Kapitel 2

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Schwarzes Schwimmbad. Open Air. Lübars.

Gott, wie arm.

Das ist also der erbärmliche Name von diesem Nest? Lübars. Hört sich an, als würde jemand kotzen müssen. -Ich muss auch gleich kotzen. Wenn ich den anderen sagen würde, dass ich in einem Kaff namens "Lübars" lebe, hätten sie mich niedergelacht. Lauthals.

Electric Dance Floor.
Chill-out Floor.
Black Music.

Ob die Bauerngegend hier überhaupt versteht, was da steht? Zu viel englisch und zu wenig berlinisch. Und wer, um Gottes Willen, soll dahin? Die Alten Säcke hier? Wird das so eine Art Seniorentreffen?

Ich kann nur mit dem Kopf schütteln. Angewidert schmeiße ich die Zigarette auf den Boden und beobachte sie dabei, wie sie zu Ende rußt. Ich dachte eigentlich, dass ich alles erlebt hätte, aber das übertrifft es. Ich werde sterben. Gezwungen schaue ich wieder auf das an der Laterne hängende Plakat. Die Schlampe im Hintergrund sieht mit ihrem erotischen Blick überaus hässlich aus. Und mit überaus hässlich meine ich auch den Zeigefinger, der auf ihrer Zunge liegt.

Behinderte Scheiße.

Ich fahre mir über das Gesicht und überlege eine weitere Prügel zu riskieren um hier rauszukommen. Allerdings habe ich keine Lust auf eine weitere Moralpredigt von meiner Mom.

"Du willst dahin?"

Ich drehe mich um und erblicke das Mädchen von eben. Wie war ihr Name noch? Melissa? Mara? Monika?

"Bin da. Wenn du willst, kannst du mitkommen. Wird mega.", sie klopft mir auf die Schulter. Sind wir echt schon so cool um mir auf die Schulter zu klopfen? Skeptisch mustere ich sie und schnaube sarkastisch. Hat sie das gerade ernst gemeint? Mega?

Auf einmal prustet sie los und mir fallen dabei ihre Haare richtig auf. Ein Sidecut mit schulterlangen blonden Haaren und einem türkisen Ombré. Ihr Ansatz haut nochmal drauf, denn der ist braun. Schräge Kombination.

"Nimm's doch nicht gleich so Ernst." Sie schlägt mir auf den Oberarm und wirft beim Lachen ihren Kopf in den Nacken. Ihre Lache ist zugegeben ziemlich einmalig, aber dass sie mir ständig auf den Arm holzt, fuckt mich ab. Sie lässt sich von meinem kühlen Blick überhaupt nicht einschüchtern, weshalb ich so nett bin und ihre Lache in Ruhe ausklingen lasse.

"Komm erstmal mit zu Leo." Entgegnet sie rasch und geht los. Ohne groß nachzudenken, folge ich ihr einfach. Ist doch alles scheiß egal. Wo ist eigentlich der kleine Gnom von ihr?

Sie trägt eine ausgeschabte Hotpants und ein weites bauchfreies Top. Sie hat einen braunen Teint auf ihrer Haut und läuft auf abgenutzten Vans. Eindeutiger Hipster.

Irgendwann biegt sie in eine Garage ein, aus der mehrere Stimmen kommen. Was, wenn die Menschen alle total schäbig sind? Ich hab schon verstanden, dass dieses Dorf hier absoluter Schund ist. Ich brauche keine Leute, die mir das nochmal persönlich unter die Nase reiben wollen.

"Mila!", brüllt einer, als wäre sie nach mehreren Jahren wieder aufgetaucht.

Wie herzlich.

Ich presse meine Kiefer zusammen, weiß jetzt erst recht, dass ich keine Lust habe und bin kurz davor umzukehren. Ich stecke meine Hände in die Hosentaschen und schaue mich im Raum um.

Alkohol, Shisha, Alkohol. Ähnelt meinem Zuhause.

Ich werde von einem Schlag auf meinen Hintern aus meinen Gedanken gerissen.

"Der schlägt jedem auf den Arsch. Ignorier's einfach.", entgegnet das Weib mit markanter Stimme. Sie knackt mit ihren Fingern und streicht sich über die Haare. Ich muss hier weg.

"Wen haben wir denn hier?", grinst derjenige interessiert und ich schaue ihn schräg an. Ist der schwul? Er ist auf meiner Augenhöhe und damit ziemlich groß. Sein aschblonder Undercut ist zu einem Männerdutt zusammengebunden und seine dunkelgrünen Augen funkeln mich an.

"Is' Bill.", antwortet Mila für mich mit 'nem Glimmstängel zwischen den Lippen.

"Also, Bill. Neu hier?", fragt der Schwule und betont dabei mit Absicht meinen Namen.

"Ja.", gebe ich monoton von mir und schaue mich weiter um. Es ertönt laute Musik und wird schlagartig stillgelegt. Die Menge dreht sich um. Ein Schwarzer steht an der Musikanlage und ignoriert unsere Blicke, sondern hantiert weiter herum. Seine gelbe Boxershorts lacht uns entgegen.

"Alex, wir haben 'nen Neuen.", bemerkt der Schwule und Alex hebt nur die mit Ringen geschmückte Hand.

"Wo ist eigentlich Marcel?", fragt die mit der markanten Stimme und streicht wieder ihre Haare glatt.

"Sollte gleich kommen.", antwortet der Schwule.

Ich seufze ungeduldig. Zu viele Menschen. Was zum Teufel tue ich mir hier eigentlich an?

"Übrigens, ich bin Leo. Das ist Amanda-", er deutet auf die Kleine, die darauf wieder ihre Finger sprengt, "-und das da hinten ist Alex." Dieser streicht die Hände an seinem gelben Sweatshirt ab und kommt auf uns zu.

"Ein Neuankömmling?", fragt er und lächelt. Sein Akzent nervt mich jetzt schon.

"Einen guten Start hier.", sagt er und reicht mir die Hand. Kritisch mustere ich ihn und strecke zögernd meine Hand entgegen.

"Sei nicht so'n Schisser. Die beißen schon nicht.", lacht Mila und ich lächle bloß süffisant.

"Vorallem dieser Poetiker. Handzahm wie ein toter Kater.", sagt Alina. Nein, Line. Lana? Ach, leck mich.

"Hey, Marcel!", brüllt Mila und alle drehen sich in die Richtung an die sie sich widmet. Ein mit Beanie besetzter Typ läuft mit breitem Schritt an. Ohne Schuhe.

"Dieser Spast.", bemerkt der Schwule murmelnd. Lukas oder sowas. Fickt euch doch mit euren dämlichen Namen. Ganz ehrlich.

Seh' ich nicht ein.

Zuerst war ich davon überzeugt, dass der Typ eine Glatze hat, aber als er näher kommt, sehe ich sein kurzes blondes Haar. Er begrüßt den Schwulen mit einem Handschlag und sein Blick fällt sofort auf mich. Er zeigt mit nacktem Finger auf mich und schaut die anderen fragend an.

Ich breche dir gleich deinen bescheuerten Finger.

"Bill.", antwortet der Schwule und Mario senkt den Finger langsam.

"Achso, unsere Rechnung?", erwidert er und alle lachen.

Ich hau' dich. Unsanft. So, dass du einpennst. Idiot.

"Lasst den mal, Leute. Der sieht schon voll mitgenommen aus.", spricht der Schwarze. Ach, und jetzt Mitleid? Zum Kotzen.

Ich muss abziehen.

"Er kommt mit zum Open Air, da wird er uns schon kennenlernen.", zwinkert Mila und mir wird schlecht. Sie entscheidet also schon für mich, ja?

"Nee.", brumme ich genervt und schenke ihr einen gehässigen Blick.

"Doch, Alter. Zieh' bisschen mit uns.", sagt der Barfüßige und klopft mir auf die Schulter.

Ziehen? Interessant.

Nerv' nich' || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt