Kapitel 1

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Es ist nicht meine Schuld.

Ich suche nach einer bequemen Schlafhaltung und zerre an dem Gurt.

Scheißding.

Wäre da nicht diese Furie, die mich beleidigt hat, wäre da nicht dieser Typ, der sie verteidigt hat, dann würde ich doch gar nicht erst zuschlagen. Dann würde es niemanden jucken und ich müsste nicht schon wieder in dieser ätzenden Karre sitzen.

"Mom, ehrlich. Kauf dir Mal ein neues Vieh. Dieses hier ist zum Kotzen."

"Wenn du dich nicht so angestellt hättest, mein lieber Freund, müsstest du gar nicht erst hier sitzen.", kontert sie. Ich verdrehe die Augen.

"Es ist nicht meine Schuld.", keife ich sie an, verschränke die Arme vor der Brust und schließe die Augen.

Als wir da sind, tut mir höllisch der Nacken weh. Ein Hoch auf 'nen Scheiß. So kitschig es auch ist, aber manchmal wünsche ich mir echt dieses "So, mein Sohn. Das ist unser neues Haus und hier beginnt unser neuer Lebensabschnitt" von meiner Mutter, denn jedes Mal auf's Neue vor einer abgefratzten Wohnung zu stehen und gefühlte 100 Nachbarn um sich herum zu haben ist wirklich Kacke.

"Bill, sei doch ein Mann und hol die Koffer aus dem Auto.", bittet meine Mutter mich und hält den netten Unterton in ihrer Stimme, den sie so gut wie gar nicht ernst meint.

"Mach's doch selbst."

Sie schenkt mir einen drohenden Blick.

Leck mich.

Ich hole das, jetzt bemerkt viel zu viele, Gepäck aus dem Wagen und schmeiße sie in das leere Wohnzimmer. Der Bruder meiner Mutter müsste bald mit dem Lastwagen ankommen und die Möbel hinterherschleppen. Er soll sich doch bitte beeilen, ich will nämlich schleunigst ins Bett.

"Gib mir mal 'ne Kippe.", brumme ich abwartend und strecke ihr meine Handfläche entgegen.

"Vergiss' es, du hast genug Taschengeld um dir eine eigene Schachtel zu kaufen."

"Oh Mann, Mom."

"Oh Frau, wenn überhaupt. Und jetzt zisch' ab.", entgegnet sie und balanciert bereits eine Zigarette zwischen den Lippen. Ich seufze angereizt und knalle mit Absicht kraftvoll die Tür hinter mir zu. Soll ihr eine Lehre sein. Ja, ich hatte genug Geld, sogar ihren Ausweis. Meiner ist nämlich irgendwo abhanden gekommen. Aber hier konnte man doch wohl eine Ausnahme machen, oder?

Irgendein Köter kommt auf mich zu und fängt an mit seiner feuchten Nase an mir herumzuschnuppern.

"Susi, aus!", nuschelt eine alte Frau. Igitt! Ich hasse es. Ich hasse alte Menschen. Ach, und Hunde mal ganz außenvor. Beide so dämlich und nervtötend. Wenn der Rest meiner Nachbarn ihresgleichen sind, dann bring ich mich heute Abend noch um.

Ich gehe an den erstgefundenen Automaten und hole den Ausweis meiner Mutter aus der Hosentasche, von dem sie denkt, ihn irgendwo verloren zu haben. Etwas Geld und dann passt's. Schnell zünde ich die Kippe an und nehme den ersten Zug.

Himmlisch.

Da bin ich also. In einem Kaff irgendwo in Berlin. Frohes neues Leben würde ich sagen. Ob es hier auch mal Partys gibt? Oder Kiffer? Oh komm, es werden sich hoffentlich Menschen finden die sich illegal vergnügen. Die letzte Clique, die ich dank meines von der Gesellschaft genannten "Ausrasters" verlassen musste, war bereits die 6. in den letzten zwei Jahren. Ich nehme einen weiteren tiefen Zug.

Wird schon schief gehen.

Jemand zupft an meiner Hose. Zuerst drehe ich mich um und blicke ins Nichts, bis diejenige noch einmal zupft und ich meinen Kopf senke.

"Hast du meine Mama gesehen?", fragt sie. Verdammt, ist das so ein "wir-kennen-uns-alle-und-sind-freundlich-zueinander"-Dorf? Oh fuck, wo bin ich hier gelandet?

"Nein, weiß ich nicht.", murmle ich und puste ihr den Rauch entgegen. Sie verzieht ihr Gesicht und tritt von mir weg.

"Das ist ja voll eklig.", näselt sie und hält sich die Nase zu. Sie mustert mich angewidert und ich spucke auf den Boden. Gott, was will die noch von mir? Die soll gefälligst andere nerven.

"Du bist eklig.", feixe ich und nehme einen weiteren Zug. Als sie das sieht, rennt sie davon und ich schaue ihr noch hinterher. Warum sind die Kinder heutzutage bloß so übergewichtig? Nein, ehrlich das ist beängstigend.

Ich lege für einen kurzen Augenblick meinen Kopf in den Nacken, schließe meine Augen und puste den Rauch in den Himmel. Ich will hier weg. Jetzt.
Zurück zu meiner geliebten Clique und meinen geliebten Leuten.

Der Boden hier ist feucht und ich versuche den Pfützen auszuweichen. Lust auf zu Hause habe ich nicht und so beschließe ich weiter dem Asphalt zu folgen. Vielleicht würde sich der ein oder andere als neuer guter Freund geben oder sowas. Gegebenenfalls. 

Der Himmel knurrt und donnert vor sich hin. Wie heißt die Stadt hier noch gleich?

"Hey, du hast gar nicht links und rechts geschaut!", ruft eine weitere weiblich kindische Stimme aus der Richtung einer Bushaltestelle. Eine reifere Stimme folgt murmelnd, die dennoch nicht an mich gerichtet ist.

Ich suche die Stimmen und erkenne dann zwei Mädchen. Die Jüngere versteckt sich hinter der Älteren.

Ich gehe auf die beiden zu, Jugendliche schiebt schützend die Kleine weiter hinter sich.

"Sorry, die hat's nicht so mit Klappe halten.", verteidigt sie ihre scheinbar kleine Schwester.

Ich blicke hinter sie. Ihre Brille scheint ihr viel zu groß sein und die klischeehaften zwei Zöpfe hängen schlapp herunter. Im Gegensatz zu ihr, war die Jugednliche vor ihr tätowiert und gepierct. Es scheint, als gäbe es hier in der Gegend wohl doch nicht nur dumme Dorftrampel, die alle gleich aussehen.

"Mila, Mama hat gesagt wir sollen nicht mit Fremden reden.", kommentiert die Kleine mit dem Rucksack und der Nerdbrille und greift dann wieder an dem T-Shirt ihrer großen Schwester.

Pah, Streber.

"Anna, das ist kein Fremder.", zischt die Ausgefallene, was mich fast zum Schmunzeln bringt. Im Gegensatz zu ihrer anscheinenden kleinen Schwester ist sie viel offener und lockerer. Erinnert mich irgendwie an Jenny, die sich damals von mir immer eine Kippe schnorrte. 

"Bist du neu? Ich habe dich noch nie hier gesehen.", entgegnet sie durchaus interessiert und legt die Hände hinter den Rücken auf die Arme ihrer Schwester, die sich immer enger gegen den Rücken presst.

"Ja, bin neu.", räuspere ich mich.

Die Kleine Schwester ist immer noch nicht überzeugt und späht kritisch hinter dem Rücken hervor.

"Na dann. Mila.", stellt sich die Jugendliche vor und mustert mich.

"Bill.", erwidere ich.

"Der stinkt voll.", flüstert die Kleine gerade noch hörbar Mila zu.

"Anna!", zischte Mila entsetzt und bringt sie mit durchdränglichen Blicken zum Schweigen.

"Hör mal lieber auf deine große Schwester, als auf deine Mama.", antworte ich auf ihr Kommentar und gehe weiter. 

Ich habe jetzt schon die Nase voll.

Nerv' nich' || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt