Mein Wecker riss mich aus meinem unruhigen Schlaf, sofern man es auch nur im Geringsten schlaf nennen konnte. Ich verbrachte die ganze Nacht damit, mich mühsam im Bett hin und her zu wälzen in der Hoffnung, mit der nächsten Bewegung endlich meine Gedanken an Miss Harper aus meinem Kopf loszuwerden. Vergeblich. Völlig fertig rieb ich mir meine müden Augen und tippte auf die 'schlummern' Taste, um dem grellen Geklingel meines Weckers zu entfliehen. Verdammt, ich konnte mich nicht einmal aufsetzen, so müde war ich. Also lag ich dort nun, in meinem Bett. Starrte, mit einem Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit, an die kahle Decke meines Zimmers. Gequält von allen Gefühlen und Ereignissen der letzten Tage und diesen grünbraunen Augen, die mich so sanft ansahen, wie es bisher noch nie einer tat. So konnte es nicht weitergehen. Ich brauchte Abstand, und zwar jetzt. Diese Frau machte etwas mit mir, auf das ich längst keinen Einfluss mehr hatte. Sie ließ mich etwas fühlen, dass ich auf diese Weise nicht kannte und das jagte mir eine Heidenangst ein. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Ein Seufzen entwich mir und ich rieb mir angestrengt meine Schläfen. Es war unmöglich, nein, völlig ausgeschlossen, dass ich heute zur Schule gehen konnte. Ich konnte sie nach gestern nicht wiedersehen aus Angst, dass mein Herz bald vollständig in tausend Teile zerbrechen würde. Dabei sah ich erneut auf mein Handy, um auf die Uhrzeit zu sehen, die mir verriet, dass ich noch etwa eine Stunde Zeit hatte mich aufzuraffen, falls ich nicht zu spät kommen wollte. Allerdings lenkte eine Benachrichtigung mich schnell von dem Fakt ab, aufstehen zu müssen. Miss Harper hatte auf meine Nachricht regiert. Sofort spürte ich wie mein Herz begann schneller zu schlagen und mir heiß und kalt zugleich wurde. Die Augen fixiert auf dem grellen Bildschirm in meiner Hand starrte ich das Benachrichtigungssymbol mit ihrem Namen darauf an. Gerade wollte ich auf die Nachricht drücken, um sie zu öffnen, doch mein Körper stoppte von selbst, kurz über dem Bildschirm. Meine Hand zitterte und mein Finger, der gerade so einen Millimeter über der Nachricht schwebte, bevor ich sie anklicken konnte. Ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Verdammt, reiß dich zusammen, Lilith, es ist nur eine verdammte Nachricht, schoss es mir durch den Kopf. Also atmete ich noch einmal tief durch, ehe ich es endlich schaffte, sie zu öffnen und zu lesen begann. "Guten morgen Lilith, du musst dich bei mir nicht bedanken, wirklich nicht. Im Gegenteil, ich bin dir wohl eine Entschuldigung schuldig. Ich hoffe, dir geht es inzwischen besser und dass du ein wenig schlafen konntest. Bleib doch bitte heute nach dem Unterricht noch kurz da ich würde gerne etwas mit dir besprechen. Bis dahin, pass bitte auf dich auf und melde dich gerne, wenn irgendetwas ist okay?" Ich las ihre Nachricht sicher fünf oder sechs Mal, wenn nicht sogar öfter. Immer wieder klebten meine Augen an den Wörtern, die meinen Bildschirm zierten und noch mehr die Vorstellung in meinem Kopf, wie sie das wohl sagen würde. Wie sie dabei aussehen und klingen würde. Meine Augen weiteten sich, was bitte dachte ich da? Warum sollte mich das interessieren und noch viel mehr, warum habe ich es so bildlich, direkt vor meinem inneren Auge. Wieso nahm diese Fremde, so verdammt viel Platz in meinem Kopf ein? Resigniert vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen, ich hätte die Nachricht nicht lesen sollen. Trotz allem war es auch beruhigend von ihr zu lesen. Sie hätte die Nachricht schließlich auch ignorieren können, doch tat sie es nicht. Ein kleines, verzweifeltes Lächeln lag auf meinen Lippen. Vielleicht drehte ich nun doch völlig durch. Wieder entwich mir ein kraftloses Seufzen, ehe ich die Nummer, der Schule wählte und mich für den heutigen Tag krankmeldete. Die Schule läuft nun seit einer Woche und direkt melde ich mich krank, ein wundervoller Start in das neue Jahr. Nachdem ich mein Handy wieder beiseite gelegt hatte, zog ich meine Beine nah an meinen Körper heran und umschlang sie mit meinen Armen in der Hoffnung so ein wenig das Gefühl von Halt zu verspüren. Vergeblich. Ich spürte wie sich heiße Tränen in meinen Augen bildeten und sich meine Wangen nach und nach herunter bahnten. Auf die eine folgte eine andere, darauf die nächste und die nächste, bis ich bitterlich begann zu weinen. Ich war vollkommen überfordert sowohl mit der Situation wie vor allem mit meinen Gefühlen. Die Erinnerungen an den Unfall steckten tief. Die Geräusche, Gerüche und der Anblick daran. Emilia hatte mich mit ihrem Geständnis gestern, ohne es zu wissen, erneut in die Flashbacks geschickt. Immer wieder spielte sich der Unfall vor meinen Augen ab, doch vor allem der Moment, als ich aus dem Auto gezogen wurde und die blutige Hand von Jay aus meiner glitt. Wie er mir noch einmal zulächelte, um mich zu beruhigen, doch sah ich seine Angst deutlich in seinen Augen. Ich konnte in seinen blauen Augen sehen, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits wusste, dass es das letzte Mal sei, an dem wir uns sehen. Es war ein Lächeln zum Abschied, in dem er mir sagen wollte, dass es okay sei und doch, waren sie so voll von Angst. Ich habe deine Angst gesehen und du wusstest es, dennoch hast du dich dazu entschieden mir ein letztes Mal zuzulächeln. Dieses verdammte Lächeln, es fehlte mir. Es fehlte mir so verdammt sehr. Wieder konnte ich spüren, wie sich Risse in meinem Herzen bildeten und es drohte darunter zu zerreißen. Ein Schmerz, der mir die Luft zum Atmen nahm. Panik machte sich in mir breit und so kauerte ich mich erst recht, noch mehr, in mir selbst zusammen. Ich weiß nicht, wie lange ich so in meinem Bett saß, doch sicherlich vergingen Stunden und erst das Klingeln der Haustüre riss mich aus diesem Trauerspiel. Zuerst nahm ich es nur leise und dumpf wahr, unsicher, ob ich es mir nicht einbildete. Doch es klingelte erneut. Ich befreite mich aus meiner eingekauerten Position und starrte stumm, einen Moment auf meine Hände. Erneut klingelte es. Also wischte ich mir die letzten Tränen aus meinen roten und völlig verweinten Augen, bevor ich mich mühsam aus dem Bett schleppte und mich mit letzter Kraft, zur Türe schleppte. Ich öffnete sie und erneut weiteten sich meine Augen. Das konnte nicht wahr sein.
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Deine warme Stimme, im kalten Winter
RomanceIhr Lächeln verblasste und ihre Augen verloren erneut das glitzern, das ich so darin liebte. Eine unruhige Stille schlich sich zwischen uns, ehe sie mich sanft fragte; "Ist es nicht unfassbar ermüdend, ständig stark zu sein?" Stumm sah ich sie an, s...