Kapitel 4: Rückzug

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»Den See haben wir nun auch verloren«, meinte ein Elfenkrieger beim Marsch durch den Wald. »Unsere heilige Stätte. Unsere Vorfahren haben dort damals zum ersten Mal das Wasser dieser Welt gekostet und jetzt baden diese Barbaren darin. Ekelhaft.«

»Ich verstehe Menschen einfach nicht«, meinte eine Elfenpriesterin. »Ihre Leben sind so kurz und doch versuchen sie sich an die Kunst, dem Kriegshandwerk und den Staatslenkern, wohl wissend, dass sie niemals wahre Perfektion wie wir erreichen können. Wieso machen sie sich also die Mühe? Wieso wühlen sie nicht wie Schweine im Schlamm und genießen ihr kurzes Leben so gut sie können? Dann wäre unsere goldene Zeit niemals zu einem Ende gekommen. Wir wären noch immer die rechtmäßigen Herrscher der Welt.«

»Oh, wieso haben die Götter uns verlassen...«

»Wie konnten wir früher nur so dumm gewesen sein und auch nur annehmen, dass wir und Sterbliche Seite an Seite leben können!«


Während die anderen maulten und die finstere Lage besprachen, sah Numantia hoch zu den Ästen, die ein feines Geflecht bildeten und sich niemals gänzlich berührten. Mit dem Himmel als Hintergrund wirkte es, als ob blaue Adern sich über sie dahinzogen.

»Ich frage mich, ob die Menschen auch mal aufschauen und solch große Freude beim Anblick solcher Wunder wie ich dabei empfingen?«, überlegte sie dabei.

»Wen interessiert das?«, gab Damasia zurück, die frustriert einen Stein vor sich zur Seite trat. »Wenn es so weitergeht, dann werden wir bald die ersten Dörfer aufgeben müssen. Gibt es noch irgendeinen Ort, wohin wir fliehen können?«

»Galea ist unsere Heimat und unsere letzte Zuflucht. Die Menschen kontrollieren schon alles andere.«

»Das weiß ich! Aber was ist mit dem Meer? Oder vielleicht unter die Erde?«

»Wir sollen also Maulwürfe werden?«

Numantia kicherte, als sie das Stöhnen von Damasia nach dieser Aussage hörte und wandte sich zu einem Specht, der sich nicht weit von ihnen bei einem Stamm niederließ und rapide begann gegen das Holz zu hämmern. Im Hintergrund ritten zwei Reiter auf Einhörnern vorbei, die miteinander sprachen.

»Drei Kundschafter kamen eben zurück. Weitere Verstärkungen der Menschen versammeln sich anscheinend im Norden.«

»Noch mehr? Diese ekelhaften Sterblichen treiben es wirklich wie die Kaninchen. Haben sie keinerlei Gefühl der Sinnlichkeit und Romantik? Verstehen sie nicht wie heilig der Akt der Intimität ist? Zweihundert Jahre habe ich um meine Liebste geworben, bis sie endlich Ja sagte. Den Menschen geht es nur um blanken Hedonismus!«

»Bald schon könnten sich über hunderttausend dieser Barbaren sich in unserem Wald befinden. Selbst in der goldenen Zeit hätte sich niemand solche gewaltigen Heerscharen auch nur vorstellen können...«

Die beiden ritten außer Hörweite.

Damasia seufzte. »Es scheint den Menschen immerhin nicht zu Schaden es wie die Karnickel zu treiben. Egal wie viele wir von ihnen töten, es kommen immer Neue nach.«

»Glaubst du wir beide werden irgendwann in den Genuss kommen mir jemanden ein Bett teilen zu können?«

»Unwahrscheinlich. Jegliche Werbungszeit unter 50 Jahren ist nicht akzeptabel und so viel Zeit werden uns Haldric und seine Horden nicht lassen.«

»Schade«, meinte Numantia und sah zu den vielen tapferen Elfenrecken um sich herum. »Und dabei würde ich schon gerne wissen wie ein Kuss sich anfühlt, bevor ich sterbe.«

»Denk ja nicht dran! Lüsterne Gedanken haben keinen Platz hier!«

Damasia schüttelte wütend die Schulter ihrer Freundin und wollte sie dann weiterzerren. Doch ein Pfiff ließ sie beide herumfahren.

Umgehend fielen die Elfenmädchen auf die Knie.

Präfekt Tiberius hielt sein Einhorn vor ihnen an und schaute auf sie herab. »Jung«, meinte er dann nur, »so fürchterlich jung.«

»Herr?«

Er zog einen Brief hervor, der in einer Seitentasche gelegen hatte. »Dies ist für die Königin. Jemand muss die tragischen Nachrichten vom Mineutischem See zu ihr bringen. Ich würde gerne euch als Boten auswählen.«

»Uns?«, fragte Damasia verwirrt. »Es ehrt uns, Herr, aber werden wir nicht hier an der Front gebraucht?«

»So junges Elfenblut muss noch nicht vergossen werden. So weit haben uns die Barbaren noch nicht getrieben. Geht nun zum Reitmeister und reist nach Urd. Genießt das Licht der Königin und die Luft des ewigen Baumes. Erholt euch von den Schrecken, die ihr hier sehen musstet...«



Die Grenzen des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt