Melinus war die letzte Hafenstadt der Elfen an der Nordostküste des Waldes Galea. Im Gegensatz zu den Siedlungen tiefer im Herzland war dies eine mehr gewöhnliche Metropole wie man sie früher im Reich finden konnte mit steinernen Gebäuden und Mauern, die sich nicht mit Bäumen verbanden. Trotzdem war die Architektur wesentlich filigraner und graziöser als bei den Menschen oder Zwergen mit dünnen Türmen, weiten Balkonen und gut durchleuchteten Räumen. Gardinen aus rotem und purpurnem Samt wehten im sanften Meereswind.
Es war dieselbe Nacht in der der die Opferungen bei Urd stattfanden. Kerzen und Öllampen beleuchteten die Häuser. Die spitzen Ohren der Bewohner zuckten ab und an, da man in der Ferne das Donnern der Kanonen hören konnte. Wenn man in die Tiefen des Waldes blickte, der normalerweise in Schwärze getaucht war, konnte man am Horizont die aufflimmernden Lichter von Explosionen sehen, die die Bäume erhellten. Eine Belagerung schien unausweichlich.
In der Bucht lagen die dreihundert Galeeren der letzten Flotte der Elfen, geschützt durch zwei massive Ketten, die die beiden Zugänge zum Hafen blockierten. Gespannt waren sie zwischen Festungstürmen an den Seiten der Wasserwege.
Im Nördlichsten dieser strategisch wichtigen Punkte war Präfekt Marcellus äußerst zufrieden mit sich, während er das Blut von seinem Säbel wischte.
Die Leichten von vierzig Menschenkriegern lagen im Turm und hier im Herzen, wo die gewaltige Kettenrolle lag, knieten vor ihm zehn weitere Sterbliche.
»Sie dachten sie könnten diesen Ort stürmen und die Kette einziehen, bevor wir es schafften die Kontrolle zurückzugewinnen«, lachte der Elf und seine Krieger beteiligten sich an der Heiterkeit.
Derweil begann man den Menschen die Hände abzuhacken, damit sie nichts Dummes mehr tun konnten. Es waren raue Sterbliche aus den Norden mit roten oder blonden Bärten. Mit blauer oder roter Farbe hatten sie ihre hässlichen Fratzen bemalt.
»Bedeutet dies nicht, dass die Armada der Sterblichen dort draußen ist«, meinte einer seiner Ritterinnen und deutete mit ihrem Schwert durch eine Schießscharte in die bodenlose Schwärze, wo sich das Meer befand.
»Und selbst wenn, solange sie nicht in die Bucht kommen, können sie noch so viele Galeeren oder Holks haben. Egal ob von Land oder zur See, die Befestigungen unserer stolzen Stadt werden halten. Wir haben genug Proviant für Jahrzehnte und ich bin sicher, dass unsere Königin bereits Pläne schmiedet, um ihre dreckigen Füße aus unserem Wald zu verbannen.«
Die Menschen waren an einem Strand nicht weit von ihr angelandet und hatten durchaus mit dem Vorteil der Überraschung diesen Turm eingenommen. Doch die Sterblichen hatten selbst sicher nicht damit gerechnet wie schnell Präfekt Marcellus und seine Leibgarde reagieren würden. Mit geschwinden Elfenfüßen waren sie hier eingetroffen und hatten die Eindringlinge schnell entweder getötet oder gefangen genommen.
»Ich will, dass die Wachen hier verzehnfacht, werden«, begann er, »und der Strand muss nun auch gesichert werden mit Palisaden. Auch sollten wir eine Opferung von diesem Ungeziefer planen. Ach, und hier muss auch aufgeräumt werden.«
Die letzte Anweisung bezog sich auf einige Amphoren, die hier lagen und den Raum etwas verengten. Da die Ketten gar nicht mehr hochgezogen wurden, hatte wohl jemand dies als Lagerort benutzt. Vermutlich einer der jüngeren Elfenkrieger. Das schnelle Auffüllen der Ränge hatte wohl dazu geführt, dass die Disziplin nun litt.
Präfekt Marcellus sah hinunter zu den Menschen, die kaum die Miene verzogen hatten. Sie starrten einfach nur finster zu ihm auf. Zähe Bastarde.
Eine der Elfenritterinnen schnitt derweil die Riemen ihrer primitiven Brustpanzer auf, sodass sie scheppernd zu Boden fielen. Dabei bemerkte man, dass die Menschen sich kleine Säcke um ihre Oberkörper gebunden hatten.
»Was ist das?«, fragte der Präfekt gelangweilt. »Talismane von euren dämonischen Götzen? Proviant? Kein Wunder, dass ihr so schlecht gekämpft habt, wenn ihr euch so sehr selbst belastet.«
Er schnitt verspielt mit der Spitze seines Säbels eines der Säckchen auf. Feines, schwarzes Pulver sickerte daraus hervor. Ein scharfer Geruch bereitete sich aus.
Alles wurde still.
Die Augen von Präfekt Marcelles wanderten durch den Raum und er bemerkte nun einige Dinge, die ihm vorher nicht aufgefallen waren. Zum einen beachtete er nun erst richtig die Wappen auf den Amphoren. Es war nicht das Symbol von Melinus, sondern von einer anderen Hafenstadt, die vor fünf Jahren an die Menschen gefallen war. Da der Handel bereits zuvor eingebrochen war, stellte sich nun die Frage, wie diese Behältnisse hierhergekommen waren. Auch lehnten nicht wenige von ihnen gegen die Ketten direkt...
Dann schaute er zur Wand hinter den Menschen, wo in kleinen Ausbuchtungen Ölschalen brannten. Offenes Feuer.
Gerade als sich all dies zu einem Gesamtbild in seinem Kopf zusammenfügte, bäumten sich die Menschen auf und warfen sich gegen die Mauer. Einige rissen dabei mit den Zähnen die Säckchen bei ihren Kameraden auf, sodass noch mehr Schießpulver auf dem Boden landete... die Ölschalen folgten kurz darauf.
Die ersten kleinen Explosionen flammten auf und steckten zuerst die Menschen selbst in Brand. Noch ungeöffnete Säckchen wurden dabei erfasst und noch größere Feuerwalzen folgten. Die erste Amphore wurde dabei geknackt und das Feuer erreichte die großen Schwarzpulvermengen im Inneren.
Ich hätte ihnen die Füße abhacken sollen, dachte sich Präfekt Marcellus in der letzten Sekunde seines Lebens, bevor der ganze Turm explodierte. Oder vielleicht doch gleich die Köpfe...
Die große Feuerwolke war über viele Meilen zu sehen und die abgetrennte Kette sackte herab auf den Grund der Bucht.
Dies war das Zeichen für die Armada der Menschen. Der riskante Stoßangriff auf den Turm mit der ausgewählten Selbstmordeinheit und den mit Schießpulver gefüllten Amphoren war gelungen.
Die Laternen an den Mästen wurden entfacht und die Ruderer begannen die Schiffe vorwärtszutreiben.
Als erstes erreichten kleinere Pinassen die Bucht. Beim Hafen gelegene Festungsmauern der Elfen erwarteten sie. Im Gegensatz zu den Kettentürmen, die auf Klippen lagen, reichten diese Befestigungen direkt ins Wasser hinein und auf ihnen bemannten die Elfen nun Katapulte und Trebuchets, um die Eindringlinge abzuwehren.
Doch zur Verwunderung der Verteidiger sahen sie wie Menschen von den Schiffen sprangen und fortschwammen. Kurz darauf brannten kleine Feuer auf den Decks.
Außerdem waren die Pinassen nicht bewaffnet und auch nicht hoch genug, um den Mauern gefährlich zu werden.
Deswegen betrachteten die Elfen mit fragenden Gesichtern, wie die zweckentfremdeten Handelsschiffe gegen ihre Mauern stießen und sie lachten über diesen merkwürdigen Umstand.
Dann explodierten auch diese Schiffe und große Teile der Festungen landeten mit der Kette zusammen im Meer.
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Die Grenzen des Waldes
FantasySeit über zweitausend Jahren befinden sich die Elfen, die einst den ganzen Kontinent beherrscht haben und die Menschen im Konflikt. Der Krieg hat nun die letzte Zuflucht der Elfen erreicht: Den heiligen Wald Galea. Die Lage erscheint hoffnungslos u...