wenn du dir Zeit lässt."

Boris holte tief Luft und blies sie mit ernstem Gesicht wieder aus, bevor er fortfuhr: „ Und Cowboys auf Dinosauriern. Die jagen mit Lassos böse Träume."

„Das klingt nach einer aufregenden Geschichte. Ich kann es nicht erwarten und Roderick auch nicht."

Nun nickte Boris mit voller Begeisterung den Kopf. Seine Enttäuschung nicht vergessen, aber etwas verdrängt. Mehr konnte sie bisher noch nicht tun. Es war seine erste Woche und sie konnte nicht einfach zu ihm hingehen und sagen: Du bist tot, hast es aber noch nicht verarbeitet. Deine Mami lebt aber noch und wird so schnell nicht nachkommen. Vermutlich.

So direkt und empathielos war sie nicht. Siobhan drückte Boris ein letztes Mal, bevor er davonsauste. Hoffentlich war Roderick schon mit seinem Mahl fertig. Ächzend stand sie auf und folgte ihm.

Sie trat aus der Küche, als sich der Eingangsbereich verdunkelte. Schwarze Schatten und Schlieren waberten über Boden und Tische. Verschluckten alles. Ein Ächzen hörte sie und bekam Gänsehaut. Was war das?

Eine weiße, ausdruckslose Maske schwebte inmitten der Schatten und Siobhan schrie auf. 

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