Kapitel: 6

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Ihre Augen weiteten sich und für den Bruchteil einer Sekunde, hatte sie sich meiner Hand entgegen gelehnt, bevor sie einen Schritt, nach hinten setzte, um sich ihre Tränen selbst abwischte und sich räusperte. Anscheinend rang sie mit sich selbst, ihre Fassung wiederzugewinnen. Ruhig stand ich vor ihr und gab ihr die Zeit, wobei ich den Kopf etwas schief legte, sowohl fragend, ob es nun wieder ging, als auch unsicher, wie ich mit der Situation umgehen sollte, schließlich weinte die eigene Lehrerin nicht jeden Tag vor einem. Nachdem sie sich wieder gefasst hatte und nur ein leichtes Rot in ihren Augen wie auf ihrer Nase zurückgeblieben war, sah sie mich wieder an. "Tut mir leid für." Ein Zögern. "Das hier gerade. Ich sollte mich professioneller verhalten und nicht vor einer Schülerin weinen." Aus irgendeinem Grund, tat diese Aussage wirklich weh. Unbewusst, fasste ich mir ans Herz, als könnte es sonst herausfallen. "Schon okay, jeder hat doch mal einen schwachen Moment." Es erschrak mich selbst, wie kalt diese Antwort klang. Auch Miss Harper weitete die Augen überrascht, doch versuchte sich, nichts anmerken zu lassen. Diese ganze Situation, war doch vollkommen irre. Zuerst, ist sie die sanfte Lehrerin, die für jeden da ist, dann ist sie wie ein autoritärer Sturm, unter dem jeder zusammenbricht, ehe sie zu einem verletzlichem Kind wird und selbst zusammenbricht, nur um danach wieder die autoritäre Lehrerin heraushängen zu lassen, die ihren Standpunkt klarmacht. Ich verstand diese Frau nicht. In diesem Gedankengang, raufte ich mir kurz durch die Haare, ehe ich seufzte. "Ich gehe dann mal." Sagte ich nun, mit beherrschter Ruhe. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, war schlichtweg Zeitverschwendung, ich meine, was ging es mich denn bitte auch an. Ich nahm erst gar nicht wahr, was Miss Harper sagte und setzte zum Gehen an. "Lilith!" Sagte sie also erneut meinen Namen, diesmal aber ausdrucksstärker. Die Härte in ihrer Stimme widerte mich an, doch wieder blieb ich stehen. "Das hier bleibt bitte unter uns, ja?" Ohne mich umzudrehen, nickte ich nur einmal und ließ sie zurück. Zum ersten Mal in diesem Winter, war ich froh über die Kälte. Die belebende kalte Luft, wie sie meine Lungen mit Sauerstoff flutete und mir erneut Leben in den Körper brachte. Verdammt, tat das gut. Noch einmal atmete ich tief durch, bevor ich meinen Heimweg antrat. Ich genoss den Spaziergang und sortierte meine Gedanken, zu der völlig absurden Situation, von gerade eben. Hatte ich überreagiert und ist diese Art von Reaktion total normal? War ich selbst inzwischen so abgebrüht, dass mir das als so fremd und unverständlich vorkam, warum sie so emotional reagierte oder hatte sie schlichtweg einen Schuss? Als ich endlich an meiner Haustüre ankam, verwarf ich alle Gedanken mit einem Mal und schritt in das vertraute Heim. Ein kurzes Frösteln durchzog mich und sofort drehte ich die Heizung auf. Meine Schuhe und Rucksack ließ ich, wie immer, im Flur zurück, bevor ich mir etwas zu essen zauberte. Der Blick in den Kühlschrank verriet mir, dass ich unbedingt wieder einkaufen musste, nach der Arbeit. Apropo Arbeit. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, es war schleunigst Zeit, sich wieder auf den weg zu machen. Ich räumte mein Geschirr noch eben in die Spülmaschine und zog mir schnell die Arbeitskleidung über. Ich mochte diese schlichte Arbeitskleidung, bestehend aus einem schwarzen modernen Hemd, zu einer schwarzen Hose und weißer Fliege. Es sah edel aus und dennoch, wirkte es jung und sportlich. Mit einem zufriedenen Blick in den Spiegel, zog ich mir noch eine Jacke über, meine Vans an und ging zur Arbeit. Meine Chefin, Sahra, begrüßte mich direkt mit einer kleinen Umarmung und auch ein, zwei Stammkunden grüßten mich, direkt mit einem freundlichen Lächeln. Es wunderte mich, da ich doch eher der ruhige Typ bei der Arbeit war, aber die Kunden fragten viel nach mir und meistens, konnte man sich kaum vor einem Gespräch retten beim Bedienen. Wobei man zugeben muss, dass das Trinkgeld dabei wirklich hervorragend war. Ich hing meine Jacke auf und streckte mich einmal durch, bevor ich zu Sahra ging, die schon grinsend auf mich wartete. "Na Sonnenschein, wie geht es dir?" Sonnenschein, nannte sie mich, seitdem ich, in den Ferien Frühschichten übernommen hatte und sie meinen Morgenmuffel kennenlernte. Inzwischen mochte ich den Namen wirklich sehr, doch in den ersten Wochen, hätte ich sie am liebsten, jedes Mal den Keller herunter getreten, als sie mich so nannte. Ein Schmunzeln huschte mir über die Lippen. "Jetzt, wo ich endlich wieder bei dir bin, geht es mir spitze." Antwortete ich, womit ich die ältere vor mir zum Lachen brachte. Die sarkastischen Neckereien, waren schon immer so eine Sache zwischen uns, doch sie bereicherten meinen Tag wirklich ungemein. Allgemein brachte Sahra wirklich gute Stimmung. Die inzwischen Mitte vierzigjährige Frau, leitet dieses Café/Bar mit ihrem Mann Thomas, der ebenfalls inzwischen Mitte vierzig war, schon seit etwa zehn Jahren. Und man sah beiden an, dass sie dabei eindeutig ihren Traum zum Beruf machten. Thomas allerdings war mehr der ruhige Rechner und kümmerte sich um all den Papierkram, im hinteren Zimmer, weswegen man ihn selbst eher seltener zu Gesicht bekam. Sahra hingegen, sprang hier immer herum, wie das Leben selbst. "Dann sollte ich dich eindeutig öfter arbeiten lassen, dass es dir auch ja immer gut geht." Neckte sie zurück und wir beide musste darüber lachen. Zugegeben, tat es nach den letzten Wochen und vor allem den letzten zwei Tagen, unglaublich gut mal wieder so ausgelassen sein zu können. Wir tauschten noch kurz ein wenig Klatsch und Tratsch aus, ehe ich mich auch schon an die Arbeit machte und Bestellungen annahm. Den Kaffee machte und servierte, so wie gewünscht Kuchen und kleine Snacks servierte. Der Tag verlief angenehm schnell und das Arbeiten war ein wirklicher Auslass. Kurz vor Schichtende, putzte ich hinter dem Tresen die Kaffeetassen und polierte schonmal die Gläser für die Spätschicht später, als erneut die Eingangstüre geöffnet wurde. Meine Augen weiteten sich und ich stoppte in meiner Bewegung. Um ein Haar wäre mir dabei das Glas aus der Hand gerutscht, doch war ich viel zu geschockt von diesem Anblick als das sich irgendwas in meinem Körper regen könnte.

Deine warme Stimme, im kalten WinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt