Ich drehe mich um und gehe. Meine Hand umschließt die eben gekaufte Schachtel Zigaretten immer fester und ich ignoriere ihren immer lauter werdenden Ruf nach mir.
Hau' ab, Mädchen.
"Bill, warte mal!"
Schließlich holt sie mich ein und ich kneife für einen Moment die Augen zu, ehe ich mich zu ihr drehe. Ich versuche bloß zu lächeln.
"Tut mir leid wegen gestern.", spricht sie außer Atem und streicht ihr langes Haar zurück. Ihr Brustkorb bewegt sich stark auf und ab und sie stützt ihre Hände auf den Knien ab. Ihre lockere Hose rutscht ihr unter ihre Beckenknochen runter und ihr enges Top zieht sie hastig über ihren nackten Bauchbereich.
Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass sie mir die Nerven regelrecht strapaziert und grinse nur breiter.
"Schon okay."
Obwohl ich gar keine Ahnung davon habe, wovon sie redet. Sie senkt ihren Blick und legt die Hände auf ihr Gesicht. "Das war alles so scheiße. Ich meine, ja, mein Bruder ist total gegen Drogen, aber normalerweise hält er sich davon raus. Ich habe keine Ahnung, was das gestern war."
Und ich habe keine Ahnung wovon du redest.
Sie nimmt die Hände von ihrem Gesicht und schaut mich unschuldig an. Mein Grinsen schmilzt langsam davon, als mir keine Antwort einfällt und ich mich fast umdrehen will. Ihr scheint die Stille unangenehm zu werden und sie lacht kurz unsicher auf.
"Ja, wie gesagt.", setze ich nochmal an und trete schon einen Schritt zurück. "Ist alles halb so schlimm."
Flüchtig drehe ich mich um und gehe davon.
"Warte!"
Nein, fuck. Mann, lass mich. Bitte.
"Bill."
Ich ramme mir die Zähne in die Innenseite meiner Backen und drehe mich zurück. Sie knetet ihre Hände, und ihre Augen haften überall, nur nicht an mir.
"Hast du noch was vor? Wir könnten zu mir gehen, es ist keiner zu Hause."
Mädchen, bitte.
Jetzt schnappt sie sich die Gelegenheit und huscht mit ihrem Blick kurz über meine Augen. Ich bleibe ehrlich und lege wieder die angezündete Zigarette an die Lippen.
Zuerst dachte ich ihr sagen zu können, dass ich nicht kann, weil meine Mutter auf mich wartet. Schließlich stellt sich heraus, dass es ziemlich schwul klingen würde. Dann dachte ich sie damit anzulügen, dass ich mich mit fremden Menschen nicht so gerne treffe. Aber das macht mich zum absoluten Opfer. Ich suche etwas Cooleres und fahre mir während dem Nachdenken über die Haare, was sich später als dumm offenbart, da ich gegen einen Haarknoten stoße.
"Ich steh' nicht so auf One-Night-Stands, aber danke."
Stolz schnaube ich auf und bin wieder dabei zu gehen, als sie mich voreilig an die Schulter fasst.
"Halt! Nein."
Ach, komm schon.
"Ich hatte nur überlegt. Na ja, du bist neu hier und kennst so gut wie niemanden. Ich kann dir auch später die Stadt zeigen." Sie nimmt sich eine Haarsträhne und spielt mit ihr herum. Ihr Blick ruht diesmal charismatisch auf mir und ich nehme die Zigarette aus dem Mund. Ich bin zu faul um mir eine nächste gute schlagfertige Ausrede zu überlegen und seufze leise in mich hinein.
Ich hasse mein Leben.
"Ja, von mir aus."
Ein Grinsen malt sich auf ihr schmales Gesicht. Mir entfährt beinahe ein entsetztes Schreien, als sie sich in eine dünne Haarsträhne knabbert und ihre Augen entzückt schließt.
Was zur Hölle, läuft mit diesem Kind nicht richtig?
Sie läuft vor mir her und ich folge ihr. Ich halte einen Sicherheitsabstand von geschätzten 3 Metern, falls mich jemand sehen würde. Wir betreten ihren kleinen Vorgarten und sie tritt leicht hüpfend in die offene Tür. Noch davor ist sie mir dauernd hinterhergelaufen und hatte die Tür nicht einmal zu? Sehr riskant.
Der Größe der Villa und der gestapelten Fenster nach zu urteilen, hat das Gebäude drei Etagen und die Wand ist in Rot- und Weißtönen gehalten. Neben dem Haus steht ein geöffneter Zaun, der vermutlich zur Terrasse führen soll. Mir wird flau im Magen und ich spucke die fertige Zigarette auf den perfekten grünen Rasen. Fast hebe ich es aus schlechtem Gewissen wieder auf, aber dann ruft mich Caro zu sich.
Ich gehe durch die Tür und trete gleich in das schlicht gehaltene Beige des Flures. Es ist unheimlich, wie sauber es ist und wie sehr es nach Reinigungsmittel riecht.
"Dort kannst du die Schuhe ausziehen.", erwähnt Caro und nickt in die gemeinte Richtung. Ich sehe einige Schuhpaare und geselle meine zögerlich dazu. Will ich das wirklich durchziehen?
Eine Wand mit einer hölzernen dunklen Tür trennt den Flur vom Wohnbereich. Caro gibt eine Zahlreihe auf dem Zahlenbrett ein, dass direkt neben der Tür hängt und mit einem leisen Piepen öffnet sich die Tür. Ich muss fast heulen, als ich den riesigen Fernseher, die kolossale Couch und die Musikanlage sehe. Alles glänzt mir entgegen und ich kriege Angst davor mit meinen dreckigen Socken irgendwas zu beschädigen.
Die Möbel halten sich immer noch in schlichtem Beige. Hier und da schimmert was in weiß oder glänzt in elegantem Schwarz, aber alles scheint aufeinander abgestimmt. Zentimeter auf Zentimeter. Staubkorn für Staubkorn.
"Du spinnst.", ist das einzige was ich herauskeuche und ich schürze ungläubig meine Lippen.
Warum sind diese Leute hier im Dorf nur so stinkreich? Das ist doch unfair. Vor 2 Jahren in Köln, bei Julian zum Beispiel, da hätte man meinen können, dass die Menschen im Mittelalter stecken geblieben sind, so alt wie es dort aussah.
"Ich bin froh, dass es dir gefällt.", murmelt Caro und lächelt. Sie stapft in den nächsten Raum, der von einer langen Theke abgegrenzt wird. Die Küche. Die verschiedenen Gläser sieht man durch die transparenten Wandschränke und auch hier ist alles wie stundenlang poliert worden.
"Hast du Durst? Oder Hunger?", fragt sie und füllt bereits ein Glas mit Wasser.
"Habt ihr ein Bier?"
Sie hält kurz Inne und schraubt dann langsam die Wasserflasche wieder zu. Sie sieht verwirrt aus und ihr scheint etwas unangenehm zu werden. Sie reicht mir das Glas Wasser.
"Ich darf es nicht nehmen. Ich bin keine 18. Es gehört meinem Bruder und meinem Vater."
Ah, okay. Nicht okay.
Na toll. Jetzt sag bitte nicht, dass sie strenge Eltern hat, das versaut alles. Hier könnte man so gut feiern, so gut ziehen und nochmal feiern. Ich nehme trotzdem das Wasser und trinke langsam davon. Sie wartet leise und schaut auf die Terrasse, die von einer Glaswand aufgetrennt ist.
Ich stelle das leere Glas auf den Tisch und kann es immer noch nicht fassen. Sie ist eine verdammte Bonze. Ich war noch nie in sowas Krankem drin. Das grenzt doch an Wahnsinn.
"Lass uns auf die Couch setzen.", schlägt Caro vor und läuft schon davon. Wieder nimmt sie sich eine Haarsträhne zwischen die Lippen und wartet auf mich, bis ich angewatschelt komme.
"Das ist echt krank.", schießt es mir heraus und ich habe mich immer noch nicht sattgesehen.
"Meine Eltern arbeiten in Berlin. Sie sind Manager bei der Lufthansa.", sagt sie und zuckt lächelnd mit den Schultern.
Die sind doch echt alle Psychos hier.
DU LIEST GERADE
Nerv' nich' || #Wattys2015
HumorAndere würden mit Respekt handeln. Andere würden freundlich lächeln und nicken. Andere würden. Andere würden. Andere würden. Weißt du denn, was die Anderen wirklich tun würden? Na also. Nerv' nich'.