Der Ball

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Am nächsten Tag schlief ich lange. Ich hatte beschlossen nicht zur Uni zu gehen. Darauf hatte ich heute keine Motivation. Und den Schlaf brauchte ich auch. Denn Matteo spukte mir jede wache Sekunde durch den Kopf. Und das nervte mich gewaltig.
Aber am meisten nervte mich der Fakt, dass mir der ganze Kuss gefallen hatte. Und dazu wünschte ich mir sogar ein bisschen, alles zu wiederholen. Aber es war Matteo Fontana. Eine der Menschen, mit dem ich nicht wirklich klar kam. Obwohl ich auch zugeben musste, dass wir uns in den letzten Tagen gut unterhalten hatten und ich mochte es sogar ein bisschen, Zeit mit ihm zu verbringen. Gleichzeitig war das auch genau der Fakt, der mir Angst machte, weshalb ich ihn nicht sehen wollte. Das war gestern schon das Problem gewesen, als Mira und ich diskutiert hatten, ob ich ihn anrufen sollte oder nicht.
Als ich aufwachte, schaute ich an die Decke und zweifelte an mir selbst. Dieses ganze Gefühlschaos war nicht typisch für mich. Dann griff ich nach meinem Handy und stellte fest, dass Matteo schon zweimal versucht hatte anzurufen und mir auch geschrieben hatte. Fünf Nachrichten erwarteten mich. Er wollte mit mir reden. Ich verschob das Antworten auf später, mit dem Wissen, dass ich es auch dann noch mal verschieben würde.
Aber heute war es mir meiner Meinung nach erlaubt, denn heute Abend erwartete mich der Ball, den meine Mutter so kurzfristig jetzt organisiert hatte. Und der würde mir auch alle Kraft kosten.
Wiederwillig putzte ich meine Zähne. Dabei betrachtete ich mein Spiegelbild. Ich sah ausgeschlafen und müde zugleich aus. Schnell sprang ich noch unter die Dusche. Als ich meine Haare bürstete, klingelte mein Handy wieder. Doch ich ignorierte es erneut, als ich Matteos Namen auf dem Display las.
Die Stunden verflogen förmlich. Der Ball sollte um sieben starten, doch Mira kam schon um fünf Uhr vorbei. Wir machten uns zusammen fertig, weswegen wir beide in meinem Badezimmer vor dem großen Spiegel standen und uns schminkten.
Wir hatten die meiste Zeit über ziemlich belanglose Sachen geredet, doch irgendwann wusste ich, dass ich reden musste. Sie merkte ohnehin, dass mich was beschäftigte, wartete aber, dass ich von selber anfing es anzusprechen.
Also platzte ich einfach damit heraus. „Matteo und ich haben uns geküsst"
Mira schaute geschockt aus. Doch nicht so schockiert, wie ich es erwartet hatte. Sie blickte mich durch den Spiegel an. „Ich will Details"
Ich zuckte nur mit meinen Schultern. „Es war nichts Besonderes. Wir waren gestern ja bei diesem Lagerhaus und nachdem wir wieder draußen waren, sah ich Marco, einen Arbeitskollegen meines Vaters da lang laufen. Ich hatte Angst, dass er mich sehen würde, also haben wir uns als Tarnung ausgedacht, uns einfach zu küssen. Okay, Matteo kam auf die Idee. Es hat jedenfalls funktioniert"
Mira zog sich gerade ihren Lidstrich. „Nur eine Tarnung? Du würdest mir all das nicht erzählen, wenn da nicht mehr gewesen wäre"
Manchmal hasste ich es, dass sie mich so gut kannte. Obwohl ich ihr ja sowieso alles erzählen wollte.
„Naja, wir haben halt einfach nur lange nicht aufgehört. Marco war schon lange weg, als wir noch immer noch dabei waren"
„Es hat dir gefallen", stellte Mira geradeheraus fest.
Ich schaute zur Seite. „Es war nicht schlecht, sagen wir mal so"
Mira grinste mit einem schelmischen Lächeln. „Es hat dir gefallen"
Ich rollte mit den Augen. „Es war nicht schlecht"
Mira tänzelte jetzt hüpfend zu mir. „Du mochtest den Kuss mit Matteo", sie sagte dies fast singend.
Ich versuchte ihr auszuweichen, doch es funktionierte eher weniger, weil sie flink war und mich sofort festhielt. Grinsend starrte sie mich an. „Sag nicht, dass du dich verschossen hast"
Empört schaute ich sie an. „Mira, nein. Nur weil ich den Kuss nicht ganz schlecht fand, heißt es nicht, dass ich ihn gleich heiraten möchte"
„Jaja, aber ganz abgeneigt bist du auch nicht"
„Ich bin nicht abgeneigt, ihn noch einmal zu küssen. Ja, ich gebe es zu. Aber mehr nicht"
Grinsend legte Mira jetzt ihren Arm um mich und wir betrachteten uns beide im Spiegel.
„Das reicht mir auch aus", sagte sie.
Vier Stunden später war der Ball schon seit zwei Stunden im vollen Gange. Ich trug ein relativ enges, schwarzes Kleid, das ab den Knien aber weit auseinander lief. Es war schulterfrei und hatte ein weites Dekolletee. Dazu hatte ich schwarze Handschuhe an, die bis über die Ellbogen reichten. Meine blonden Haare waren hochgesteckt und ich trug große Kreolen. Ich musste zugeben, dass ich mich wieder übertroffen hatte. Ich sah schön aus. Das musste man bestenfalls auch über sich selber sagen können.
Mira hatte ein kurzes, rotes Kleid an und ihre braunen Haare fielen wellig über ihre Schultern. Auch sie sah wunderschön aus. Und im Moment unterhielt sie sich mit Vincenzo, einem Kommilitonen aus unserer Uni, den sie als Begleitung mitgenommen hatte. Sie sahen gut zusammen aus.
Wir grinsten uns über die Leute hinweg an, während ich mit Giovanni tanzte. Wir mussten wenigstens so tun, als würden wir die Feier genießen. Um den Schein zu wahren, für unsere Mutter. Diese war schwer beschäftigt. Es gab keine Sekunde, in der sie nicht in irgendeine Konversation verstrickt hatte.
Das Lied war zu Ende und Giovanni führte mich von der Tanzfläche. Ich nahm schnell meinen Platz wieder ein, der sich an einem Stehtisch an der Seite des Raumes befand. Dort lag meine Tasche und mein Martini stand auch noch da. Ich nahm einen Schluck und zog mein Handy aus meiner Tasche. Verwirrt schaute ich auf den Bildschirm, der mir eine weitere Nachricht von Matteo anzeigte. Er hatte geschrieben, dass er jetzt vor der Tür steht, damit wir reden können.
Kurz konnte ich es nicht glauben, doch dann musste ich es kontrollieren gehen. Ich durchquerte den ganzen Saal, der ganz hinten in unserem Haus lag und kämpfte mich an all den Menschen vorbei. Mira schloss sich währenddessen mir an, weil sie verwirrt war, was mein plötzlicher Plan war. Vermutlich sah ich ziemlich aufgewühlt aus.
Ich lief durch den Flur, der auch vorbei am Arbeitszimmer führte und durch den Eingangsbereich, in den kleinen Salon, der direkt neben der Haustür vom Eingangsbereich abging. Den Raum benutzten wir so gut wie gar nicht. Meine Mutter brachte hier nur die unerwünschten Gäste herein.
Am Fenster schaute ich hinaus und sah genau das, was ich befürchtet hatte. Matteo hatte sich an sein Auto gelehnt und kontrollierte gerade die Uhrzeit auf seinem Handy. Jedenfalls schaute er nur ganz kurz auf den Display. Vielleicht auch, weil er sich eine Antwort von mir erhoffte.
Mira stellte sich neben mich und schaute zwischen uns beiden hin und her. „Was willst du jetzt tun? Ihn einfach stehen lassen?"
Unschlüssig kaute ich auf meiner Lippe. „Ich weiß es nicht"
Mira stupste mich leicht an. „Geh mit ihm sprechen. Er meint es doch nur nett und er braucht es vielleicht einfach nur geklärt. Und du musst ja noch gar nichts entscheiden. Du kannst auch einfach nur mit ihm rummachen"
Ich musste bei ihrem letzten Satz grinsen. Ich zögerte aber noch. Doch dann schob mich Mira in Richtung Tür und ich strafte sie noch kurz mit einem grimmigen Blick, bevor ich das Zimmer verließ und zur Haustür ging.
Ich atmete noch einmal tief ein. Wieso war ich denn bitte so nervös? Einen Antrag? Ich verhielt mich einfach lächerlich.
Also öffnete ich die Haustür und trat ins Freie. Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, drehte mich um und traf den Blick von Matteo. Dann lief ich langsam die Stufen hinunter, um nicht über mein langes Kleid zu stolpern. Das wäre jetzt unangenehm. Doch bevor ich weiterlief, drehte ich mich noch einmal um und blickte zum Fenster des Salons, wo ich soeben noch gestanden hatte. Und genau wie ich erwartet hatte, stand Mira dort noch und schaute der ganzen Szene zu. Ich schaute sie böse an und sie verschwand sofort vom Fenster. Ich war mir sicher, sie würde gleich wieder da stehen, sobald ich wieder weg schaute.
Langsam lief ich auf Matteo zu. „Hey"
„Hey", begrüßte er mich. Er lehnte noch immer am Auto und hatte seine Hände in seinen Hosentaschen. Er ließ seinen Blick an mir runter wandern. „Ich hab ganz vergessen, dass heute der Ball stattfindet."
Ich schaute ebenfalls an mir herunter. „Jep"
„Du siehst schön aus", gab Matteo mir ein Kompliment.
„Danke", sagte ich. „Was machst du hier, Matteo?"
Er stieß sich vom Auto ab und machte einen kleinen Schritt auf mich zu. „Ich dachte wir gehen jetzt auf eine Schnitzeljagd"
Ich verdrehte die Augen und klapste ihm leicht auf die Schulter. „Sehr witzig, Prinzessin"
„Siena. Nenn mich ruhig kitschig oder ein Feinfühler. Aber ich kann das von gestern nicht einfach so stehen lassen"
„Du bist kitschig.", sagte ich genau das, was er eben meinte. „Matteo, es war ein Kuss. Wir haben uns nur geküsst, damit Marco mich nicht sieht"
Matteo stand jetzt genau vor mir. „Am Anfang ja. Aber irgendwann nicht mehr. Aber wie dem auch sei, ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, es nicht zu besprechen"
„Matteo, bist du jedes Mal so, wenn du jemanden geküsst hast"
Er seufzte. „Nein, aber ich weiß, dass es dir auch gefallen hat, aber du danach weggerannt bist."
Ich schaute zur Seite. „Es ist doch unwichtig, wie es mir gefallen hat. Es kann nur einfach nicht wieder passieren"
„Wieso nicht?", hakte Matteo nach.
„Weil -."
Bevor ich den Satz beenden konnte, hatte Matteo mich an sich gezogen und küsste mich schon wieder. Ich blieb kurz so und erwiderte kurz den Kuss, doch dann zog ich meinen Kopf wieder zurück.
„Matteo, du bist ein Fontana und ich eine Mancini. Jegliche Art von Beziehung zwischen uns kann einfach nicht funktionieren"
„Ich will dich doch gar nicht fragen, meine Freundin zu werden. Ich will nur nicht, dass es komisch zwischen uns wird und das würde es werden, würden wir nicht darüber sprechen."
Wir standen noch immer so. Ich in seinen Armen und unsere Gesichter nah beieinander.
Ich antwortete ihm nicht.
„Außerdem können wir uns eh nicht voneinander fern halten", redete Matteo also weiter.
Ich lachte auf. „Ich glaub es auch. Wenn, dann kannst du dich nicht von mir fernhalten, aber verallgemeinere das nicht auf mich"
Matteo kam mir näher. Erst kurz vor meinen Lippen stoppte er und ich spürte seinen Atem auf mir. Erneut drückte er mir einen tiefen Kuss auf.
„Nein, du kannst dich genauso wenig fernhalten", sagte er.
Ich kämpfte mich aus seinen Armen heraus und entfernte mich um zwei Meter. Am liebsten wäre ich dageblieben, doch es ging nicht. Und mir gefiel es zudem auch nicht, dass ich mich zu ihm angezogen fühlte. Bis gestern hatte ich nicht einmal darüber nachgedacht, aber seitdem wir uns geküsst hatten, war es das Einzige in meinen Gedanken. Doch wir waren in diesem Fall wie Romeo und Julia. Wir durften uns nicht noch einmal so nahe kommen.
Gestresst sah ich Matteo an, welcher erstaunlich gefasst wirkte und ein Selbstbewusstsein strahlte von ihm aus, dass mir irgendwie Angst machte. Er sah aus, als würde er einen Plan aushecken oder eher, als würde er sich so sicher bei einer Sache sein, dass er wusste, was zu tun war. Und ich wusste, dass es mit mir zu tun hatte.
„Matteo, wir haben jetzt darüber geredet. War es das dann? Ich will nämlich wieder rein."
„Ja, das war alles"'
Ich lächelte ihn noch einmal leicht an und er stand vor mir und erwiderte dieses. Er hatte seine Arme wieder vor der Brust verschränkt und sah gerade unerlaubt gut aus. Schnell wandte ich mich ab und stieg die Treppen wieder herauf, während ich mich am Geländer festhielt und mit der anderen Hand mein Kleid hochhielt. An der Tür schlüpfte ich hindurch und schloss sie, ohne noch einmal zurückzuschauen.
Mira erwartete mich im Eingangsbereich. Ihrem Blick nach zu urteilen, hatte sie alles genauestens beobachtet, was draußen passiert war. Ihr Blick zeugte von Belustigung aber auch Neugierde. Gerade wollte sie den Mund öffnen, doch ich schüttelte nur mit dem Kopf. Ich wollte nichts hören, nicht über die weiteren Küsse und besonders nicht, was sie darüber dachte.
Gemeinsam liefen wir zurück durch den Gang und gelangten schließlich in den Saal, wo der Ball noch im vollen Gange war. Ich machte erst Halt, als ich an der Bar stand und bestellte mir ein neuen Martini. Den benötigte ich jetzt dringend. Mira bestellte sich ebenfalls etwas zu trinken. 

I Hate it to love youBut I doWo Geschichten leben. Entdecke jetzt