Unverhofft kommt doch II

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Die Räder der kleinen Polizeikutsche rumpeln über die gepflasterten Straßen und das Klappern der Pferdehufe durchbricht den alltäglichen Lärm der Stadt, während ich die Akte vom Königsmord noch einmal durchgehe und ganz genau nachlese, ob ich auch wirklich nichts übersehen habe.
  
Draußen erklingt Stimmengemurmel, fröhliches Kinderlachen hallt durch die Backsteingemäuer. Fast könnte man dem Eindruck erliegen, Westhaven wäre ein Hort der einzigen Freude und Lebendigkeit. Doch ich weiß, dass dem nicht so ist. Auch meine Heimat hat düstere und gefährliche Ecken, in denen Gewalt und Angst herrschen. Menschen, die an Armut leiden und Fae, die wie Aussätzige behandelt werden.
  
Von seinem Platz mir gegenüber mustert Zabel mich schweigend, ich spüre seinen Blick förmlich auf mir ruhen. Gerade überfliege ich das letzte Blatt, als wir die Stadtmauer hinter uns lassen und uns weiter gen Osten bewegen.

Abgesehen vom Westmeer ist die Hauptstadt Yumandas umgeben von Gebirge und Wald, sodass der Grund bald nicht nur an Steigung aufnimmt, sondern auch Bäume den Wegesrand säumen, der inzwischen von Stein in Erde übergegangen ist und sich in Schlangenlinien einen Hang hinaufwindet.
  
„Worüber denkst du nach?“, fragt Zabel, derweil sich das Unterholz vertieft.
  
„Hier steht, der König wurde mit blau angelaufenen Lippen und Fingerspitzen aufgefunden.“
  
Ich deute mit einem Finger auf die entsprechende Stelle. Zabel zieht eine Brille aus der Innentasche seiner Weste hervor und nimmt mir die Akte ab, während er sie aufsetzt, um die aufgeschlagene Seite mit zusammengekniffenen Augen durchzugehen.
  
„Tatsache“, murmelt er schließlich. „Ich erinnere mich.“ Über den Brillenrand hinweg sieht er zu mir. „Was ist damit?“
  
„Ist dir der Begriff Blauwurz geläufig?“, entgegne ich. Irritiert runzelt mein alter Freund die Stirn und schüttelt den Kopf. „Das dachte ich mir fast. In Yumanda kannte bis vor Kurzem noch kaum einer dieses Kraut, da es aus Eowa stammt, dem Land der Fae.“
  
„Und, was ist damit?“, wiederholt Zabel, sein Schnauzbart zuckt verhalten. Offensichtlich gefällt es ihm nicht, mir jeden Satz aus der Nase ziehen zu müssen. „Jetzt sag schon!“
  
„Blauwurz wird bei uns immer bekannter und beliebter. Unter anderem aufgrund seiner wechselseitigen und schnellen, bewusstseinsverändernden Wirkung“, erkläre ich. „In kleinen Mengen kann es Schmerzen lindern oder einen Menschen in eine Art tiefen Schlaf versetzen, ideal also für Behandlungen kleiner sowie großer Wunden.“ Den Blick unverwandt auf Zabel gerichtet, beuge ich mich zu ihm. „Wird jedoch eine zu hohe Dosis verabreicht, kann es zum Tod führen.“

Erneut tippe ich mit einem Finger auf die aufgeschlagene Seite der Akte. „Das Besondere und zugleich Gefährliche ist, Blauwurz ist sowohl geruchlos als auch geschmacklos. Genauso kann es kaum nachgewiesen werden, bis auf“, verheißungsvoll senke ich meine Stimme ein wenig, „blau angelaufene Lippen und Fingerspitzen.“
  
Zabel sieht auf die Zeilen vor sich. „Blau. Wie beim König.“
  
Ich nicke. „Genau.“
  
„Aber“, fährt er fort und rückt sich die Brille auf der Nase zurecht, „wenn dieses Blauwurz bei uns noch nicht so bekannt ist, dann steckt höchstwahrscheinlich doch ein Fae hinter dem Königsmord.“
  
Den Arm auf dessen unteren Rahmen gestützt schaue ich aus dem verglasten Fenster, wo die höhersteigende Sonne ihre Strahlen durch das lichte Blätterdach wirft.

Es herrschen die Monde des fallenden Blattes und das Laub erstrahlt in den buntesten Farben, bedeckt inzwischen mehr den Boden als die Bäume. Ein Eichhörnchen springt auf der Suche nach Vorräten von Ast zu Ast, mannigfaltige Vogelgesänge klingen durch die Fensterscheiben zu uns herein.
  
Zabels Vermutung scheint mir eher unwahrscheinlich. Dem zufolge, was ich über das Volk der Fae weiß, töten sie selten und wenn, dann nicht hinterhältig. Der zielgerichtete Stich ins Herz, von dem in der Akte ebenfalls die Rede ist, passt viel eher zu ihnen, wenn auch weniger während ihr Opfer schläft.
  
„Das können wir wohl erst beurteilen, wenn ich mir ein Bild des Ganzen gemacht habe“, sage ich daher. „Ich möchte mir sicher gehen.“

Detektiv Schwarzherz und der Fall des Königs - überarbeitete VersionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt