Das Erste, was ich am Morgen mache, ist mich mit einem Küchenmesser bewaffnen. Ich gehe zur Hintertüre und spähe durch das kleine Glasfenster. Eine aufgewühlte Spur führt vom Wald zu meinem Schuppen und zurück. Vielleicht verläuft sie auch mehrmals im Kreis, ehe sie wieder in den Wald wandert, das ist nicht gut zu erkennen. Ich atme aus.
Ich schließe auf und trete in den strahlenden Morgen. Den Fußspuren zufolge war das ein Marder, kein Fuchs und ganz bestimmt kein Wolf. Ich erkenne den umgestoßenen Rechen und das zersplitterte Glas. Es war das mit den gesammelten Nägeln, die ich aus dem Feuerholz ziehe, wenn ich welche finde.
Ich seufze und kehre sie rasch zusammen, damit nicht jemand drauf tritt. Erst, nachdem ich die Unordnung beseitigt habe, wird mir etwas bewusst. Ich werde still und drehe mich zur Schuppentüre um, die angelehnt einen breiten Streifen Sonne hereinlässt.
Es ist Sonntag und ich bin aus dem Haus gegangen.
Ich mache einen Satz zu meiner Holzfälleraxt und reiße sie an mich. Dann stürme ich zurück ins Haus und schlage die Türe fest hinter mir zu, sperre ab. Was, wenn ich den ungebetenen Gast bereits eingelassen habe? Nein, denke ich. Nein, zwinge ich mich, zu denken, und halte die Axt anschlagbereit. Ich gehe durch den Flur nach vorne in die Wohnküche.
Es ist alles still. Nur die Uhr tickt unbekümmert vor sich hin. Ich halte es zwei Stunden lang durch, frühstücke und feure den Ofen an. Dann rufe ich Nagi an.
Sie hebt verschlafen ab und schilt mich. Es ist nicht einmal elf.
»Hör zu. Gerda«, fange ich an und ignoriere ihre grummelnde Stimme. »Sie hat nicht so gewirkt, als wäre die Sache mit ihrem Freund abgeschlossen. Da verbirgt sich was.«
Nagi brummt ins Telefon. »Na dann frag sie. Komm schon, lass mich ausschlafen. Wir reden später.«
Sie legt auf und ich lege meinen Kopf in den Nacken. Nagi ist viel zu ruhig. Ich rufe bei Julian an, aber er geht gar nicht erst ans Telefon.
Ich schlucke und fahre mir über das Gesicht. Ich sitze den ganzen Tag in der Küche und starre auf meinen Postkasten. Aber bis auf die Krähe von letzter Woche bekomme ich keinen Besuch. Mit einem Mal zweifle ich an der Idylle, in die ich hier gezogen bin. Das Haus war spottbillig und ich beginne zu ahnen, weshalb. Ich glaube nicht an Geister oder Dämonen. An das Übernatürliche im Generellen.
Dann kommt das Klopfen und ich verkrampfe mich am Küchentisch. Ich glaube nicht ans Übernatürliche. Nie im Leben.
Es klopf vier Mal, energisch, fordernd. So wie beim letzten Mal. Ich stehe leise auf und wage es kaum, zu atmen. Ich schleiche auf Wollsocken zur Türe und drücke meinen Zeigefinger auf die kleine Klappe vor dem Türspion. Ich weiß jetzt schon, dass meine Veranda leer sein wird. Trotzdem halte ich die Luft an und lehne mich nach vorne.
Ich schwitze und mein Herz schlägt unglaublich laut. Ich schiebe die kleine Blende zur Seite und kneife ein Auge zu. Dann spähe ich durch den Spion.
Nichts. Auf den ersten Blick nichts. Es ist dunkel draußen, schwere Wolken sind vor die Sonne gezogen und trüben das kobaltblaue Licht. Ich blinzle hektisch und dann erkenne ich die Umrisse meiner Veranda. Die der Sitzbank mit der abblätternden Farbe, die durch den Schnee auf ihren Planken mollig aussieht. Das Treppengeländer und die vage Vermutung meines Postkastens.
Als es das nächste Mal gegen meine Türe hämmert, zucke ich so fest zusammen, dass ich mir das Knie am Holz anschlage und mit einem Fluchen zurückspringe. Das Klopfen wird durch das Geräusch meines Knies unterbrochen. Zwei Mal hat es geklopft. Jetzt herrscht beinahe erstaunte Stille und ich bekomme Angst. Habe ich aus Versehen einen Weg für Kommunikation geöffnet? Gerda hat gesagt, ich soll nicht daran denken. Aber wie soll man denn nicht daran denken, wenn ein Unsichtbarer gegen die eigene Türe hämmert?
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[Novelle] Karis Brief 🗸
General Fiction»Wovor bist du dann davongelaufen?« Die Frage trifft mich mit sanftem Atem mitten ins Gesicht. Ich bin nicht davongelaufen, will ich sagen, kann es aber nicht. Ich denke an das leere Apartment meines Vaters, an die Stille und die Einsamkeit zwischen...