Kapitel 14

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Lily

Müde starrte ich auf die dampfenden Tasse Kaffee, welche nur darauf wartete an den entsprechenden Tisch gestellt zu werden. Doch keiner meiner Muskeln wollte eine Regung zeigen. Alles in mir war wie festgefahren. Seit einer Woche war keine Meldung oder Regung mehr von Lucas gekommen. Keine Smiley, keine kurze Textnachricht, absolut rein gar nichts. Als wäre das, was zwischen uns war, nur ein Traum gewesen. Ein guter, um nicht alles schlecht zu reden. Aber irgendwas in mir wollte es nicht bestätigen. Das es ein Traum gewesen war. "Er wird sich melden, bestimmt!", versuchte mich Smilla aufzumuntern, doch nach dem dreißigstem Mal, in dem sie das schon zu mir sagte, schien sie selbst nicht mehr daran glauben zu wollen. So verbrachte ich die Zeit damit, ins Leere zu starren und mich zu fragen, was ich falsch gemacht haben könnte. Denn das musste es ja sein - irgendwas hatte Lucas an mir gestört. Ein entscheidender Punkt, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Der dafür sorgte, das er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Und ich übersah ihn komplett. Oder war er einfach genau dieser Typ Mensch, der Leuten Hoffnung machte, so tat, als würde man ihm gefallen und am Ende wurde man dann geghostet? Doch so richtig wollte ich mir das nicht vorstellen. War Lucas wirklich so ein Mensch, der andere eiskalt abservierte? Oder steigerte ich mich zu sehr in diese Sache hinein und bildete mir Dinge ein, die überhaupt nicht der Wahrheit entsprechen wollten?
War er vielleicht einfach nur zu beschäftigt und konnte deshalb nicht schreiben? War sein Handy vielleicht kaputt und konnte sich aktuell kein neues leisten? Doch all diese Fragen wurden mit einem anderen Gedanken zunichte gemacht: Wenn Lucas wahrhaftig an mir interessiert wäre, würde er, egal wie, bei mir auftauchen. Er wusste, wo ich arbeitete und konnte, auch wenn ich einmal nicht da war, locker Smilla oder Carlos nach mir befragen. Also rutschte meine anfällige Unsicherheit wieder zur Versagensangst weiter nach vorne und der Gedanke daran, wirklich geghostet worden zu sein, wurde immer realer; spürbarer.
"Wenn du noch länger Maulaffenfeil darbietest, kannst du den kalten Kaffee selber trinken! Du wirst nicht fürs Rumstehen bezahlt, sondern dafür, dass du deinen zarten Hintern vor zu den Kunden bewegst und ihnen genau das bringst, was sie wollen! Einen heißen Kaffee, schwarz wie meine Seele, aber dalli!" Ohne es bemerkt zu haben, war Siri hinter mir aufgetaucht. Ihr Gesicht war puderrot und würde nicht mehr lange brauchen, um einem roten, amerikanischen Sumpfkrebs Konkurrenz zu bieten. Damit ich meine Chefin nicht noch weiter auf die Palme brachte, schluckte ich mir das geplante Seufzen herunter, rappelte mich zusammen und brachte die Tasse und das gewünschte Gebäck an den Tisch, an dem bereits eine unserer Stammkundinnen saß und zu vertieft in das Gespräch mit ihrer Freundin war, um mich wirklich wahrnehmen zu können. Erst als die Keramik beim Abstellen klapperte, schaute die Dame ein wenig erschrocken zu mir auf. Gab ich so ein schlimmes Bild ab, dass selbst unsere Kunden einen Schrecken davon trugen?
"Kindchen, geht es Ihnen gut?", kam es bereits aus ihren rosarot geschminkten Lippen hervor, die zu ihrem schicken Outfit (ebenfalls in zartem Rosa) ein passendes Bild ergaben.
"Ja, natürlich. Ich habe die Nacht nur ein wenig schlecht geschlafen, nichts weiter", gab ich ihr als Antwort zurück und bemühte mich um ein lockeres Lächeln, dass nicht mit dem des Jokers zu vergleichen sein sollte.
Nachdem mir die beiden Damen ihre Danke ausgesprochen und keinen weiteren Wunsch ausgesprochen hatten, drehte ich mich mit schnellen Schritten wieder zum Tresen um und rannte dabei fast Smilla über den Haufen, die ebenfalls von einem der Tische kam.
"Lily, ich weiß das es schwer für dich ist. Aber Siri schaut dich auch schon die ganze Zeit so an, als würdest du jeden Moment die Kündigung kassieren. Du darfst jetzt nicht so tun, als wäre es der Weltuntergang, nur weil er keine Lebenszeichen von sich gibt."
Smilla bemerkte schnell, welchen Fehler sie mit dem simplen Wort Lebenszeichen gemacht hatte und presste rasch beide Hände auf den Mund.
"Oh Gott, das tut mir Leid!", entfuhr es ihr gedämpft. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Ich merkte ihr an, dass ihr die Aussage leid tat.
"Alles gut...", versuchte ich ihr signalisieren, auch wenn überhaupt nichts gut war. Es hatte nur dafür gesorgt, dass meine Gedanken weiter spinnen und ihre Fäden ins Unermessliche weben konnten.
Was wäre, wenn es einen Autounfall gegeben hätte? Wodurch er nicht schreiben konnte? Weil er vielleicht tot war? Oder längst beerdigt wurde? Was, wenn er ebenfalls einen grausamen Tod hatte erleiden müssen? Hatte er starke Schmerzen gehabt, oder war es schnell vorbei gewesen?

Don't Trust NobodyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt