Bis das Telefon klingelte

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Am nächsten Tag, schlief ich lange aus, da es Samstag war. Ein Tag, an dem ich es mir erlauben konnte, mir mehr Schlaf zu genehmigen. Ich war erst spät zuhause gewesen und hatte die restliche Nacht genossen. Mira hatte vergessen, das Thema anzusprechen, sodass ich auch nicht noch einmal über das Ganze reden musste.
Das Gespräch mit Matteo allerdings hatte mich mehr aufgewühlt, als ich gedacht hatte und spukte mir auch jetzt noch im Kopf herum. So sehr ich mich bemühte, es wollte mich einfach nicht loslassen.
Es war jetzt Mittagszeit und ich hatte das Frühstück einfach ausgelassen und saß nun am Tisch im Esszimmer und aß zu Mittag. Mariella, unsere Köchin, hatte Pasta All'Arrabiata gekocht. Mein absolutes Lieblingsessen. Dabei scrollte ich durch TikTok. Hier und da musste ich lachen. Und dann war mir auf einmal nicht mehr zum Lachen zumute. Denn mir wurde ein Video von vergangener Nacht angezeigt. Es zeigte Matteo und mich vor dem Club, kurz bevor ich gegangen war. Wir standen nahe beieinander auf dem Kurzvideo. Es war der Moment gewesen, als Matteo mich halten musste, weil ich fast hingefallen war. Man sah zwar, dass wir diskutierten, doch man konnte es auch völlig falsch verstehen. Ich hoffte, dass niemand meiner Freunde es sehen würde. Doch das Video hatte ziemlich viele Likes und das bedeutete, dass meine Freunde es früher oder später doch noch sehen würden. Die würden das alles nicht auf mir sitzen lassen. Ich stöhnte. Es konnte doch nicht sein, dass wir so interessant für die Leute waren, dass wir auf TikTok gelandet waren und das auch nicht zu wenig. Aber so war das in der wohlhabenden Gesellschaft Roms nun mal. Wir waren wie Prominente der Stadt und der Tratsch über uns interessierte jeden. Besonders wenn es um unsere Familien ging. Jeder wusste davon, was die Familien Mancini und Fontana voneinander hielten und das Video war gefundenes Fressen. Das wird nicht so schnell vergessen sein und mich vermutlich noch eine Weile verfolgen.
Angestrengt rieb ich mir die Augen. „Rita", rief ich.
Unsere Haushälterin kam eilig in den Raum gelaufen. „Was kann ich für dich tun?"
„Kannst du mir noch einen Cafè bringen?"
Rita nickte und verließ den Raum schnellen Schrittes. Sie war immer so bemüht und ich hatte sie wirklich lieb gewonnen. Sie war zu einem Teil unserer Familie geworden. Ich war mit ihr aufgewachsen, so lange war sie bereits hier und es fühlte sich jedes Mal komisch an, wenn wir so formell miteinander sprachen. Doch mein Vater hatte Giovanni und mir früh gelehrt, dass Angestellte eben dieses waren und wir keine engere Bindung formen durften. Doch das war leichter gesagt als getan. So kam es, dass wenn unsere Eltern nicht anwesend waren, Rita und Mariella für uns eher wie Freunde waren. Sie halfen uns und aßen auch mit uns zusammen. Doch wenn meine Eltern da waren, taten wir so, als wäre es das typische Verhältnis zwischen Familie und Haushälterinnen. Und heute war wieder genau so ein Tag, wo meine Eltern im Haus waren und ich wünschte, dass sie es nicht wären. Denn dann hätte ich mich bei Rita ausweinen können und sie hätte mir neutralen und brauchbaren Rat geben können.
Auf einmal wurde die Tür aufgezogen und Giovanni stürmte herein und riss mich so aus meinen Gedanken. Sein Grinsen, welches er auf dem Gesicht trug, konnte nichts Gutes bedeuten. Und ich konnte auch erahnen, was ihn dazu geführt hatte, so eine Laune zu haben. Er setzte sich neben mich und spießte sich mit meiner Gabel Pasta auf und steckte sie sich in den Mund. Ich warf einen Blick auf sein Handy, das er in der Hand hielt, welches lautlos das Video von Matteo und mir abspielte. Ein weiteres Mal stöhnte ich auf und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.
„Bitte, Giovanni. Ich möchte nicht darüber reden", flehte ich meinen Bruder an, der mich grinsend anschaute. Er schien wirklich Spaß an meinem Leiden zu haben.
Er gab nicht nach. Stattdessen hielt er mir das Handy vor die Nase und zog eine meiner Hände von meinen Augen, damit ich mir das Video noch einmal ansehen musste. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und schnappte ihm das Handy aus der Hand. Ich schaltete es aus und legte es so von ihm weg, dass Giovanni es nicht mehr erreichen konnte.
„Ach, Schwesterherz", sagte Giovanni nun. „Was sehe ich da? Hast du Papàs Bitte etwa zu ernst genommen? Ich will gar nicht meckern. Wenn es funktioniert, dann weiter so"
Vorwurfsvoll drehte ich mich zu ihm um. „Giovanni! Man sieht ganz deutlich, dass wir einfach nur diskutiert haben. Ich habe mich nicht an ihn ran geschmissen"
Er musste schon wieder lachen. „Kann sein, aber das sehen die Leute, die das Video gesehen haben nicht so. Ihr seid das Thema auf TikTok. Und nicht deswegen, weil ihr diskutiert hättet. Du weißt schon. Die Videos werden mehr und mehr"
Ich verdrehte die Augen. „Die Leute suchen einfach eine Geschichte, die irgendwie ihren romantischen Vorstellungen entsprechen. Sie verstehen nur nicht, dass das hier Realität ist."
Giovanni zog sich nun meinen Teller Pasta zu sich und fing an mein Essen aufzuessen. Ich war zu müde, um ihn aufzuhalten. Währenddessen gab er mir aber wenigstens eine Antwort. „Und da war nichts zwischen euch?"
„Selbstverständlich nicht."
„Dann sieht es wohl nur so aus"
„Tut es wohl. Leider", sagte ich
Giovanni hatte jetzt aufgegessen und schob den Teller von sich. „Hast du wenigstens was erfahren?"
„Er hat natürlich abgestritten, dass er oder auch seine Familie irgendetwas weiß. Er macht sich angeblich auch Sorgen um Tiziana. Und dann haben wir angefangen darüber zu streiten, ob Papà mich ausnützen würde oder nicht. Viel hat es nicht gebracht. Aber der Club ist zumindest toll. Kann ich nur empfehlen", erzählte ich ihm und spielte mit meiner Serviette.
Er nickte nur als Reaktion. „Naja, du hast doch nicht wirklich erwartet, dass er dir sobald du einmal lieb fragst, gesteht, dass sie Tiziana haben, oder?"
„Nein, habe ich nicht. Aber er bringt mich einfach auf die Palme. Und er mag mich doch genauso wenig, wie ich ihn. Wir werden uns nie so weit vertrauen, dass er mir irgendwas erzählt. Wie soll das so bitte funktionieren?"
„Gib bitte nicht sofort auf, nur weil es nicht sofort funktioniert hat. Stell dein Temperament etwas zurück und schon wird es einfacher. Ich glaube man kann gut mit Matteo klar kommen, wenn man will."
Fragend schaute ich ihn wieder an. „Was ist denn plötzlich los? Seit wann sind alle auf einmal so gut mit Matteo Fontana?"
Er legte eine Hand auf meinen Arm. „Beruhig dich. Ich bin nicht gut mit ihm. Aber er hat viele Freunde und die hat er sicher nicht ohne Grund"
„Kann ja sein", stimmte ich ihm schließlich doch noch zu.
„Kann nicht nur sein, wird so sein", sagte er selbstbewusst. Ich musste Lachen.
Giovanni stand jetzt auf und griff nach meine Hand, um mich hochzuziehen. „Komm", sagte er nur und zog mich in Richtung Eingang. Wir zogen uns Jacke und Schuhe an und verließen das Haus. Ich wusste noch nicht einmal, wieso wir gingen und wohin.
Erst nachdem wir ein paar Minuten gelaufen waren, traute ich mich ihn zu fragen. „Wohin zum Teufel gehen wir?"
„Lass dich überraschen. Glaub mir, danach wird es dir besser gehen"
Also folgte ich ihm. Wir liefen tatsächlich noch eine Weile, doch der Spaziergang und die frische Luft taten mir gut. Irgendwann stoppten wir und ich stellte erfreut fest, dass wir direkt vor meinem Lieblingsbuchladen standen. Lächelnd schaute ich zu Giovanni.
Dieser lachte. „Ich wusste, dass du dich freuen würdest. Komm. Such dir zwei Bücher aus und ich kauf sie dir. Das schulde ich dir, dafür dass du die schwere Aufgabe hast, mit Matteo zu reden"
Dankbar folgte ich ihm. Die nächste Stunde verbrachte ich damit, von Regal zu Regal zu schlendern und mir eine endlose Zahl von Büchern anzugucken. Es waren so viele die ich wollte, doch ich versuchte mich wirklich auf zwei zu beschränken. Giovanni hielt sich die ganze Zeit irgendwo im Buchladen auf und schaute nur immer mal wieder nach dem rechten.
Irgendwann hatte ich mich für zwei Bücher entschlossen und machte mich auf die Suche nach Giovanni. Während ich ihn suchte, klingelte auf einmal mein Handy. Ich nahm es aus meiner Jackentasche und es zeigte mir allerdings nur eine unbekannte Nummer an. Verwundert starrte ich erst einen Moment auf den Bildschirm und entschied mich anschließend dazu ranzugehen. Besonders, weil mich die Menschen um mich herum böse anschauten, aufgrund des lauten Klingeltons. Ich sah Giovanni, lief zu ihm und drückte ihm die Bücher in die Hand. Ich deutete auf mein Handy, welches noch immer klingelte und lief dann nach draußen. Giovanni verstand und verschwand schon einmal in die Richtung der Kasse.
Ich dagegen bewegte mich zum Ausgang, während ich den Anruf entgegennahm. „Hallo?" fragte ich ins Telefon und stand schließlich im Freien.
„Siena?", hörte ich eine tiefe Stimme.
Ich stockte. Nein. Nein, das konnte nicht wahr sein. Ich schaute kurz auf mein Handy und kontrollierte, ob dieser Anruf gerade wirklich stattfand.
„Siena?", hörte ich erneut diese verfluchte tiefe Stimme.
Wie war Matteo bloß an meine Nummer rangekommen?
„Woher hast du meine Nummer?", konfrontierte ich ihn direkt mit meiner Frage an ihn.
„Nicht mal ein Hallo? Da haben wir gerade letzte Nacht doch erst von Manieren geredet", sagte er nur belustigt. Schon wieder machte er sich über mich lustig und es machte mich wahnsinnig.
„Woher hast du meine Nummer?", fragte ich erneut.
Ich hörte ihn wieder am anderen Ende lachen. „Das ist nicht wichtig."
Ich schaute durch die Fenster des Buchladens und hielt Ausschau nach Giovanni. Er stand noch in der Schlange zum Bezahlen. So schnell konnte er mich wohl nicht retten. Konnten die Kassierer nicht etwas schneller arbeiten?
„Suchst du gerade nach Wegen, mich abwimmeln zu können?", fragte Matteo.
Mist, er hatte mich durchschaut. „Nein. Tu ich nicht." „Du lügst" „Tu ich nicht" „Also schaust du nicht gerade nach jemandem, der dir helfen kann?"
Ich schaute um mich herum. „Beobachtest du mich gerade? Wenn ja, bist du ein verdammter Stalker, Matteo"
Matteo schien immer noch völlig entspannt zu sein. „Wusste ich es doch. Hör mal, wir müssen reden"
Verwirrt spielte ich mit den Knöpfen meiner Jacke. „Hast du bemerkt, dass ich doch Recht hatte?"
„Nein, Siena. Aber ich möchte das nicht am Telefon besprechen. In einer halben Stunde am Schildkrötenteich in der Villa Borghese. Neben dem Eisstand"
„Matteo, du kannst mir nicht einfach sagen, dass ich irgendwo hinkommen soll. Sag mir, worum es geht und dann entscheide ich selbst, ob ich vorbeikomme oder nicht", sagte ich stur. Ich hasste es, wenn Leute dachten, sie können mir einfach irgendwelche Anweisungen geben.
Giovanni kam aus dem Buchladen mit einer Tüte in der Hand. Fragend schaute er mich an.
Ich hörte Matteo schnauben. „Verdammt nochmal. Ich hab schon einmal gesagt, ich werde das nicht am Telefon besprechen. In einer halben Stunde am Teich. Bis gleich" Dann legte er auf. Einfach so. Wütend stopfte ich das Handy zurück in die Jacke.
Giovanni konnte sich nun nicht mehr zurückhalten. „Wer war das?"
„Wer wohl", antwortete ich nur. „Matteo Fontana natürlich. Er will sich treffen, um über irgendwas zu reden"
Nachdenklich schwenkte Giovanni die Tüte mit den Büchern umher. „Okay. Jetzt?"
„Ja. In einer halben Stunde soll ich in der Villa Borghese sein. Meinst du, es schadet, wenn ich nicht gehe?" Ich stellte die Frage, obwohl ich wusste, dass ich gehen musste.
Giovanni spürte mein Wiederwillen. „Leider habe ich das Gefühl, du musst. Aber sieh es mal so. Vielleicht lohnt es sich ja, was er dir sagen will. Schade nur, dass mein Plan, dir bessere Laune zu bereiten, nicht so ganz geklappt hat"
Lächelnd umarmte ich meinen Bruder. „Du hast es geschafft Zumindest für die letzte Stunde und das war toll von dir. Danke dafür und für die Bücher. Du bist der Beste, Giovanni"
„Für dich doch immer. Geh. Ich nehme die Bücher mit nach Hause und leg sie dir in dein Zimmer"
Ich lächelte ihm noch einmal dankbar zu und lief los. An der Straßenseite hielt gerade ein freies Taxi und ich setzte mich auf die Rückbank. Nachdem ich das Fahrziel genannt hatte, fuhr es los und ich schaute die gesamte Fahrt lang aus dem Fenster. 

I Hate it to love youBut I doWo Geschichten leben. Entdecke jetzt