Geister und Alpträume

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"An was genau erinnern Sie sich Mr. Milkovich?" Dr. Miller richtete seine Brille und sah ihn über den großen massiven Holzschreibtisch hinweg an. Seine grauen Locken über den Ohren waren länger geworden. In dem Büro roch es muffig, was wahrscheinlich von den hunderten Büchern in den deckenhohen Regalen an den Wänden kam.
"Bruchstücke. Mal ist es ein Traum, der irgendwie richtig ist, aber am Schluss wirr wird, mal ist es ein Flashback von Bildern und Stimmen." Mickey sah auf seine Hände und rutschte unbehaglich hin und her.
"Und sind es immer die gleichen Bilder und Träume?"
"In letzter Zeit sind es drei oder vier Momente." Mickey sah ihn an. Ian nahm einen Schluck Wasser.
"Und um was geht es in diesen  Bildern? Um bestimmte Personen? Um bestimmte Orte?"
"Ja. Es geht immer um Ian. Und die Zeit wie wir uns kennengelernt haben." Mickey sah zu Ian, der lächelte und legte eine Hand auf seinen Oberschenkel.
"Gut. Das ist sehr gut. Und sie können sich wieder an die letzten Tage erinnern?" Der Arzt schrieb ununterbrochen und sah kaum zu den beien auf.
"Ja. Nicht jedes Detail, aber ich weiß immerhin wo ich bin und wer Ian ist."
"Das hört sich sehr gut an. Ich schlage folgendes vor." Dr Miller nahm die Brille ab und sah Mickey an. "Sie beide versuchen an die Orte zu gehen, die besonders sind für sie. An denen sie viel Zeit zusammen verbracht haben und an denen Erinnerungen hoch kommen könnten. Gute, wie auch schlechte. Auch traumatische Erinnerungen können dazu führen dass sie sich an alles erinnern, Mr. Milkovich. Und sie Mr. Gallagher." Er sah Ian mit ernstem Blick an. "Sie sind dafür zuständig, dass er sich nicht zu viel zumutet. Regelmäßige Pausen sind wichtig. Es kann Tage oder Wochen dauern, aber achten Sie darauf genug zu schlafen." Der Doc stand auf und Mickey und Ian taten es ebenfalls. Sie schüttelte sich die Hände. "Vereinbaren Sie jederzeit einen Termin, wenn Sie es für nötig halten." Sie verabschiedeten sich, dann gingen sie aus dem muffigen Büro.
"Glaubst du, das hilft?" Mickey klang zweifelnd als sie auf dem Weg zur Bahn waren.
"Ein Versuch ist es wert oder?" Ian nahm seine Hand als sie einstiegen.
"Okay. Dann lass uns loslegen. Wohin gehen wir zuerst?" Mickey hielt sich an der Stange fest, als die überfüllte Bahn Richtung Southside startete.
"Meinst du nicht, wir sollten erst über letzte Nacht sprechen?" Ian klang besorgt.
"Fuck you." Grinste er und boxte ihm gegen den Arm. "Da gibt's nichts zu erzählen. Schlecht geträumt. Das war alles." Mickey Zwang sich ein Lächeln auf. Er hatte ihm nicht erzählt, dass er von Sex mit ihm geträumt hatte und auch nicht von dem Strudel. Er wollte ihn nicht beunruhigen. Wollte nicht, dass er sich mehr Sorgen machte, als er es sowieso schon tat und vor allem wollte er nicht, dass Ian wusste, dass er von Sex träumte. Das musste nun wirklich nicht sein.
"Mick, du hast geschrien heute Nacht. Und dann hat du geweint." Ian flüsterte, doch Mickey funkelte in böse an.
"Danke. Brauch jetzt wirklich niemanden der mir den Spiegel vorhält. Fick dich Ian. Ich sag ich will nicht drüber reden und du bohrst in der Wunde." Mickey dreht sich zum Ausgang, bereit an der nächsten Haltestelle auszusteigen.
"Mickey. Ich wollte nicht-"
"Halt die Schnauze." Blaffte ihn Mickey an und stieg aus. Den Rest würde er zu Fuß laufen oder auf die nächste Bahn warten. Er hatte keinen Bock mehr, auf das ganze Mitleid und das ganze reden und den anderen Mist. Er wollte nur normal sein. Wollte nur, dass Ian ihn wieder ansah, wie damals auf dem Baseballfeld. Verliebt. Hoffnungslos verliebt. Hals über Kopf. So wie damals. Damals als alles noch gut war. Als ihn noch keine verschissenen Geister und Alpträume heimgesucht hatten. Als Ian noch Ian war und Mickey noch Mickey.
Plötzlich wurde er sauer. Sauer auf sich selbst und sauer auf seinen Vater, der sein Leben zerstört hatte und sauer auf Ian weil er es wieder reparieren wollte. Aber was, wenn er nicht repariert werden musste? Weil er nicht kaputt war? Weil er er selbst war?
Stechende Kopfschmerzen durchfuhren seinen Schädel. Ein Bild flackerte auf. Ian, längere dunkelrote Haare, leerer Blick. Die Verandatreppe der Gallaghers. Ein Kloß in seinem Hals. Tränen fluteten seine Augen und er brach am Bahngleis auf die Knie zusammen. "Ich bin nicht kaputt" die Stimme hallte in seinem Kopf und kurz darauf seine eigene "das wars also? Du machst Schluss it mir?" Er wusste nicht wieso Ian mit ihm schluss gemacht hatte oder ob es seine Schuld gewesen war. Er wusste nur, dass es sein Herz in Milliarden kleine Stücke zerbrechen ließ.
Mickey hörte sich selbst schreien. Er wusste nicht ob er in dem Flashback schrie oder ob er innerlich schrie oder ob er am Bahngleis unter Tränen schrie. Aber er hörte es.
Und dann. Plötzlich. Starke Arme. Starke Arme die ihn wie ein Kleinkind hochnahmen und trugen. Er weinte. Er weinte an den dünnen Stoff, der Ians Brust bedeckte. Er wusste, er war es. Der Geruch und die Wärme, die von ihm ausgingen, verriet es ihm. Er wollte nicht so verletzlich sein. Nie. Doch nach diesem Flashback hatte er keine Wahl. Sein innersten fühlte sich so leer, obwohl er wusste, dass Ian ihn nie im Stich lassen würde. Und die starken Hände trugen ihn. Der Herzschlag beruhigte ihn. Sie trugen ihn die zwei Stationen nach Hause und erst als sein Kopf das vertraute Kissen berührte, öffnete er die Augen und sah in Ians. Das weiß um das Grün herum war rot und Mickey sah, dass er geweint hatte. Nie wollte er seinen Ian zum weinen bringen.
"Es tut mir leid" flüsterte er und strich mit einer Hand die rote Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Schon gut. Schlaf ein bisschen. Ich wecke dich und dann werden wir auf ein Date gehen." Ian sah ihn an. Traurig aber trotzdem mit einem Lächeln auf den Lippen.

22 first dates - remember meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt