Emily, ein wunderschönes Mädchen mit rotbraunen, langen Haaren, schlanker Statur, hohen Wangenknochen, grünen Augen und ich liefen nebeneinander durch ein paar leerere Straßen Rostocks. Es war Sommer und somit sehr warm, was durch den milden Wind etwas erträglicher wurde. Es lag der Geruch von Sonnencreme und blühenden Blumen in der Luft. Immer wenn eine Briese aus Richtung Meer über die Stadt zog, schwang auch der Geruch von Salz mit. Es war wunderschön mitanzusehen, wie der leichte Wind sich durch die wenigen Bäume strich und die Sonne auf den Blättern tanzte, doch das alles bekam ich nicht wirklich mit. Meine Augen lagen nur auf Emily, denn nur sie zählte in dem Moment. Dicht liefen wir nebeneinander her und ich genoss die Zweisamkeit.
Ich hatte sie ewig nicht mehr gesehen, da ich eigentlich in Berlin wohnte und nur selten an die Ostsee fuhr. Emily hatte ich einmal auf einem Ausflug nach Warnemünde kennen gelernt. Damals kannte ich mich hier oben nicht aus, weswegen ich etwas verloren durch die Straßen lief. Dann, im Park am Hafen, stand sie plötzlich vor mir. Sie trug ein wunderschönes Sommerkleid und lächelte mich freundlich an. Sie hatte mich gefragt, ob sie mir weiterhelfen konnte, doch ihre Worte hatte ich kaum gehört. Ihre Augen hatten mich damals schon verzaubert und mich in ihren Bann gezogen. Verlegen stammelte ich also etwas vor mich hin, bis sie schließlich, mit ihrem wunderschönen kichern, meine Hand nahm und mich rumführte. Das war der wunderschönste Tag in meinem Leben gewesen und ich erinnerte mich heute noch gerne daran zurück.
Auch heute trug sie dieses wunderschöne Sommerkleid wieder, zusammen mit der goldenen Kette, die ich ihr einmal geschenkt hatte. Es war ein kleines Medaillon, welches sie aufklappen konnte. Im Inneren war ein kleines Bild, welches uns am Abend des Tages zeigte, an dem wir uns kennen gelernt hatten.
Wir liefen weiter, bis wir irgendwann in Richtung Hafen kamen. Sie liebte es hier, ich dafür weniger, doch ich hatte es mir nie anmerken lassen, ihr zu liebe. Hier liefen schon mehr Menschen und auch eine Gruppe von Jungs stand am Rand, die sie lüstern beobachteten, was ihr jedoch nicht auffiel. Beim vorbeigehen warf ich ihnen einen bitterbösen Blick zu, doch sie ignorierten mich einfach. Seufzend richtete ich meinen Blick wieder auf den Weg vor uns und zwang mich wieder entspannter zu werden, was mir auch gelang. Emily schienen die vielen Menschen nicht zu stören.
An einem kleinen Eisstand blieb sie stehen. Der Verkäufer lächelte sie freundlich an, übergab ihr das gewünschte Eis, sie bezahlte und wir liefen weiter. Eine Routine, die wir auswendig konnten, so oft, wie wir in letzter Zeit hier gewesen waren. Ich aß wie immer nichts, sondern lief einfach neben ihr her. Das war alles, was ich brauchte: Sie an meiner Seite.
Wir folgten unserem Weg, als sie plötzlich in eine kleine Gasse einbog. Ohne weiter zu zögern folgte ich ihr. Ich brauchte nicht lange, um den Weg zu erkennen, den wir ab und zu genommen hatten. Es war eine Menschenleere Abkürzung, die zum Bahnhof führte. Emily zögerte keinen Moment und kletterte über das kleine Hindernis, in Form von drei Kisten, herüber. Ich direkt hinter ihr.
Als wir aus der Gasse kamen, sah ich schon den Zug am Gleis stehen. Gerade als ich erschrocken zu Emily sehen wollte, sah ich, wie sie bereits losgelaufen war. Kopfschüttelnd rannte ich ihr hinterher, wie schon die unzähligen Male, die wir hier gewesen waren. Kurz bevor sich die Türen schlossen, sprang Emily noch in den Zug, ich dicht hinter ihr. Sie konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen, als sie einige der Fahrgäste erschrocken ansahen, genauso wenig wie ich. Gerade, als sie sich zu einem Platz aufmachen wollte, fuhr der Zug los. Ich wollte noch reagieren und sie stützen, doch ich war zu langsam und schaffte es nicht. Zum Glück hatte sie es noch geschafft sich festzuhalten und stellte sich sicher hin. Sie richtete kurz ihr Kleid und machte sich auf die Suche nach einem Platz, ich folgte ihr wie immer.
Die Fahrt dauerte nicht lange, dennoch sahen wir beide einfach nach draußen und beobachteten die Landschaft, die an uns vorbeizog. Als der Zug hielt, standen wir auf und stiegen aus. Als ich die Umgebung musterte, erkannte ich auch, wo wir wahren: wir wahren in Warnemünde. Mit großen Augen sah ich zu Emily, doch diese lief schon weiter. Schnell machte ich mich daran und folgte ihr.
Von der Bahnstation aus war es nicht weit bis zum Park, auf dem Emily zusteuerte. Als wir über eine Brücke gingen blieb ich kurz stehen und sah von hier aus in den Hafen hinein. Irgendwie hatte diese Stadt etwas Magisches. Es hingen so viele Erinnerungen an diesem Ort. Ob dies gut oder schlecht war, konnte ich nicht sagen.
Als ich mich wieder von dem Anblick losriss, sah ich, dass Emily bereits weitergelaufen war. Irgendwie zauberte es mir ein Schmunzeln auf das Gesicht und ich lief ihr wieder nach. Im Park blieb sie schließlich stehen und setzte sich auf eine der freien Bänke. Ich setzte mich einfach neben sie und sah zum Wasser rüber. Der Hafenkanal führte genau am Park entlang, doch war er auf dem Ende immer etwas leerer. Leise hörte ich die Möwen in der Ferne schreien, fröhliche Musik spielte dort und selbst das Rauschen der Wellen am Strand drang leise an mein Ohr. All das machte es zu einem wunderschönen Moment.
Plötzlich setzte Emily ihre kleine Tasche auf ihren Schoß, strich sich eine rotbraune Strähne aus dem Gesicht und holte ein Foto aus ihrer Tasche. Es zeigte uns beide. Es war der Moment, kurz nachdem ich sie gefragt hatte, ob sie meine Frau werden wolle. Natürlich hatte sie ja gesagt und vor Freude geweint, weswegen ihre Augen auf dem Foto noch leicht rot waren. Es war hier am Strand gewesen, da diese Stadt zu uns gehört. Hier haben wir uns das erste Mal gesehen, das erste Mal die Liebe gestanden, das erste Mal geküsst.
Auch jetzt liefen ihr Tränen über die Wangen. Ich wollte sie ihr wegwischen, doch ich konnte nicht ich konnte es seit Jahren schon nicht mehr. Es waren dieses Mal keine Freudentränen, es waren Tränen der Trauer. Sie hielt das Foto fest in ihrer Hand und drückte es an ihre Brust. Ich wünschte, ich könnte sie trösten, denn es schmerzte mich, sie so zu sehne, doch ich konnte es nicht.
Ich bin Felix. Vor drei Jahren bin ich bei einem Bootsunglück ums Leben gekommen, genauso wie der Rest der Crew. Emily war die einzige Überlebende gewesen...
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Kurzgeschichten eines Schakals
Short StoryHier findet ihr kleine und große Geschichten von mir. Einige von ihnen waren mal ursprünglich eine Idee für ein Buch, haben es aber nicht soweit geschafft und sind jetzt hier gelandet. Einige davon sind schon etwas älter, was man auch am Schreibstyl...