Kapitel 4

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Die Straßen in der späten Nacht sind kahl und die Temperatur sinkt. Ich ziehe meine Ärmel lang und schleife mir die Kapuze über den Kopf, um dem Nacken die Kälte zu ersparen. Einige Laternen flackern oder leuchten gar nicht mehr, aber es stört niemanden. Der Boden ist an einigen Stellen immer noch nass und auch der Geruch erzählt noch vom Regen des vorherigen Nachmittags.

"Bist du alleine hierher gezogen?", fragt Caro und beobachtet ihre Beine beim Laufen. Ich gähne und sehe eine dunkle Katze über die Straße schleichen. Langsam schüttle ich den Kopf.

"Mit meiner Mutter."

Sie hebt verständnisvoll den Kopf an und steckt dann ihre Hände in die Jackentasche. Die schwarze Katze läuft direkt neben uns vorbei und Mila quiekt vor Vergnügen auf.

"Hast du Haustiere?", kommt es wieder von Caro. Kann die sich nicht wieder zu den anderen vordrängeln? Ich ersticke gleich vor Humanität.

"Nö." Sie nimmt sich eine Strähne ihrer langen Haare in die Hand.

"Warum?"

Ich spucke auf den Boden und verdrehe die Augen.

Ist ja alles schön und gut, aber verpiss' dich einfach.

"Weil die ganzen Viecher nerven.", antworte ich knapp.

In der Garage bei Leo angekommen macht Marcel die Lavalampen neben den Bongs an und Amanda schmeißt sich seufzend auf die kleine Couch. Leiser Indie-Rock ertönt aus den Boxen, die Leo anschließt, und ich geh auf den Kasten Bier zu.

"Bedient euch Leute.", prahlt Leo gastfreundlich und zieht seine Stoffjacke aus. Ich nehme den ersten Schluck und genieße den Nachgeschmack. Ein Rülpser entfährt mir, während der Rest sich verzweifelt auf die Couch quetscht.

"Leo, du brauchst eine zweite Couch. Wir werden langsam immer fetter.", entgegnet Alex und bricht sich seinen Arsch zwischen Mila und Amanda.

"Mann, Alex, dein Hintern ist zu fett.", zischt Mila und Alex lacht.

"Ich will zwischen euch sitzen.", feixt er und schaut zu Leo rüber, der ganz am Rand der Couch sitzt. "Leo, rutsch' mal. Oder verpiss' dich."

"Halt die Klappe!", raunt dieser und macht es sich bequem. "Nehmt euch lieber Bill als Vorbild und stellt euch hin."

Genervt seufzt Alex und stellt sich neben mich. "Idioten.", brummt er angepisst und reißt mir die Flasche aus der Hand.

Dachschaden?

"Alles Idioten. Jeder einzelne von euch." Er fährt mit seinem Finger über die Reihe und nimmt sich dann ein Schluck meines Biers.

Ohne Scheiß. Geht's noch?

"Sorry, Mann.", murmelt er dann und streckt mir die Flasche entgegen. "Aber diese Menschen da machen mir echt das Leben schwer."

"Behalt's."

Ich greife nach der nächsten Flasche und öffne diese.

"Und jetzt?", fragt Marcel, zieht kurz seine Mütze aus, streicht sich über die Haare und schaut in die Runde.

"Spiele spielen.", strahlt Amanda und hebt grinsend die Hand. Keiner antwortet.

"Echt jetzt?", entgegnet Alex neben mir.

Sie lehnt sich genervt wieder zurück und verdreht die Augen. "Assis."

Caro nimmt sich eine Strähne zwischen die Lippen und starrt auf den Tisch. "Ich fand die Idee nicht einmal so schlecht.", murmelt sie.

Leo lacht verkniffen und beugt sich nach vorne. "Und was wollen wir spielen? Verstecken? Topfschlagen? Die Reise nach Jerusalem?"

"Flaschendrehen.", schlägt Marcel vor und ich werde wieder unruhig.

Spiele? Jetzt im Ernst?

"Nee, auf Flaschendrehen hab ich kein Bock.", meint Mila und denkt weiter nach.

Amanda atmet rasch auf und klopft sich schnell auf die Oberschenkel. "Kennt ihr diese aufgegeilte Version von 'Armer schwarzer Kater'? Das müssen wir unbedingt spielen."

Ich muss abhauen. Spielen? Wo führt uns das denn bitte hin? Ich bin 18 und keine 3.

Nein. Einfach nur nein.

"Wie geht das?", fragt Mila und sie murmeln untereinander, während der Rest sich auch austauscht. Mehrere Spielvorschläge fliegen um die Luft, bis Leo missmutig seufzt und aufsteht.

"Leute, eigentlich hab ich gar keine Lust auf Spiele.", sagt er deutlich und der Rest gibt auf.

Na endlich. Zumindest ein klar Denkender.

"Ich hab da eine bessere Idee.", murmelt er grinsend und holt eine kleine Tüte aus seiner Hosentasche. Er wedelt vorsichtig damit rum und zückt die Augenbrauen hoch.

"Viel besser.", zwinkert Alex und kommt näher an den Tisch.

"Oh nö. Kein Bock auf Koks.", grummelt Mila und Amanda stimmt ihr zu. "Lieber 'nen Joint." Beide laufen auf den Schrank zu, der in der Ecke des Raumes steht und holen sich eine schwarze Kiste. Sie drehen sich jeweils auf dem Tisch einen Joint, während ich sie dabei beobachte.

Ja, ich will.

Skeptisch bleibe ich stehen und zögere. Ich drehe mich um und blicke auf die halboffene Garagentür.

"Hey, Mann." Ein leichter Schlag auf meinen Arsch folgt. Leo tritt schief grinsend vor mich und erkennt meine Zweifel.

"Bleib locker. Wir machen das schon immer. Es juckt hier keinen.", meint er und legt beide Hände auf meine Schultern. Sein Blick fällt fest auf meinen.

Okay.

"Keine Sorge."

Mein Blick sinkt resigniert und ich nicke langsam. Was bin ich denn für eine Pussy, wenn ich jetzt nachgeben würde?

Ohne Scheiß.

"Also." Er haut mir ein letztes Mal auf den Oberarm und meine Kapuze rutscht vom Kopf. "Hau rein."

Sobald das Zeug durch ist, spüre ich den Druck über meiner Brust und das taube Gefühl in meinem Mund. Ich werfe meinen Kopf in den Nacken und atme tief durch.

Ich lalle und atme langsam. Mich überfällt der Drang der Kommunikation und Leo ist ständig am Lachen. Ich richte mich wieder auf.

Alex watschelt quer durch den Raum und redet irgendwas auf seiner Muttersprache.

"Die Sonne. Die Sonne läuft, Leute.", brummt Marcel und lacht. Tränen rinnen ihm über die Wangen, aber sein Lachen bleibt stumm.

"Deine Mutter läuft.", kontert Leo und lacht im Gegensatz zu Marcel lauthals los.

"Deine Mutter hat 'ne Mutter.", kommt es von mir und ich verziehe mein Gesicht und stimme seinem Vergnügen mit ein. Leo kommt auf mich zu und schlingt den Arm um mich.

"Du bist so geil, Bro.", sagt er. "So geil."

Die orangen Punkte laufen mir über mein Sichtfeld und mich überströmt das Glücksgefühl.

Ich sehe Caro an ihrem Handy und sie schweigt. Die Beine überkreuzt.

War die schon immer so sexy?

Ich will gerade etwas sagen, aber Leos Beine geben nach und er zieht mich mit. Im nächsten Augenblick liegt er auf mir und lacht wieder. Ich lege den Kopf auf meine Handflächen und mein Bauch wippt auf und ab.

Das ist abgefuckt geiler Wahnsinn.

"Schwulensex!", ruft Alex.

Die Garagentür quietscht, aber das ist mir egal. Stattdessen greife ich vergeblich nach meinen Punkten vor den Augen, die immer größer werden. Der Fang scheint unerreichbar zu sein.

"Hey.", lächelt Caro und geht auf diesen hässlichen Typen zu, der soeben in den Raum stapft.

Idiot. Wer zum Fick ist das?

Sie gibt ihm einen Kuss auf die Wange.

"Was für'n Judenopfer.", schießt es aus mir heraus. Ich bin doch echt genial. Besser hätte ich sein Auftreten nicht ausdrücken können.

Eine Eins mit Sternchen für Bill.

Nerv' nich' || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt