Während Mason und ich aus dem Wasser waten, greift er nach meiner Hand und verschränkt seine Finger mit meinen. Nachdem mein Körper so gut wie trocken ist, hiefe ich mich zurück in meine Klamotten. Mason tut mir gleich und zieht sich seine Sachen über. Wir tauschen immer wieder vielsagende Blicke aus, dennoch bilde ich mir ein, jetzt schon eine gewisse Distanz zu ihm zu fühlen. Bei mir bahnt sich eine Übelkeit an, je näher unsere Verabschiebung rückt. Mason und ich treten Hand in Hand den Rückweg an, erzählen über Gott und die Welt und witzeln miteinander bis wir vor Lachen schwanken.
„Wusstest du, dass Tulpen meine Lieblingsblumen sind?", frage ich nachdem wir uns wieder eingekriegt haben und sofort wirkt die Atmosphäre um uns wieder ernst. Masons Blick wird plötzlich ganz weich. So, als hätte ich gerade die schönsten Worte der Welt zu ihm gesagt. Gerade als er etwas sagen will, wird er vom klingeln seines Handys unterbrochen und wir kommen von dem großen Ausgangstor zum stehen. Er zieht es aus seiner Hosentasche und wirft einen Blick auf den Bildschirm. Als er fragend die Augenbrauen zusammenzieht, fühle ich, dass etwas nicht stimmt. Noch bevor ich fragen kann, hebt er ab und gibt mir eine Handbewegung, dass ich kurz hier stehen bleiben und warten soll während er einige Meter Abstand zu mir nimmt. Diesmal werde ich nicht sofort stutzig weil er zum telefonieren weggeht, sondern versuche mir plausible Gründe dafür ins Gedächtnis zu rufen. Vielleicht auch, um ruhig bleiben zu können. Masons Gesichtsausdruck und Körperhaltung verändert sich mit jedem Wort schlagartig. Je lauter er spricht, desto deutlicher kann ich seine Verzweiflung raushören. „Was? Nein, das ... das kann nicht sein! Aber es hieß doch, er hat noch ein paar Wochen! Wie schlecht ist sein Zustand?" Er taumelt zurück, als würde ihn ein Schlag treffen. Sein Gefühlschaos überträgt sich augenblicklich auf mich und in mir macht es klick. Er sieht mit glasigen Augen zu mir rüber und ich setze mich unmittelbar in Bewegung zu ihm „Okay, ich mache mich gleich auf den Weg.", sagt er gerade als ich meine Arme um ihn schlinge. Sobald er auflegt, vergräbt er bitterlich schluchzend seinen Kopf in meinem Hals. Mason hält mich mit aller Kraft fest und ich habe ihn noch nie so zittern spüren wie gerade. „Dein Dad?", frage ich leise, als er ein wenig gefasster wirkt. Er nickt nur und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht als er sich wieder von mir löst. „Tut mir leid aber ich muss sofort los. Ihm geht es wesentlich schlechter..." „Natürlich! Ruf an wenn ich irgendwas tun kann.", antworte ich. „Danke, Ava." Er läuft los, stoppt aber nochmal kurz um mich anzusehen, als wollte er meinen Anblick in Erinnerung behalten und joggt dann Richtung Parkplatz. Ich bleibe auf der Stelle stehen und sehe ihm schmerzerfüllt hinterher. Nichtmal, weil das gerade unser Abschied für unbestimmte Zeit war, sondern weil es mein Herz in tausend Teile bricht, ihn so leiden zu sehen. Wie qualvoll muss es sein, seinen Vater an dieser Krankheit davongehen zu sehen? Und wie unfair ist es, dass das bereits der zweite geliebte Mensch in seinem Leben ist, der gegen den Krebs kämpfen muss? Mir fließen unkontrollierbar Tränen über die Wangen. „Ich liebe dich auch, Mason.", flüstere ich ins Leere.Völlig aufgelöst und durcheinander schließe ich die WG-Tür auf und bleibe perplex im Türrahmen stehen, weil mir verdächtige Geräusche zu Ohren kommen. Sobald ich die Laute einordnen kann, presse ich die Lippen aufeinander. „Shit", wispere ich in mich hinein, als mir klar wird, dass Joana Besuch hat und ich die beiden gerade bei etwas höre, das ich am liebsten direkt wieder vergessen würde. Ich trete rückwärts aus der Tür und schließe sie leise, damit die beiden keinen Wind von mir bekommen. Mit zusammengekniffenen Augen versuche ich, mir deren Stöhnen aus dem Gedächtnis zu löschen und wieder ans wesentliche zu denken: Was mache ich jetzt?
Wir haben mittlerweile nach zwölf Uhr nachts und die Geräusche kamen definitiv aus dem Wohnzimmer, woran kein Weg vorbeiführt, wenn ich in mein Zimmer möchte. Ich seufze verzweifelt und beschließe, auf die Dachterasse zu gehen. Sobald ich im Aufzug bin, schießen Flashbacks von Mason und mir in meinen Kopf, die sich immer wieder mit dem heutigen Ereignis vermischen, als ich ihn am Boden zerstört gesehen habe. Ich würde ihm so gerne beistehen, deswegen habe ich ihm auch angeboten, sich jederzeit zu melden. Aber ich weiß, dass er das Angebot höchstwahrscheinlich ausschlagen wird um mir trotz allem den Abstand zu geben, um den ich ihn gebeten habe. So ist er nunmal. Mason hat mit mir eine unglaubliche Entwicklung durchgemacht. Ich habe mich durch seine harte Schale von Egoismus und Arroganz zu seinem weichen Kern durchgekämpft. Er hat mir vorhin zum ersten Mal das Gefühl gegeben, ich könne seinen Worten zu hundert Prozent vertrauen. Er hat sich mir endlich geöffnet. Und deswegen glaube ich, dass er seine letzte Chance auf uns nicht wieder vergeigen will. Aber jetzt, wo die Tragik um seinen Vater so plötzlich sein Leben zum einstürzen bringt, weiß ich nicht ob diese Hoffnung für ihn ausreicht oder er alles aufgibt und darunter zerbricht. Die Zeit wird es zeigen. Mir wird vom Gedankenkarussell übel und ich nehme augenblicklich einen tiefen Atemzug der frischen Luft, die mir entgegenströmt sobald ich einen Fuß nach außen setze. Von hier oben hat man den atemberaubendsten Blick auf die Stadt. Wieso bin ich nicht öfter hier? Der Ausblick schafft es, mich kurz abzulenken und all die Probleme kleiner wirken zu lassen, doch sobald ich wieder grüble, wie es jetzt weitergehen soll, kommt die Übelkeit zurück. Ich lege mich auf eine Bank, lege die Rose von Mason neben mir ab und fahre mir desperat mit den Händen über das Gesicht. Meine Hand streift versehendlich den Schmuck um meinen Hals und sucht dann den Weg zum Anhänger meiner neuen Kette. Versprich mir, dass du immer an mich denkst wenn du den Anhänger der Kette berührst oder ansiehst. Ich erinnere mich an jedes seiner Worte und wieder beginnen, Tränen in meinen Augen zu brennen.
Ich will, dass du mich lieben kannst.
Ich atme hörbar aus, schließe meine Augen und lasse die Kette nichtmehr los.Fortsetzung folgt...
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𝑯𝑰𝑫𝑫𝑬𝑵 𝑭𝑬𝑬𝑳𝑰𝑵𝑮𝑺
RomanceObwohl Ava und Mason in komplett verschiedenen Welten leben, treffen sie auf unerwartete Weise aufeinander. Die Kellnerin aus ärmlichen Verhältnissen und der reiche, kaltherzige Aufreißer. Zwischen Missverständnissen und überraschenden Wendungen ent...