Kapitel 30

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Langsam drehte ich mich von Sarah weg und erwartete, einen Wolf hinter mir zu sehen. Doch das Knurren klang anders, nicht wie ein Wolf. Als ich mich zum Zellen-Eingang drehte, sah ich keinen Wolf. Stattdessen stand dort ein voll ausgewachsener Tiger, der mich böse anstarrte. Das Seltsame an ihm war, dass er blau leuchtete – oder vielleicht spielte mir meine Angst und meine Augen nur einen Streich.

Zu meiner Überraschung stellte sich Sarah neben den Tiger. Ihre Angst schien wie weggeblasen, und sie wirkte völlig ruhig. Im Gegenteil, es sah so aus, als würde die große Raubkatze auf sie hören.

„Sarah, geh lieber von dem Tiger weg," sagte ich, meine Stimme zitterte unkontrolliert. Ich dachte, dass ich immer vor Wölfen Todesangst hatte, aber ein Tiger war eine ganz andere Nummer. Besonders dieser, der mich mit seinen glühenden Augen ansah, als würde er mich gleich zerfetzen.

Sarahs Augen funkelten misstrauisch, während sie sich nicht von der Seite des Tigers rührte. „Woher kennst du meinen Namen? Du riechst nach meinem Bruder und warum willst du mich entführen?" Ihre Stimme klang schwach, wahrscheinlich weil sie lange nichts mehr getrunken hatte, aber trotzdem bedrohlich und klar.

„Ich bin hier, um dich rauszuholen," sagte ich, meine Stimme so fest und beruhigend wie möglich, obwohl mein Herz raste. „Deinen Namen kenne ich von deinem Bruder Cain, der auch mein Mate ist. Er hat mich geschickt, um dich zu finden und in Sicherheit zu bringen. Er sorgt sich um dich, Sarah. Wir haben einen Plan, um dich hier rauszubekommen und deinen Bruder Rabih zu stürzen."

In den nächsten paar Sekunden veränderte sich alles. Der Tiger verschwand, und stattdessen hörte man ein plötzliches, hohes Kreischen: „Oh mein Gott!" Bevor ich richtig reagieren konnte, fühlte ich, wie mich etwas fest um den Hals schlang. Erst dachte ich, dass sie mich angriff, aber dann erkannte ich, dass sie mich einfach nur umarmte. Vor lauter Schock stand ich stocksteif da und ließ die Umarmung geschehen.

„Heißt das, dass mein dämlicher Bruder tatsächlich zurück ist?" fragte sie, ihre Stimme klang nun deutlich energischer und voller Hoffnung.

„Ja, er ist gerade dabei, deinen anderen Bruder zu töten und wieder König zu werden. Deshalb müssen wir hier auch schnell raus," sagte ich drängend und versuchte, sie aus der Zelle zu bekommen.

„Endlich, ich wusste, dass er zurückkommt und noch am Leben ist," sagte sie, und ein breites Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus und sie wirkte gar nicht mehr so bösartig wie davor. „Ach und mein Beileid das du seine Mate bist. Ich möchte jedes Detail von euch wissen!"

„Ja, wir werden dir alles erzählen, aber lass uns von hier verschwinden."

Sie nickte zustimmend, und wir machten uns auf den Weg, aus diesem schrecklichen Ort zu entkommen. Sarah schien erleichtert und aufgeregt zugleich, und ich merkte, dass sie eine sehr gesprächige Person war. Trotz der angespannten Situation versuchte sie, ein Gespräch mit mir zu führen. Aber trotzdem musste ich ihr sagen, dass wir leise sein mussten, da vielleicht noch mehr Wachen hier unten waren. Wir kamen bei dem Toten Wachmann an.

„Hast du ihn getötet?" fragte sie mich überrascht.

„Ja, er ließ mir keine Wahl," flüsterte ich, während ich einfach an dem toten Körper vorbeiging.

„Du hast es echt drauf," sagte sie bewundernd. „Ihn mochte ich sowieso nie. Er war immer gemein zu jedem und hat uns nie etwas zu trinken gegeben."

Ihre Worte ließen mich etwas besser fühlen. Es war, als würde ihre Abneigung gegen den toten Wächter das Gewicht meiner Tat ein wenig leichter machen. Wir liefen den Geheimgang entlang und kletterten dann die Leiter nach oben. Draußen angekommen, war es noch dunkler als zuvor. Der Halbmond und die Sterne waren unsere einzigen Lichtquellen.

Herzen in Fesseln: Mein Gefangener, mein MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt