Kapitel 3

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Damian

Dieser kleine Satan.

Knurrend nehme ich mit großen Schritten die Stufen in den ersten Stock und stürme in das Büro, wo ich meinen Freund Azael am Fenster vorfinde.

»Was ist passiert?«, frage ich knurrend.

Azael steht mit dem Rücken zum Fenster gelehnt und sieht mich an, bevor er mit den Schultern zuckt. »Das weißt du.«

Ein Seufzen verlässt meine Kehle, ehe ich mir über mein Gesicht reibe. Nicht schon wieder.

»Es wird schlimmer«, raune ich leise. »Hab ich recht?«

Azael seufzt, bevor er sich umdreht und aus dem Fenster starrt. Ich trete näher und bleibe hinter ihm stehen. Der Himmel, der soeben noch strahlend blau war, verdunkelte sich plötzlich und hüllt den Wald in Finsternis.

Gewaltige Blitze zerteilen die Schwärze und lassen mich erschaudern. Nur wenige Sekunden dauert das Spektakel, bevor gleißender Sonnenschein den Wald hier oben im Norden Kanada wieder in satte Grüntöne taucht.

»Ja«, antwortet er mir auf meine Frage und ignoriert wie ich, was soeben passiert ist.

»Das letzte Mal ist kein Jahrhundert her«, brumme ich.

Azael seufz und reibt sich über das Gesicht, bevor er sich in Bewegung setzt. »Ich weiß.«

Ich folge ihm aus dem Raum. »Und wir sollen es einfach so dabei belassen?«, frage ich knurrend. »Wir müssen Camio unter Kontrolle bringen, sonst haben wir wieder einmal ein Problem.«

Auch wenn wir die Fähigkeit haben, Menschen zu manipulieren und vergessen zu lassen, ist es nicht so einfach. Es zerrt an unserer Kraft, je mehr wir kontrollieren und es ist unmöglich, ein ganzes Land zu beeinflussen. Das haben wir 1888 in London bereits festgestellt, als Camio wie ein Tornado Frauen getötet hat. Die Medien haben ihn „Jack the Ripper" genannt. Und 1976 hat er in Florida so einige Frauen mehr auf Ted Bundys Opferliste geschrieben.

Nur dank Azael wurde es nicht schlimmer und sein Blutrausch wurde gestoppt. Doch die Jahre darauf waren wir extrem vorsichtig. Haben kaum Menschen manipuliert und noch weniger Frauen kontrolliert. Und darauf habe ich keine Lust.

»Er sagt, er hat es unter Kontrolle«, murmelt Azael und betritt das Wohnzimmer.

Ich folge ihm und bleibe mit verschränkten Armen neben dem Sofa stehen.

»Das nennst du Kontrolle?«, frage ich und nicke Richtung Haustür.

Azael seufzt und fährt sich durch die langen, braunen Haare. Da er nichts erwidert füge ich hinzu: »Die Kleine hat noch nicht mal vier Stunden in seiner Gegenwart überlebt. Camio ist ein Hitzkopf, der sich einredet, es kontrollieren zu können. Doch das hat er nicht. Es wird schlimmer, Azael!«

»Was soll ich deiner Meinung nach machen?«, faucht Azael mich plötzlich an und sieht das erste Mal alles andere als entspannt aus. »Ich weiß, dass er uns immer mehr entgleitet. Doch ich weiß nicht, was ich dagegen tun kann. Du etwa?«

Ich spüre, wie mein Herz zu rasen beginnt. Im Gegensatz zu Camio und mir ist Azael derjenige, der Ruhe bewahrt. Den nichts aus der Fassung bringt und uns oft genug damit den Arsch rettet. Ihn jetzt so zu sehen, aufgehetzt und ratlos, wie er durch den Raum tigert, schürt meine Angst. Wenn Azael keine Lösung hat, dann sind wir geliefert. Er ist der Klügste von uns, ohne ihn wären wir immer noch in der Dunkelheit, die uns abermals einzuholen droht.

Panik breitet sich in mir aus, denn die Finsternis macht mir immer noch Angst. Die Erinnerung sorgt für eine beklemmende Empfindung in mir. Ein Druck breitet sich auf meiner Brust aus und erschwert mir das Atmen. Ich habe das Gefühl, zu fallen. Tief und endlos. Ohne Halt und ohne meine Flügel. Immer tiefer und tiefer. Es gibt keinen Boden. Kein Ende.

Ich atme schneller. Spüre, wie sich der Raum um mich herum dreht. Ich höre Azael in der Ferne. Seine Stimme, die versucht, mich zu leiten. Doch da ist nur die Dunkelheit, die mich zu sich zieht. Die mich einholt und alles um mich herum zu verschlucken droht. Wie damals.

Ich höre einen Schrei, der aus meiner Kehle dringt. Spüre das Zerreißen des Shirts, das ich trage und den Schmerz auf meinem Rücken. Doch es ist mir egal. Das Ziehen meiner Haut beruhigt mich auf eine Art und Weiße wie schon lange nicht mehr.

Meine Lungen füllen sich wieder mit Luft und das beklemmende Gefühl nimmt ab.

Keuchend blicke ich auf den Holzboden vor mir, auf dem ich mit einem Knie knie. Spüre die Last, die von meinen Schultern rutscht und fühle ...

Langsam schließe ich die Augen, spüre, wie mir der Schweiß über das Gesicht läuft. Azael steht neben mir, doch es ist etwas anderes, das mich in diesem Moment erdet. Ich spüre die Federn, die sich um meine Taille legen. Das Gewicht der Flügel, die auf meinem Rücken gewachsen sind. Viel zu lange habe ich sie schon nicht mehr hervorgeholt. Viel zu lange habe ich sie nicht mehr gefühlt. Weil ich sie verachte. Weil sie für alles stehen, was ich versuche zu vergessen. Und doch holen sie mich gerade aus meiner Panik. Beruhigen mich und lassen mich frei atmen.

»Geht es wieder?« Azaels leise Stimme dringt zu mir hindurch und langsam öffne ich meine Augen, um zu ihm emporzublicken.

Er sieht auf mich hinab, die Hände zu Fäusten geballt und mit einem besorgten Gesichtsausdruck, der mir ein schlechtes Gewissen bereitet. Ich wollte meinen Freund nicht noch mehr beunruhigen, als er es bereits wegen Camio ist. Ich erhebe mich und spüre, wie meine Flügel sich an meinen Rücken legen.

»Tut mir leid«, antworte ich ihm leise und entlocke Azael ein Lächeln.

»Entschuldige dich nicht für deine Angst«, spricht er, bevor sein Blick auf meine Flügel gleitet. »Du solltest sie nicht immer so lange verbergen, auch wenn du verabscheust, was du bist. Es ist immerhin ein Teil von dir. Von uns allen.«

Ich schnaube. »Sie sind ein Fluch. Ein Spott. Wir haben Flügel zum fliegen und dennoch können wir diesem Ort nicht entfliehen.«

Diese Dunkelheit, die in uns brodelt, bereit auszubrechen und alles einzunehmen, was uns geblieben ist.

Ich schüttle den Kopf und voller Wut konzentriere ich mich. Spüre, wie meine Flügel schrumpfen, bevor sie verschwinden. Zurück bleibt ein leichtes Ziehen auf meinen Schulterblättern und eine einzelne, schwarze Feder, die gemächlich zu Boden gleitet.

Azael bückt sich und hebt sie auf. Langsam lässt er seine Finger durch sie hindurch gleiten, bevor er seinen Blick hebt und mich wieder ansieht.

»Du nennst deine Flügel einen Fluch«, raunt er leise. »Ich nenne sie Freiheit. Etwas, das wir dachten, verloren zu haben. Doch wir sind hier und nicht dort, wohin er uns geschickt hat.«

»Und doch fühlt es sich nicht so an«, brumme ich ebenso leise. »Ein Käfig bleibt ein Käfig, egal wo er steht.«

Damit drehe ich mich um, als Azaels Stimme hinter mir ertönt.

»Ich finde eine Lösung«, flüstert Azael leise. Ich verharre mit der Hand am Geländer zum ersten Stock und denke über seine Worte nach.

»Und wenn nicht?«, frage ich leise.

Azael antwortet nicht. Nicht, weil er meine Worte nicht vernommen hat, sondern weil er die Antwort nicht laut auszusprechen braucht. Ich kenne sie und das schürt meine tief sitzenden Ängste.

Fallen Angels - Wir sind dein Untergang (Spicy🌶 Romantasy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt