Grün-blau schimmernd blicken mir ihre Augen entgegen, als ich mich langsam bereit fühle, mich wieder auf die Gegenwart im Hier und Jetzt zu fokussieren. Wir sitzen uns noch genauso gegenüber wie vor der Reise.
»Habe ich wieder«, ich muss schlucken, denn eine Träne kullert gerade aus ihrem Augenwinkel, »laut gesprochen?«
Sekunden um Sekunden verstreichen, in denen ich lediglich mein Herz pochen fühle und das Blut in meinen Ohren rauschen höre. Darauf wartend, dass sie mir antwortet. Doch wie mir scheint, ringt sie ebenso mit sich. Deutlich sehe ich, wie sie mehrmals schluckt, ansonsten sitzt sie regungslos vor mir. Das wiederum macht mich nervös. Habe ich etwas Falsches von mir gegeben? Oder kam etwas anders an, als es gemeint war?
Habe ich aus Versehen ...? Nein, das glaube ich nicht. Oder doch? Durchgehend habe ich nur an sie – Mara – gedacht. Und doch verkrampft sich mein Magen bei der Angst, dass ich versehentlich einen anderen Namen genannt haben könnte ... Wäre das möglich?
»Mara«, flüstere ich, als würde ein zu laut ausgesprochenes Wort die Luft entzweien können.
Allmählich löst sich ihre Starre und sie streckt ihre Hand über das Laken nach mir aus, was mir meine Anspannung zumindest ein Stück weit nimmt. Auch ich lasse meine Hand nach vorne gleiten, doch möchte sie den Zeitpunkt bestimmen lassen, wann oder ob wir uns berühren. Wobei ich es hoffe.
Auf einmal spüre ich ihre Hand auf meiner, ihre zweite folgt blitzschnell. Mein Hirn kann dem Tempo gar nicht nachkommen, da befinde ich mich bereits in einer Umarmung. »Das war so schön ... Damit habe ich einfach nicht gerechnet«, erklärt sie mir und drückt mich noch enger an sich.
In der innigen Umarmung lassen wir uns auf die Seite fallen. Ich ziehe eine Decke über uns und streichle ihr durch die weichen Locken. Wir beschließen, das Abendessen ausfallen zu lassen, da wir lieber genau so verharren wollen – und glücklicherweise haben wir genug in unseren Bäuchen durch unsere Früchte-Naschaktionen zwischendurch. Verhungern werden wir schon nicht.
Nachdem wir noch über unseren Beginn geredet haben, weswegen ich mich noch immer schäme, liegt Mara nun friedlich neben mir am Schlafen.
Während ich ihr wunderschönes Gesicht betrachte, gleiten meine Gedanken noch einmal dahin zurück. Wie ich mich glücklich schätzen kann, dass sie sich meine Bäckerei ausgesucht hat an diesem einen Tag ... Dass sie nicht nur an dem einen Tag kam, sondern zu einer meiner liebsten Stammgäste wurde. Ich habe mich jeden Morgen auf sie gefreut, auch, dass wir immer mehr miteinander gequatscht haben.
Mitte Dezember sprach sie mich auf den Flyer meiner Selbsthilfegruppe an und ich erzählte ihr, dass es eine Gruppe zu den Themen ›Trauer und Verlust‹ ist. Entgegen meinen Befürchtungen – die sie mir offensichtlich ansah – war sie nicht schockiert und reagierte auch nicht anderweitig merkwürdig überfordert. Kurz darauf wusste ich auch, warum. Sie selbst ist Witwe und hat sich mit zwei Kindern weiter durch das Leben schlagen müssen. Ihre beiden Kids sind mittlerweile schon aus dem Gröbsten raus.
Wofür ich mich aber schäme, ist, dass sie sich irgendwann getraut hatte, das Zepter in die Hand zu nehmen, um mich sogar zweimal nach einer Verabredung zu fragen und beide Male hat sie eine Abfuhr erhalten. Ganz sicher nicht, weil ich sie nicht treffen wollte, sondern weil ich dumm war; weil mich meine inneren Dämonen plagten ... Was sie noch immer tun, aber weitaus weniger extrem.
Nach dem zweiten Korb, den ich ihr gab, hatte ich ernsthafte Sorgen, dass sie nicht wieder auftaucht. Zuvor erschien sie jeden einzelnen Tag, dann abrupt gar nicht mehr. Ich wusste, ich habe es verbockt. Ich wusste, wenn sie sich doch noch mal die Blöße gibt, muss ich alles geben. Und das tat ich.
Und ich hatte verdammtes Glück. Denn sie kam – am sechsten Januar – noch mal und ich habe sie dämlich und kindisch vollgequatscht und nicht zu Wort kommen lassen ...
»Warte kurz, ich will dir was erklären. Du kannst mich meinetwegen danach zur Hölle jagen oder so. Aber bitte hör mir erst einmal zu«, flehte ich sie an und sie gestand es mir zu.
»Es tut mir leid, wie ich reagiert habe. Es hatte nichts mit dir zu tun. Sorry, das kann jetzt falsch rüberkommen wie so ne komische billige Anmache. Äh, wo war ich?! Also ich wollte dir sagen, dass ich richtig gerne mit dir einen Kaffee trinken möchte oder auch gemeinsam essen gehen würde. Das, was dir lieber wäre. Alles, was du willst. Auch egal, zu welcher Uhrzeit. Wirklich alles, was du willst. O Gott, ich hoffe, du weißt schon, was ich meine.« Mann o Mann, war mir das unangenehm, was ich da vor mir hin stammelte.
»Und was ich auch sagen wollte, ist, dass die Zeit, in der du nicht erschienen bist, mir gezeigt hat, dass ich es verbockt und ich es zu spüren bekommen habe und ich es deswegen direkt in die Hand nehmen wollte. Das klingt schon wieder peinlich. Na ja, aber so halt irgendwie. Und ... äh ... Ich möchte dich sehr gerne noch näher kennenlernen, weil ich mich in deiner Gegenwart wohlfühle.«
Wie ich mich zum Affen gemacht habe ... Obermegapeinlich. Schmunzelnd erinnere ich mich an ihre Reaktion. »Da muss ich erst einmal in meinem Kalender nachsehen. Ich weiß nicht, wann ich Zeit habe.«
Lachend hat sie mich dann von meiner Qual befreit und wir haben uns tatsächlich verabredet. Für den dreizehnten Januar. Und ich habe ihr alle Freiheiten gelassen. Sie hat die Location ausgesucht und ich habe sie sogar das Essen und Trinken auswählen lassen. Es wurde Melonen-Limonade. Unsere Melonen-Limo ...
Mara ist die Erste, die ich so was hab trinken sehen. Bis dahin habe ich mich immer gefragt, wie sich das Zeug nur am Markt halten kann. Aber so schlimm wie befürchtet ist es gar nicht. Schmeckt nur einen Hauch nach Seifenlauge ...
Es sind mitunter die schönsten Erinnerungen seit vielen Jahren und dennoch beschwören sie gleichzeitig vieles andere hervor. Allen voran mein schlechtes Gewissen. Es ist immer der gleiche Kampf und Zwist und Konflikt in mir.
Vorsichtig ziehe ich meinen Arm unter Maras Kopf weg, um aufstehen zu können. Ich gehe hinaus auf das Deck, um mich dort an die frische Luft zu setzen. Wenn ich jetzt schlafen würde, würden mich definitiv Albträume heimsuchen und das will ich ihr hier noch weniger antun als sonst schon.
Aus einer der Stauräume unter der Bank hole ich mir eine Fleecedecke, in die ich mich einhülle. Dann setze ich mich in eine Ecke des U-Sofas, von der aus ich dem Schauspiel auf dem schimmernden Wasser, was den Nachthimmel widerspiegelt, zuschaue.
Wofür ich mich ebenso schäme, ist, dass ich Mara mein Herz nicht komplett öffnen kann. Nicht wegen Mara. Es liegt nicht an ihr. Dennoch schaffe ich es nicht. Nur Momentweise. Doch dann wird meine Angst wieder zu groß, dass ich Luise aus Versehen fallenlasse. Und das darf auf keinen Fall passieren.
Mit der Zeit werden meine Augenlider müder. Zwischendurch stehe ich auf, aber viel bewegen kann ich mich nicht, da ich Mara nicht wecken möchte. Ich versuche stark zu bleiben; reibe mir wiederholt über das Gesicht, doch ich spüre, wie die Müdigkeit durch alle Glieder zieht, ich gezwungen werde, mich anzulehnen und wie ich immer wieder in einen kurzen Schlaf sacke ...
Schattige Umrisse kommen zum Vorschein. Im halbwachen, halbschlafenden Zustand wird mir klar, dass ich tiefer und tiefer abdrifte ... Drei Gesichter wechseln sich ab. Erst zwei, dann eins. Kurz darauf wieder zwei und erneut eins. Einmal Luise mit Carlie und dann Mara ...
Was wollen sie mir mitteilen? Sind meine zwei liebsten Mädels gegen Mara?
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Zwischenimpressionen
Romance◦𝗔𝗸𝘁𝘂𝗲𝗹𝗹𝗲 𝗟𝗶𝘁𝗲𝗿𝗮𝘁𝘂𝗿 & 𝗥𝗼𝗺𝗮𝗻𝘁𝗶𝗸◦ Zwischen Qual und Wunsch befindet sich Joe mit seinen inneren Dämonen, die genau dadurch immer deutlicher hervorkommen. Während seine Vergangenheit ihn quält, hängt seine Gegenwart am seiden...