Nach der anstrengenden Audienz vor der Königin und ihrem Hofstaat, wo sie die schlechten Neuigkeiten von der Front überbracht hatten, bekamen Numantia und Damasia Quartiere in der unteren Ebene des Palastes, wo sie sich erholen dürften.
Doch die beiden Elfen dachten nicht daran zu rasten. Stattdessen besuchten sie die verschiedenen Äste von Urd. Sie schlenderten über die Galerien und hölzernen Pfade und versuchten die Erinnerungen von Blut und Niederlagen zu vergessen.
Schließlich standen sie vor einem fünfeckigen Gebäude, wo die untere Hälfte aus schwarzem Granit und die Obere aus weißem Marmor bestand. Es lag am äußersten Ende eines Zweiges und nur Magie schien zu verhindern, dass das Holz unter dem Gewicht einknickte.
Durch das offene Tor traten sie ein in das stille Heiligtum. Blaue Feuer, entfacht von Magie, erhellten den Raum im Inneren. Der Boden war ein Mosaik aus Elfenbeinstückchen und Buntgasfenster zeigten nächtliche Himmel mit Sternenkonstellationen. Das dunkle Glas war so dick, dass es kaum Sonnenlicht hereinließ.
In dieser halbdunklen Tempelkammer ließen sie sich auf die Knie nieder und falteten die Hände zusammen. Vor ihnen war die hellgraue Statue einer Elfenfrau mit verbundenen Augen, die in ihren Händen sowohl die Sonne als auch den Mond hielt.
Die stille Göttin. Laut den heiligen Texten hatte sie einst die Elfen hinab auf die Welt gesetzt. Niemand kannte ihren Namen, da sie seitdem nicht mehr erschienen war. Einige Skeptiker mutmaßten sogar, dass sie schon längst diese Sphäre der Schöpfung verlassen hatte.
»Was jetzt?«, fragte Numantia.
»Wir beten«, antwortete Damasia.
»Beten für was?«
»Was immer du willst.«
»Mmh«, die blonde Speerkämpferin überlegte einige Sekunden. »Ich wünsche mir... dass ich noch viele Jahre lang die Schönheit der Natur genießen kann. Das Singen der Vögel, die Muster der Schmetterlinge, die Formen von Schneeflocken. All dies will ich weiter um mich herum wissen. Auch wünsche ich mir, dass zukünftige Generationen auch erkennen, wie schön die Welt doch ist.«
»Du hoffnungslose Romantikerin«, seufzte ihre rothaarige Freundin, bevor sie selbst ihr Gebet sprach. »Wenn Ihr mich hört, Mutter aller Elfen, so schenkt uns bitte eine Zukunft. Lasst die Rasse der Elfen nicht verschwinden. Mir ist gleich, was die Menschen oder Zwerge tun. Sollen sie ihre eigenen Reiche haben. Doch bitte, lass die Ära der Elfen nicht zu einem Ende kommen.«
Als dies gesprochen war verweilten sie in Schweigen. Sie knieten, bis ihre Beine wehtaten. Die Kälte dieses steinernen Ortes kroch langsam in ihre Körper.
Sie wussten nicht, worauf sie warteten. Vermutlich auf ein Wunder. Doch die Göttin schien ihrem Namen wie immer gerecht zu werden.
»Komm«, sagte Damasia schließlich und stand auf. »Gehen wir was essen. Angeblich gibt es hier im Palast einen sehr guten Salat. Wir sollten...«
Sie hielt inne, als ihre Freundin sie festhielt. Numantia hockte noch immer vor dem Altar, doch ihr sonst leicht verträumter Blick war nun scharf und nach vorne gerichtet. Ihre Mund öffnete sich leicht in Verwunderung.
Das Geräusch einer hellen Glocke ertönte, doch der Klang löste sich schnell wieder in Stille auf, sodass unklar war, ob die spitzen Ohren es wirklich gehört hatten.
Damasia folgte dem Blick ihrer Freundin und auch sie erstarrte.
Der Mond in der Hand der Göttin hatte nun einen glühenden Ring um sich. Buchstaben funkelten auf seiner Oberfläche, bevor sie sich lösten. Aus dem Nichts schien auf ein Stück Stoff zu komme, auf den die Schriftzeichen sich nun legten.
Dieses beschriebene Band schwebte gemächlich von der Statue davon und landete vor den beiden Elfen auf dem Boden.
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Die Grenzen des Waldes
FantasiSeit über zweitausend Jahren befinden sich die Elfen, die einst den ganzen Kontinent beherrscht haben und die Menschen im Konflikt. Der Krieg hat nun die letzte Zuflucht der Elfen erreicht: Den heiligen Wald Galea. Die Lage erscheint hoffnungslos u...