Teil 4

766 12 2
                                    

"Morgen, Maus." Mein Vater schenkt mir einen Kuss auf die Wange. "Morgen, Papa." Ich setze mich zu ihm und meine Mutter an den Esstisch. Amara ist gestern bei ihrer Freundin geblieben, weshalb sie nicht bei uns sitzt. "Ich hole später Amara ab, oder?" fragt meine Mutter meinen Vater, während ich mir eines der Brötchen schmiere. Er nickt beim trinken seines Kaffees.

"Und, du? Wolltest du nicht heute mit dem Nachbarn spazieren gehen?" Ich weite meine Augen, als meine Mutter das ausspricht, was ich nicht wollte. "Welchem Nachbarn?" Der Blick meines Vaters ist skeptisch. Meine Mutter realisiert, dass es etwas blöd von ihr war, und formt mit ihren Lippen ein Sorry. "Er heißt Jude." Sein Blick ist immer noch skeptisch. "Kenne ich nicht." Er schaut auf seine Zeitung. "Er wohnt am Ende der Straße in einem der Eigentumswohnungen." erkläre ich. "Wohnt er alleine?" mischt sich meine Mutter in unserem Gespräch ein. Ich schüttle schnell den Kopf. "Mit seiner Mutter." Sie nicken beide.

"Woher kennst du ihn?" Papa ist super skeptisch, was neue Leute angeht. "Er war schon öfters im Laden und dann haben wir halt geredet." erzähle ich. "Geredet." Er nickt. "Ach, Schatz. Nun sei doch nicht so. Er ist sicher ein netter Junge!" versucht meine Mutter mich zu unterstützen. "Dann kann er sicher kurz reinkommen und sich vorstellen." erwartet mein Vater. "Sei bloß nett." warnt meine Mutter ihn. "Er ist nur ein Freund, Papa." Er hebt seine Augenbrauen und lässt es sich selbst zeigen.

'Hi'

'Gehen wir in zehn Minuten spazieren?' , schreibt er mir, nachdem ich schon mit meiner Mutter aufgeräumt habe und mich schon für den Tag frisch gemacht habe.

'Klar' , gebe ich ihm eine einfache Antwort.

'Schreibe dir, wenn ich vor deiner Tür stehe'

Ich schreibe ihm noch ein schnelles Okay, bevor ich schon mal runter laufe. "Er kommt in zehn Minuten." Mein Vater nickt von der Couch aus. "Du, Maus?" Ich schaue zu meiner Mutter, die ebenfalls auf der Couch bei ihm sitzt. "Ich bin morgen wieder für zwei Tage in Madrid." gibt sie mir Bescheid. Ich habe mich schon längst daran gewöhnt meine Mutter nicht oft zu sehen.

Meinen Vater sehe ich zwar auch nicht immer, aber dafür wenigstens meine Schwester. "Hast du morgen Frühschicht?" fragt meine Mutter mich. "Ja." bestätige ich. "Gut, dann fährt Papa dich und deine Schwester morgen zur Arbeit und Schule, bevor mich dein Vater zum Flughafen bringt und dann selbst zur Arbeit geht." Ich stimme dem Plan zu. "Papa, was hast du morgen für eine Schicht?" frage ich, während ich mich zu ihnen setze. "24h Schicht. Ich lasse euch etwas Geld da, falls ihr was zu essen bestellen wollt." Also alles wie immer.

'bin da'

Ich stehe auf und öffne die große Eingangstür, bevor ich den strahlenden Jude sehe. "Hi Deli." begrüßt er mich. Bevor ich überhaupt antworten kann, steht mein Vater schon neben mir. "Hallo, mein Freund." Mein Vater spricht Deutsch. Natürlich verwirrt das ihn. "Papa, er spricht nur Englisch." erkläre ich meinen Vater auf Deutsch. "Oh, well. Hello my friend." wiederholt mein Vater seine Worte nun auf Englisch. Jude scheint eingeschüchtert zu sein, was genau der Plan meines Vaters war. Ich schenke meiner Mutter einen bittenden Blick. "Hi, Jude. Ich bin Delis Mama." Meine Mutter stellt sich auch vor. "Woher kommst du denn?" fragt mein Vater nun. "Birmingham." antwortet Jude etwas schüchtern. Der arme Junge!

"Oh! Ich komme aus Nottingham. Das ist gar nicht weit entfernt." Jetzt scheint es so, als würde Papa ihn mögen. Mein Vater tratscht mit ihm über England locker fünf Minuten, bis ich das Gespräch beende. "Ich glaube, wir gehen jetzt." verkündige ich und ziehe Jude weg von meinem Vater. "Hat mich sehr gefreut, Mr Leese." Mein Vater nickt lächelnd und lässt uns endlich aus dem Haus.

"Tut mir leid." entschuldige ich mich, als wir aus unserer Einfahrt herauskamen. "Ach. Das macht doch nichts. Ich kann verstehen, dass dein Vater sich bei so einem Jungen wie mich, Sorgen macht." Er zwinkert. Ich fange an lauthals zu lachen und schlage ihn währenddessen. "Selbstbewusstsein liegt dir." Er lächelt zustimmend.

Wir kommen am See an. Sonntags spazieren viele hier. Die Sonne scheint und es ist schön warm. Wir setzen uns auf die nächstgelegene Bank und genießen die Sonne. "Sommer ist meine Lieblings Jahreszeit." gestehe ich. "Ich mag auch den Sommer." "Hast du im Sommer Geburtstag?" frage ich ihn, woraufhin er nickt. "Du?" "Bin ein Winterkind." lache ich kurz.

"Was ist dein Traumberuf?" Die Zeit ist wie im Flug vergangen. Es fühlt sich an wie zwei Minuten, doch als ich kurz auf meine Uhr schaue, sind schon fast zwei Stunden vergangen, in denen wir einfach nur sitzen und über uns beide sprechen. "Ich würde unfassbar gerne im Ausland studieren. Gerade mache ich ein Jahr Pause und mache nebenbei meinen Führerschein, aber nächsten Sommer möchte ich gerne studieren." erzähle ich. "Wo möchtest du studieren?" fragt er. "England, Spanien oder Italien wäre schön."

"Du hast aber große Fußstapfen, in die du trittst."
Ich stimme ihm zu. "Aber ich glaube ich möchte Bau Ingenieurin werden." "Klingt spannend, Deli." "Und du?" frage ich. "Ich wohne erstmal in Deutschland. Mal sehen was sich so entwickelt in den nächsten Monaten." Er hat mir erzählt, dass er wegen eines Jobs seiner Mutter hierhergezogen sei. Aber sein Vater und sein kleinerer Bruder, Jobe, wohnen in England.

Nach schönen zwei Stunden wird es Zeit wieder nach Hause zu laufen. Ich laufe extra langsam, weil es mir Spaß macht etwas mit ihm zu unternehmen. Ich habe sowas noch nie gemacht. Mit Freunden rausgehen. Vor meinem Haus bleiben wir stehen. "Danke." bedanke ich mich. "Wofür?" fragt er. "Du hast mir den Morgen versüßt. Es war super schön mit dir." gestehe ich, obwohl es mir schwer fällt. "Wirklich? Das freut mich. Wir können sowas öfters machen. Wir sind praktisch Nachbarn." lacht er, wobei ich mitlache.

Ich falle ihm zur Verabschiedung in die Arme.

"Tschüß, Deli."

ANYTIME - JUDE BELLINGHAMWo Geschichten leben. Entdecke jetzt