Kapitel 6

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Ich versuche mich an den Weg zurück zu erinnern und muss erstaunlicherweise zugeben, dass es nicht lange dauert, bis ich wieder die lästige Rentnerin mit ihrem lästigen dummen Hund vor meiner Tür herumgeistern sehe. Sie schreckt einige Schritte zurück als sie mich sieht und hält den Mund, bis meine Mutter auf mein Klingeln reagiert.

Die Außentür summt und ich drücke sie auf. Der Ollen schenke ich noch einen verschreckenden Blick und sehe dann auch schon meine Mutter an der Wohnungstür. Sie lehnt am Türrahmen, in ihrer Hand qualmt eine Zigarette und ihre Arme sind verschränkt.

Ich ignoriere ihren verachtenden Blick und gehe schweigend an ihr vorbei, allerdings bekomme ich einen flachen Schlag gegen meinen Hinterkopf.

"Mich anzurufen ist überbewertet, hm?"

Leck mich.

Es ist immer das gleiche. Ich bin 18, verdammte Scheiße nochmal. Sie zieht mich zu ihr zurück, indem sie stark an meinen Haaren greift. Ich zische gereizt auf.

"Mum."

"Wo du warst, will ich wissen.", faucht sie.

"Chill! Ich war mit einpaar Leuten unterwegs."

"Wir sind in einer wildfremden Stadt nähe Berlin und du läufst irgendwelchen Menschen hinterher?" Sie drückt ihre Zigarette an der Kommode im Flur aus und erwartet entrüstet meine Antwort ab.

"Du hast doch 'nen Vogel. Ich bin keine 10 mehr, dass ich mir-"

"Du bist aber auch keine 30! Dank dir muss ich mir ständig anhören, welch eine Rabenmutter ich doch wäre!"

Und wieder die alte Leier. Ich verdrehe die Augen und suche mein Zimmer. Manchmal macht sich meine Mutter einfach zu viele Vorwürfe, oder zu viele Sorgen. Oder beides. Alles war total überflüssig, denn wie bereits gesagt, bin ich kein Kind mehr, sondern erwachsen und ich verantworte ganz für mich alleine.

Kann ich denn was dafür, dass der Typ abgehauen ist, als sie schwanger war? Mich hat ja keiner gefragt.

Man sagt doch immer, dass man auf seine Eltern hören solle. Heute wird mir klar, dass es gut war, es nicht getan zu haben. Meine Mutter hat schon immer gesoffen und geraucht. Ab und zu habe ich dann 30-jährige möchtegern Machos aus ihrem Zimmer watscheln sehen. Prinzipiell, ja, hat sie mich vielleicht scheiße erzogen, oder nein, sie hat mich gar nicht erzogen, aber ich komm' damit klar, also keinen Grund zur Sorge.

Mein Gott.

"Du hättest mich trotzdem zumindest mal anrufen können, du warst die ganze Nacht nicht da." Jetzt flennt sie. Toller Joghurt auch.

Mann, hat sie ihre Tage, oder was?

"Mein Handy ist kaputt."

Hinter dem Satz liegt volle Absicht und ich schaue auf die Tür. Wartend darauf, dass sie gleich aufgerissen wird.

"Es ist was?"

Ich antworte nicht, sondern blicke ihr selbstsicher in die Augen. Sie schüttelt mit dem Kopf, verkneift sich ihren Wutausbruch, knallt aber mit ganzer Kraft die Tür hinter sich zu.

"Nicht zu fassen.", höre ich sie nur fauchen und daraufhin knallt sie ihre Zimmertür zu.

Die Möbel liegen quer über der Raumfläche verteilt und ich setze mich auf das nackte Bett, gleich neben dem dahin geschmissenen Tennisschläger. Meine Jacke schmeiße ich auf den Schreibtisch und fahre mir über's Gesicht. Ich kann die Ängste meiner Mutter eigentlich gar nicht nachvollziehen. Sie weiß, dass ich Drogen nehme und leidet dann darunter, dass ich mit Menschen abhänge, die in einem abgedroschenen Kaff leben? 

Versteh's.

Grundsätzlich ist die Truppe ganz okay. Ich habe nichts auszusetzen. Außer Marcel, der ist nämlich ein Lauch. So wie der barfuß rumläuft, erinnert der mich an einen der Bettgeschichten meiner Mutter. Nun gut, der Typ war eindeutig hässlicher. Marcels Füße sind für die nackte Wahrheit doch ziemlich sauber. Egal, er ist trotzdem ein Lappen. Widerspruch dazu ist Leo. Er ist schwul und hat einen guten Sinn für Humor. Es ist ungewöhnlich für mich, dass ich mich mit jemandem im Rahmen der ersten 24 Stunden schon so gut anfreunde, aber Leo hat es soweit gut bewältigt.

Alex ist ein Typ für sich. Er kann einem mächtig auf die Nerven gehen, sein Akzent ist auf Dauer zum Kotzen, aber der Typ ist irgendwie doch ertragbar. Trotz seiner komischen Gelbsucht. Gelbes Sweatshirt, gelbe Baggy-Pants, gelbe Sneakers. Selbst seine Unterhose ist ja bekanntlich gelb, und das sieht so ungelogen hässlich auf seiner schwarzen Haut aus. Echt.

Die Mädchen halten sich für meinen Geschmack ziemlich im Hintergrund. Obwohl Mila doch schon ziemlich liberal ist, wenn ich es mir recht überlege. Sie ist offen auf mich zugekommen, weiß was sie will. Also sie ist schon sehr standhaft. Amanda ist eher schüchtern, tanzt mit den anderen mit und ist für meine Empfinden recht langweilig.

Caro passt so gar nicht rein. Sie ist viel zu mitmenschlich, zu gesprächig und fährt meines Achtens doch zu sehr auf Freundschaften ab. Und Freundschaft ist etwas, was sich bei mir in Grenzen hält. Und dieser Typ, der sich irgendwas mit Schulze nennt, hat sie wohl noch abgeholt. Sie hat dementsprechend also einen Freund, und das erklärt ihr ganzes Geschwätze. Fehlt nur noch, dass wenn man keine Lust auf sie hat, sie sich an's Bein hängt. Sie zieht nicht einmal. Rauchen habe ich sie auch nicht gesehen. Alkohol trinkt sie, dass hat sich auf dem Fest gestern gezeigt. Sie scheint außerdem viel zu vertragen, aber für den Clan war es dann doch meiner Meinung nach zu dürftig.

Ich erhebe mich seufzend und gehe aus dem Zimmer. Ich schnappe mir einen Schlüssel, von dem ich der Überzeugung bin, dass er unser Hausschlüssel ist und gehe wieder raus. Zu Hause hält mich sowieso nichts fest und so gehe ich den gestrigen Zigarettenautomaten suchen. Als dann endlich der gewohnte Stoff zwischen den Lippen liegt und ich einen tiefen Zug nehme, wandert mein Blick über die Straße. Auf der einen Seite liegt eine Villa, direkt nach einem Haufen aufgereihter billiger Mehrfamilienhäuser. Auf der anderen Seite bleibt der Weg monoton. 

"Hey, Bill!", ruft jemand aus der Richtung der soeben gesehenen Villa.

Es ist Caro. 

Ausgeschlossen. So wie sie aus der Villa tritt, ist sie in meinen Augen ein schwerbepackter Geldsack. So nett sie sein mag.



Nerv' nich' || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt