Kapitel 8

5 3 0
                                    

Lily

Zwei Monate nach dem Überfall;
die erste Therapiesitzung bei Mrs Sullivan 

Ich betrat mit vorsichtigen, unsicheren Schritten den minimalistisch eingerichteten Raum. Er wirkte leer und ungelebt. Steril. So, wie ich ihn eigentlich nur aus Hollywood-Filmen kannte. Nie hätte ich im Leben einmal daran gedacht, ausgerechnet hier zu landen. Ich wollte nicht hier sein. Die ungewohnte Umgebung schüchterte mich ein, sorgte dafür, dass ein unangenehmes, einengendes Gefühl Besitz von mir ergriff; sich ausbreitete wie ein Ballon, den man immer weiter aufpustete, bis dieser zu platzen drohte.

Nur wenige Objekte und Dekorationen zierten die Schränke und die Fensterbretter, durch die abgeschirmtes Tageslicht ins Innere dringen konnte. An den farblosen, weißen Wänden hingen abstrakte Bilder, die in meinem Gedankenwelt keinerlei Gefühle auslösten. Es waren nur gedeckte Farben auf einer weißen Leinwand - nichts Besonderes; nichts Aufregendes. Überhaupt nichts, was mich begeisterte. Es waren einfach nur willkürlich gestaltete Kleckse, die ein Künstler vollbracht und als Meisterwerk betrachtet und verkauft hatte. Womöglich hatten sie tausende an Kronen gekostet. In einer Arztpraxis ganz sicher nichts Neues. Hier sah immer alles teuer aus.

"Hallo Lily, schön dass du da bist!"

Mrs. Sullivan stand von ihrem schwarzen Lederstuhl auf, nachdem sie mein eintreten nach einem kurzen Klopfen bemerkt hatte. Die große, langgewachsene Frau umrundete den mahagonifarbenen Schreibtisch und hielt mir ihre schmuckverzierte Hand entgegen. Mein Blick fiel zuerst darauf. Immerhin war es das realste, was ich hier sehen konnte und musterte dann ihre legere Kleidung. Die Therapeutin steckte in keinem weißen Kittel (zum Glück). Sie trug stattdessen eine einfache blaue Jeans, einen roten, an den Ärmeln gefransten Pullover,  der sehr kuschelig aussah und einen kleinen goldenen Pin, der daran befestigt war und ihren Namen in verschnörkelter, graziöser Schrift zeigte. Als ob ich nicht wüsste, wer gerade vor mir stand. Mrs F. Sullivan. Therapeutin und Seelenklempnerin für die ganz schlimmen Fälle. Ironie aus.

"Hal-lo", sagte ich abgehackt und konnte spüren, wie meine schwitzende Hand in ihrer zu zittern begann. Alles hier machte mich unendlich nervös. Erdrückte mich fast. Als würde die Decke immer näher kommen und mir die Luft zum Atmen rauben.

"Setz dich doch gerne hin, Lily", meinte die große, sehr schlanke Frau mit ihrem locker lässigen Alltagsoutfit und ihrem frisch frisiertem Haar.

Ich mochte sie nicht.

Ich mochte ihre Art nicht, so fröhlich zu sein.

Es störte mich ungemein.

Wieso war sie nur so fröhlich und ich nicht?

Was machte sie, um so gut drauf zu sein?

Wurden ihr auch Pillen angeboten, die sie zur Beruhigung nehmen sollte?

Doch nein, das ging zu weit. Ich ging zu weit. Meine Gedanken spielten nicht mit. Sie wollten die Beherrschung verlieren.

Im direkten Vergleich zu ihr kam ich mir eher wie ein elender, zurückgezogener grauer Klumpen vor, der irgendwo am Straßenrand lag und von niemanden Beachtung bekam. Der dort so lange liegen würde, bis er vom Regen weggespült wurde. Wieso sollte an mir auch überhaupt jemand Interesse zeigen, so war ich doch nur ein mentales Wrack, dass gerade so überlebte?
Dennoch ging ich ihrer Anweisung nach und setzte mich auf die Couch, die perfekt zum Schreibtisch passte. Natürlich - was in diesem Raum war nicht aufeinander abgestimmt?
Sie war bequem. Sehr weich. Doch anstatt mich darin sicherer und wohler zu fühlen, kam ich mir nur fehl am Platz vor. Ich gehörte hier nicht her.
Ich war mir ganz sicher, dass ich hier nicht sein wollte. Ich bevorzugte es lieber in meinem großen Bett zu liegen; alleine in der abgeschotteten, dunklen Wohnung, damit niemand von meinen Problemen Wind bekam. Die weißen breiten Gardinen zugezogen, sodass nur wenig Licht in mein Zimmer dringen konnte. Es fast verschluckte. Nur ich war noch da.
Die schwere, kuschelweiche Decke über meinen Kopf gezogen, damit ich nur die Stille in meinem Kopf dröhnen hören konnte. Ich machte alles, um mein drumherum zu vergessen. Ich machte alles, um ihn und all das, was passiert war, zu vergessen.

Don't Trust NobodyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt