Kapitel 8

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"Bei der Lufthansa?", wiederhole ich ungläubig ihre Worte. Sie nickt und wechselt ihre Sitzposition zu einem bequemen Schneidersitz.

"Die sind gerade auf Geschäftsreise. Das ist so typisch. Wir sind fast jedes Wochenende alleine zu Hause.", erklärt sie und folgt meinen Blicken. Auf der Wand hinter der Couch sind einige Familienbilder zusehen. Darunter ganz deutlich immer wieder Caro und ein älterer Junge. Immer irgendwo auf einer Wiese. Irgendwo unter Menschen und immer am Lachen.

"Also wegen gestern nochmal.", setzt sie wieder an und ich könnte mir innerlich ein Messer in die Brust rammen.

Komm schon, Mädchen, muss das sein?

"Tom hat es bestimmt nicht so gemeint. Aber er übernimmt in Wochenenden immer die Verantwortung und der hat ohnehin schon bisschen was gegen uns're Clique. Na ja, und als er dich dann gesehen hat, ist ihm die Sicherung durchgebrannt." Sie erzählt das beinahe so, als wäre das ganze halb so schlimm. Trotzdem sieht man es ihr an, dass sie vor Scham am liebsten heulen und im Erdboden versinken würde.

"Okay, mag sein, dass das kacke kommt.", murmle ich vorsichtig. "Aber ich hab ehrlich gesagt, keine Ahnung mehr, was gestern war und wer Tom ist."

Ich bin echt ein Lauch.

"Oh.", sie lacht kurz und nimmt sich wieder eine Strähne. Ihr Top rutscht ihr wieder langsam hoch, aber dieses Mal stört es sie nicht.

"Also hast du gestern mitgekriegt, dass mein Bruder mich abgeholt hat? So ein Großer mit Dutt und Bart.", fängt sie an und gestikuliert dabei mit ihren Händen über ihrem Gesicht herum. Ich kräusle die Augenbrauen und starre auf die Musikanlage.

"Nein, irgendwie nicht."

"Na egal. Jedenfalls ist das mein Bruder."

Ah, okay. Also doch nicht ihr Freund.

"Und du hast ihn als Judenopfer beleidigt und dann hat er mich gefragt, warum ich mich mit Typen wie dir abgebe. Später habe ich mich in sein Auto gesetzt und du wolltest nicht, dass ich gehe. Nun ja, dann hat Tom auch angefangen dich zu beleidigen. Er hat dir sowas wie Junkie hinterher gerufen. Idiot und das ganze Zeug.", erzählt sie langsam und ihre letzten Sätze werden immer zurückhaltender und immer unangenehmer für sie.

Mir entwich ein Grinsen.

Okay, das war lustig.

"Das war's?", hake ich nach und sie nickt. Sie beißt sich auf die Lippen und so ein Zeug. Das geht ja schon so weit, dass es so aussieht, als wölle sie sich vor Pein gleich in die Hosen machen, aber ich beginne einfach nur zu lachen. Zuerst schaut sie nur, aber versucht dann doch mit einzustimmen.

"Das ist echt kein Problem, Caro. Schon vergessen.", feixe ich unberührt und muss immer noch grinsen. Das ist alles so harmlos. Ich werde geschlagen und krankenhausreif verprügelt. Da sind die Beleidigungen dagegen nichts als Dünnschiss.

Die Tür piept und geht mit einem Knacksen auf. Eine Hand erscheint aus der Tür und platziert einige Einkaufstüten an der Wand.

"Caro, sortier' die Sachen bitte in den Kühlschrank.", ruft eine männliche Stimme und Caro zischt erschüttert durch den Mund und zieht Augenbrauen und Schultern betreten hoch.

"Upps."

Ein Junge meines Alters tritt in das Wohnzimmer und bleibt entgeistert stehen, als er mich sieht. Seine Klamotten sind gepflegt, seine Haare sind sorgfältig zu einem hohen Dutt zusammengebunden, als hätte jedes einzelne Haar ihren eigenen Friseur. Seine vollen Lippen öffnen sich vorsichtig und er stellt die Tüten ab.

"Caro, was soll das?", fragt er kühl. Er klingt strikt, wie ein Vater. Aber für den Vater ist er eindeutig zu jung. Das ist wohl der Kautz, von dem Caro gesprochen hat.

"Tom, ich wollte ihn kennenlernen und dir beweisen-"

"Mir was beweisen?", unterbricht er sie und gibt ihr einen kurzen Augenblick um nochmal genau darüber nachzudenken, was sie sagen möchte. Sie zögert zuerst, schaut auf ihre Finger, die sie wieder knetet, aber steht dann vom Sofa auf.

"Ich wollte dir beweisen, dass er vollkommen in Ordnung ist. Die Sache von gestern war ein Missverständnis.", entgegnet sie und stellt sich vor mich. Wow, ich werde verteidigt. Sowas muss man erstmal hinbekommen. Gar nicht so offensichtlich.

"Also eigentlich kann ich auch gehen.", murmle ich gelassen.

"Ja.", kommt es von Tom.

"Nein!", ruft Caro und dreht sich zu mir um. "Du bleibst hier sitzen!"

Ich hebe schützend die Hände neben meinen Kopf. Fast schon so als wölle sie mich erschießen und rege mich nicht. Die soll mal runterkommen, meine Fresse.

"Caro. Papa hätte ihn bestimmt nicht hier sitzen lassen. Er ist ein Drogenabhängiger.", versucht Tom es kühl und ich sehe wie er seine Kiefer aneinanderpresst, als ich über Caros Schulter spähe. Selbst durch sein Hemd spüre ich bis hierher jede angespannte Muskelfaser dahinter. Ich senke wieder meine Hände und bereite mich auf jeglichen Zuschlag vor. Es kann jeden Moment passieren.

"Na und, Tom?"

"Ich bin auch nur ein Mensch.", mische ich mich bisher noch ziemlich gelassen ein und Caro tritt ein wenig weg um Tom und mir nicht im Blickfeld zu stehen. Seine hässlichen Augen bohren sich über die ganzen 2 Meter hinweg direkt in meine. Er ballt seine Hände zu Fäusten und ich sitze einfach. Am besten ist vielleicht wohl doch lieber cool bleiben, sonst darf ich mir für den Rest meines Lebens die Tränensäcke meine Mutter angucken. Wie ekelhaft wäre das denn? Irgendwann, wenn sie alt ist und sich irgendein Hirnloser aus dem Pflegeheim um sie sorgt, wird sie diese hässlichen Ringe unter ihren Augen hängen haben, die mir den Appetit verderben.

"Du willst mich doch echt provozieren, oder?", brummt er und schaut mich immer noch kalt an.

Okay. Was will der Typ eigentlich von mir?

"Hör auf.", sagt er.

"Hä? Chill, ich mach doch gar nichts."

"Halt den Mund!", keift er mich an und geht auf mich zu. Erst soll ich ihn nicht mit dem Schweigen provozieren und dann darf ich den Mund halten? Was ein Spinner. Ich stehe auf und will gehen. Das ganze wird mir zu blöd.

"Wo willst du hin?" Er baut sich vor mir auf und ich mustere ihn. Auf seinen regungslosen Lippen funkeln mich seine zwei gereihten Labrets genauso bitter an und ich keuche lachend auf. Er hält sich wohl für jemanden ganz Braven, aber hat trotzdem Metallringe auf der Schnauze hängen.

Lächerlich.

Mein Lachen ist leise. Ich schaue ihm direkt in die Augen und verspotte ihn.

Abrupt schließe ich die Augen und lege die Hände über die Nase auf die er dann zugeschlagen hatte. Schmerz gefolgt von Adrenalin strömt durch meinen Körper und ich rappele mich auf.

"Tom!", schreit Caro und geht auf ihn zu. Auf meinen Händen glänzt dunkelrotes Blut und ich bilde sie zu Fäusten.

Dieses abgefuckte Arschloch!

Ich hole aus, doch Caro hält mich geschickt am Unterarm fest.

"Lasst die Scheiße!", brüllt sie. Und diesmal grinst Tom belustigt und geht, nachdem er die Tüten wieder in die Hände genommen hat, in die Küche um diese zu verstauen. Ich spucke noch in seine Richtung und mein Blut tröpfelt auf mein weißes Shirt. Einige Tropfen hatten den hellen Teppichrand getroffen und Caro und ich schauen beide dabei zu, wie es beginnt zu trocknen.

Ich will mich beinahe entschuldigen. Sie öffnet den Mund um etwas zu sagen, aber ich gehe.

"Bill, warte mal!", ruft sie. Ich schenke ihr meinen Mittelfinger, ohne mich nochmal zu ihr umzudrehen und mach die Tür hinter mir zu.

Was für Freaks.

Nerv' nich' || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt